Rhein-Hunsrück

Jochen Schreiner im Interview: Jugend im Rhein-Hunsrück-Kreis ist mehr an Themen als an Parteien interessiert

Von Jule Klein
Politikwissenschaftler Jochen Schreiner  Foto: Jule Klein
Politikwissenschaftler Jochen Schreiner Foto: Jule Klein

Um die politische Partizipation der GenZ vor allem in Bezug auf die anstehenden Wahlen einordnen zu können, haben wir mit dem Politikwissenschaftler Jochen Schreiner gesprochen. Er hat als Sozialkundelehrer am Herzog-Johann-Gymnasium in Simmern einen besonderen Blickwinkel auf junge Menschen dieser Generation.

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Herr Schreiner, wie schätzen Sie die politische Partizipation junger Leute heutzutage ein?

Ich denke, grundsätzlich hat sich erst mal nichts im Vergleich zu früher geändert. Man kann das gut in zwei Gruppen teilen. Die eine Gruppe ist überdurchschnittlich stark an Politik interessiert, wohingegen die zweite Gruppe überhaupt kein Interesse an jeglicher Form der Politik hat. Das gab es auch schon in den Generationen davor und ist also nichts Überraschendes.

Was jedoch ein großer Unterschied zu früher ist, ist, dass junge Leute heutzutage nicht mehr parteiorientiert interessiert sind, sondern themenorientiert. Das fällt besonders bei den großen Diskussionsthemen der Politik auf. Beispiele hierfür sind der Klimawandel oder die aktuellen Kriege. Die jungen Menschen gehen nicht nach dem Partei- und Personeninteresse, sondern danach, welche Themen aktuell sind und wie diese von den einzelnen Akteuren eingeordnet werden.

Auch ist es nicht übertrieben, wenn ich sage, dass ich derzeit die wohl politikverdrossenste Schülerschaft in meiner ganzen Lehrerschaft habe. Politik wird von jungen Menschen momentan sehr kritisch und negativ angesehen. Das ist wohl aber auch auf den derzeitigen allgemein negativen politischen Diskurs zurückzuführen.

Man kann also nicht pauschal sagen, ob viele junge Menschen an Politik interessiert sind?

Nein, so pauschal jetzt nicht. Ich habe schon das Gefühl, dass viele Jüngere – auch schon im Alter von 14 Jahren – interessiert sind, allerdings auf einer anderen Art. Sie verbinden Politik mit Themen, die sie von Stars oder aus Social Media kennen. Doch das führt oft dazu, dass sie viel oberflächliches Wissen aus falschen Quellen, gerade aus den sozialen Netzwerken, haben.

Also sind soziale Netzwerke Ihrer Meinung nach nicht förderlich für das Bilden von politischem Interesse?

Doch, das sind sie. Ich bin der Meinung, dass die sozialen Netzwerke immerhin ein Grundinteresse an Themen mit sich bringen können und, dass es besser ist, wenn junge Menschen sich dann über diesen Weg über etwas informieren, statt gar nicht. Dennoch sollte Social Media nicht die Hauptinformationsquelle sein. Denn viele junge Menschen nehmen Informationen und Nachrichten unreflektiert und unkritisch einfach so hin. Oft geben Jüngere konsumierte Nachrichten eher einfach wieder, statt sich ihre eigene Meinung dazu zu bilden.

Gab es in der jüngsten Zeit Themen, über die Ihre Schüler diskutieren wollten?

Überraschenderweise sehr wenige. Ich dachte, dass vielleicht das Cannabisgesetz zur Diskussion anregt, doch wir haben so gut wir gar nicht darüber gesprochen. Der Ukraine-Krieg hat dann doch mehr polarisiert. Zwar ist das nun ein Weilchen her, aber er war und ist ein großes Thema für viele meiner Schüler. Da habe ich dann auch in all meinen Klassen, egal, ob im Sozialkunde- oder im Deutschunterricht eine aktuelle Stunde gemacht, damit die Schüler ihre Fragen stellen und wir auch gemeinsam über die Lage sprechen konnten. Auf aktuelle Themen bezogen sind – wenn überhaupt – derzeit die Europawahlen ein Thema, nicht jedoch die Kommunalwahlen.

Wieso das?

Die Schüler, die alt genug sind, um an den Kommunalwahlen teilzunehmen, haben aufgrund des Lehrplans derzeit keinen Sozialkundeunterricht. Daher lässt es sich schwer einschätzen, wie sie zu den Wahlen stehen und was sie für Fragen diesbezüglich haben. Auch ist Kommunalpolitik für junge Menschen vor allem personelle Politik. Da wird weniger auf das Wahlprogramm oder die Partei hinter einem Kandidaten geschaut, sondern eher auf die Person an sich. Der Hunsrück ist klein, und für viele, auch für ältere Generationen, geht es bei Kommunalwahlen um die Personen, die man kennt. Vielleicht adaptieren die jüngeren Leute aber auch die Meinung und das Wahlverhalten von zu Hause und geben sich damit zufrieden, statt sich eine eigene Meinung zu bilden.

Sind sich alle Wahlberechtigten bewusst, dass sie mit ihren 18 Jahren an der Kommunalwahl und jetzt sogar auch mit 16 Jahren an der Europawahl teilnehmen dürfen?

Ja, das denke ich schon. Ich habe den Eindruck, dass die unter 18-Jährigen zum Teil froh sind, dass sie noch nicht an den Kommunalwahlen teilnehmen dürfen und sich daher noch nicht damit auseinandersetzen müssen. Aber dennoch ist sich jeder, der wählen geht, darüber im Klaren, dass es etwas Positives ist. Was mich überrascht, ist, dass schon – meiner Meinung nach – recht viele per Briefwahl gewählt haben, statt am 9. Juni ins Wahllokal zu gehen. Wieso das so ist, kann ich aber nicht genau sagen.

Haben Sie den Eindruck, dass die jungen Menschen Panik vor den Wahlen haben, da sie sich vielleicht gar nicht dafür interessieren?

Nein, den Eindruck habe ich nicht. Diejenigen, die sich generell für die Politik interessieren, die freuen sich wahrscheinlich schon darauf, zu wählen, und diejenigen, die so gar nichts damit am Hut haben, werden vielleicht auch gar nicht wählen. Aber ich bemerke jetzt nicht, dass mich einer meiner Schüler panisch fragt, was und wie er denn wählen soll. Es gab die Bitte, dass wir uns im Unterricht noch mal mit den Parteien, die für die Europawahl zur Wahl stehen, beschäftigen, aber mehr auch nicht.

Viele nutzen für die EU-Wahl den Wahl-O-Mat als Hauptquelle. Einige sind dann immer geschockt, was bei ihnen herauskommt. Das liegt daran, dass sie für das Verständnis der Fragen eigentlich zu wenig Wissen haben. Deswegen haben wir die Fragen und Antwortmöglichkeiten Schritt für Schritt im Unterricht besprochen.

Haben Sie Tipps, wie man sich am besten über die Wahlen und die Politik allgemein informieren kann?

Ich würde sagen, dass das Anschauen von Nachrichtenzusammenfassungen für einen groben und ersten Überblick ein guter Start ist. Man sollte eher nicht über Personen in die Politik einsteigen, da derzeit eine große personelle Unzufriedenheit herrscht. Die Leute sollten sich fragen, worin ihr Interesse liegt, was ihre persönliche Meinung zu den aktuellen Debatten ist und was sie gern verändern würden. Und so findet man Schritt für Schritt schon die richtige Richtung.

Abgesehen von der kommunalen Ebene ist der Wahl-O-Mat dann nicht verkehrt. Wenn man schon eine gewisse Grundhaltung hat, kann diese vielleicht dadurch bestätigt werden. Dennoch muss ich dazusagen: Politisches Interesse kommt oder kommt eben nicht. Das ist heute nicht anders, als es früher war. Entweder es klickt oder nicht. Politische Organisationen wie zum Beispiel das Jugendamt oder die Kommunalpolitik könnten vielleicht dabei helfen, dass es klickt, da man dort die Politik direkt erlebt und sie nicht – etwa bei Bundestagsdebatten im Fernsehen – so unnahbar wirkt.