Ahrtal

Vier Millionen Euro fürs Ahrtal: Wie HELFT UNS LEBEN im Katastrophengebiet für schnelle Hilfe sorgte

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Besuch in Altenburg ein gutes halbes Jahr nach der Flut: Heike Gabriel und Roland Knieps im damals noch schwer zerstörten Haus mit Manuela Lewentz-Twer und Lars Hennemann. Foto: Jens Weber

Der Wiederaufbau im Ahrtal ist ein Mammutprojekt – auch drei Jahre nach der Flutkatastrophe ist noch unendlich viel zu tun. Viel öffentliches Geld floss und fließt in die Region – aber nicht nur dies: Millionen an Spendengeldern kamen zusammen, auch bei HELFT UNS LEBEN, der Hilfsaktion unserer Zeitung. Wir zeichnen nach, was aus der Hilfe geworden ist.

Lesezeit: 6 Minuten
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Vor etwas mehr als drei Jahren verwüstete eine Flutkatastrophe bislang unbekannten Ausmaßes das Ahrtal. Mindestens 135 Menschen starben, viele wurden verletzt. Häuser wurden unbewohnbar, ein ganzer Landstrich zerstört. Die sichtbaren Wunden in der Landschaft des Tals und die unsichtbaren in den Seelen der Menschen sind noch längst nicht alle verheilt, auch wenn sich seit dem 14. Juli 2021 schon viel getan hat.

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Manuela Lewentz-Twer, Vorsitzende von HELFT UNS LEBEN
Foto: privat

Mit unter den ersten Hilfsorganisationen, die seinerzeit sofort aktiv wurden, war HELFT UNS LEBEN, die Benefizaktion der Rhein-Zeitung und ihrer Heimatausgaben. Vorsitzende Manuela Lewentz-Twer erinnert sich: „Für uns war klar, dass wir ganz schnell etwas tun mussten.“ Nur wie? Der Vorstand beriet sich, und danach stand fest: Man wollte versuchen, auf eine Art und Weise zu helfen, wie es in solchen Situationen ein Medienhaus besser tun kann als viele andere Organisationen. „Wir stellten Kontakt zu anderen Verlagen her, deren Leserinnen und Leser zu früheren Zeiten durch unsere in anderen Extremsituationen unterstützt worden waren, etwa beim Hochwasser an der Elbe“, so Lewentz-Twer. Die so Angesprochenen ließen sich nicht lange bitten. „Wir bekamen Angebote aus Dresden oder aus dem Allgäu, aber auch aus Oldenburg und anderen Regionen.“

Völlig überwältigt von den Reaktionen

Und damit nicht genug: Natürlich rief die Rhein-Zeitung auch ihre eigenen Leser und Anzeigenkunden zur Unterstützung des Ahrtals auf. „Wir waren von den Reaktionen völlig überwältigt, so viele Leute meldeten sich“, formuliert Lewentz-Twer rückblickend voller Dankbarkeit. Insgesamt vier Millionen Euro kamen zusammen. Eine gigantische Summe, die, so erfreulich sie war, allerdings gleich die nächsten Fragen aufwarf: „Wie verteilt man sie gerecht, schnell und aber auch rechtlich einwandfrei? HELFT UNS LEBEN ist ein gemeinnütziger Verein, für den wir alle ehrenamtlich arbeiten“, erläutert Lewentz-Twer.

Auch für diese Fragen fand sich eine schnelle und pragmatische Lösung: „Wir haben einen Aufruf auf unserer Website veröffentlicht, auf den sich Betroffene melden und ihre Situation schildern konnten“, erläutert die Vorsitzende. Die Reaktion der Menschen im Tal zeigte eindrucksvoll, wie groß die Not und das Bedürfnis nach schneller Hilfe waren. „Schon nach einem Tag musste der Aufruf wieder offline gestellt werden, die Website ist damals unter dem Ansturm fast kollabiert.“

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Für den Waldkindergarten in Rech bestellte Manuela Lewentz-Twer (links) über persönliche Kontakte einen speziellen Bauwagen, der von HELFT UNS LEBEN mit rund 100.000 Euro finanziert wurde. Manuela Lewentz-Twer (von links), Innenminister Michael Ebling, RZ-Chefredakteur Lars Hennemann und Ulrike Scheel (Kinderschutzbund) mit dem Kita-Team beim Besuch im Waldkindergarten.
Foto: HELFT UNS LEBEN

Jeweils 10.000 Euro für 400 Familien

Auf den Verlagsrechnern lagen nun die Hilfegesuche Tausender Menschen aus dem Tal. Jetzt begann die Auswahl: Wer braucht wirklich Hilfe? Wo sollte man etwas tun? Und wo war es auch beim allergrößten Wohlwollen leider doch nicht möglich? Zu diesem Zweck mussten dann, damit es weiter ging, wirklich alle mithelfen. Die Redaktion, die Anzeigenabteilung, das Marketing und die Logistik einschließlich der Zusteller – sie alle prüften über ihre Kontakte vor Ort die Hilfsgesuche. „So kamen wir am Ende auf 400 einzelne Familien, die wir mit jeweils 10.000 Euro unterstützen konnten“, bilanziert Lewentz-Twer.

Aber damit war es immer noch nicht getan. Nun schlug die Stunde der Buchhaltung, die alle Bankverbindungen prüfte, die Beträge anwies und so die korrekte Verwendung der Spendengelder nachwies. „Es war für uns alle ein riesiger Kraftakt. Auch heute noch denke ich voller Respekt daran zurück, wie sehr sich alle engagiert haben“, betont Lewentz-Twer.

„Unglaubliche Energie und Optimismus“

Als sie und andere dann schließlich ins Tal fuhren, um den Begünstigten im Namen von HELFT UNS LEBEN die guten Nachrichten persönlich zu überbringen, wussten alle Beteiligten sofort, warum sich der Einsatz gelohnt hatte. „Manche Bilder, die ich damals gesehen habe, bekomme ich bis heute nicht aus dem Kopf. Aber am Ende bleibt vor allem das Positive haften, die unglaubliche Energie und der Optimismus, mit der die Menschen sich an den Wiederaufbau machten“, sagt Lewentz-Twer.

Manche der Begünstigten steckten das Geld in die Neuanschaffung von Heizungen, andere bezahlten Handwerker oder Trocknungsgeräte. Oder, oder, oder – es gab 400 einzelne Schicksale, jedes lag anders. „Ich bin mir auch heute noch sehr sicher, dass es vor allen Dingen sehr wichtig war, dass wir alles so schnell hinbekommen haben“, stellt Lewentz-Twer fest. In der Tat: Vor Weihnachten 2021 war alles unter Dach und Fach. Zu diesem Zeitpunkt kam insbesondere die staatliche Maschinerie erst langsam ins Rollen. „Auch wir konnten nicht jede Not lindern, das war und ist uns klar. Aber wir waren unbürokratisch und haben nicht einen Cent für Verwaltung oder Gebühren einbehalten“, hält Lewentz-Twer fest.

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Rund um den Bauwagen, der aus Spendenmitteln von HELFT UNS LEBEN finanziert wurde und der zum Standquartier des Waldkindergartens geworden ist, ist ein grünes Idyll mit viel Holz, Blumen und Spielgeräten entstanden.
Foto: HELFT UNS LEBEN

Auch danach blieb der Kontakt ins Tal erhalten. Vor allem über das eine oder andere Sonderprojekt, etwa Hilfe für Schulen. Und natürlich über den Waldkindergarten in Rech, für den Manuela Lewentz-Twer über persönliche Kontakte einen speziellen Bauwagen bestellte, der dann von HELFT UNS LEBEN mit rund 100.000 Euro finanziert wurde. Er wurde zum Zentrum einer liebevoll gepflegten Anlage am Ortsrand, wo sich mittlerweile Menschen aller Altersgruppen treffen und das pflegen, was sie stark macht: ihre Gemeinschaft und das Miteinander. „Wenn man das sieht, geht einem wirklich das Herz auf. Für so etwas sind wir da, jetzt und in Zukunft. Wir stehen auch weiter fest an der Seite des Ahrtals“, verspricht Lewentz-Twer. red

„Die Katastrophe hallt immer noch nach“

Eine der 400 Familien im Ahrtal, die von der großen Spendenaktion von HELFT UNS LEBEN bereits 2021 profitierten, sind Heike Gabriel und Roland Knieps aus Altenahr-Altenburg. Ihr Haus, das eigentlich gut 300 Meter entfernt von der Ahr steht, wurde schwer getroffen – Gabriel und Knieps überlebten die Flutnacht mit Hund und Katze auf dem Dachboden. Der Ortsteil Altenburg wurde schwerst zerstört. Der damals 23-jährige Sohn Jakob war in höchster Not aus dem Keller entkommen. „Immer, wenn ich jetzt in den Keller gehe, muss ich schlucken“, sagt Heike Gabriel.

Drei Jahre nach der Flut laufen noch immer Bauarbeiten, noch immer leben Gabriel und Knieps in einer Ferienwohnung. „Wir konnten sehr viel in Eigenleistung mit Helfern machen und waren auf diese Weise ein Stück weit unabhängig von der allgegenwärtigen Problematik, Handwerker zu finden. Aber: Das hat seinen Preis“, sagt die Hausherrin und spricht von tiefer Erschöpfung: „Es ist ein Marathon, ein Kraftakt, der uns alle sehr mitnimmt. Und keiner, der es nicht erlebt hat, kann sich vorstellen, wie belastend es wirklich ist.“ Viele außerhalb des Tals, so Gabriels Beobachtung, wollen es auch gar nicht mehr hören. Es müsse doch auch mal gut sein. Ist es aber nicht. „Die Katastrophe hallt immer noch nach, und viele von uns sind dünnhäutig geworden.“

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Besuch in Altenburg ein gutes halbes Jahr nach der Flut: Heike Gabriel und Roland Knieps im damals noch schwer zerstörten Haus.
Foto: Jens Weber

Dazu trägt auch die nach wie vor angespannte finanzielle Situation bei. Wie viele Betroffene sind Gabriel und Knieps beim Wiederaufbau auf Unterstützung etwa durch die Investitions- und Strukturbank (ISB) angewiesen – eine Hilfe, für die die beiden sehr dankbar sind, wie sie betonen. Aber: Die ISB zahlt nur eine gewisse Summe im Voraus aus, für einen Großteil der Baukosten müssen die Betroffenen in Vorleistung treten. „Und deshalb sind wir so mega, mega dankbar für die Hilfe, die wir damals von HELFT UNS LEBEN erhalten haben – durch diese Summe konnten wir uns wieder etwas bewegen, konnten uns sicher sein, Handwerker, die wir dann doch beschäftigen mussten, auch bezahlen zu können“, sagt Heike Gabriel rückblickend. „Das hat uns ganz viel Druck genommen – bei aller Existenzangst“, ergänzt Roland Knieps.

So hat das Ganze bei aller Traurigkeit und Dramatik durchaus auch immer mal wieder positive Aspekte für die beiden – die Unterstützung etwa durch HELFT UNS LEBEN und andere Hilfsaktionen, aber auch Begegnungen mit Helfern, die jetzt immer mal wieder vorbeischauen und schauen wollen, wie weit die Baustelle gekommen ist. Am Haus der beiden ist eine Hochwassermarke angebracht – so weit oben, dass es manche Passanten nicht glauben wollen. „Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem wir wieder im Haus wohnen könnten – damit sind wir viel weiter als viele andere Betroffene“, sagt Heike Gabriel dankbar – trotz allem. Sie hofft, dass sie bald einen Schlussstrich ziehen können, zumindest unter die Abschlussrechnung und die Abrechnung mit der ISB. Und dann? „Wir haben schmerzhaft erfahren müssen, dass wir nirgendwo sicher sein können. Man kann in einer Nacht alles verlieren. Umso wichtiger ist es, das zu bewahren, was bleibt – Menschen, die Familie, Freunde.“ red