Ahrweiler

HELFT UNS LEBEN finanziert Sozialisierungsmaßnahme in Ahrweiler: Jugendliche lernen respektvollen Umgang

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Gabriel und Khoder stehen sich bei einer Übung dicht gegenüber. Foto: Hans-Jürgen Vollrath

Die Schüler der 8d der Philipp-Freiherr-von-Boeselager-Realschule plus Ahrweiler sollen bald auf den Arbeitemarkt entlassen werden – doch das kann schwierig werden, weiß Klassenlehrerin Kirsten Sebastian zu berichten. Denn die Jugendlichen kennen Werte wie Zuverlässigkeit, Respekt und Teamfähigkeit nicht. HELFT UNS LEBEN hat jetzt die Zukunft der Jugendlichen unterstützt.

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Khoder steht Gabriel gegenüber. Der 34-Jährige ist ganz dicht an den jugendlichen Schüler herangetreten. Gesicht an Gesicht stehen sie da, nur wenige Zentimeter trennen die beiden. Khoder starrt in Gabriels Augen. Die Spannung ist unerträglich. Dann blinzelt der Jugendliche, seine Mundwinkel zucken, er grinst. Khoder tritt zwei Schritte zurück. Dann blickt er in die Runde. Eine Runde aus Schülern in einem Klassenraum der Philipp-Freiherr-von-Boeselager-Realschule plus Ahrweiler. Es ist der Klassenraum der 8d.

Regeln sind ein Fremdwort

In diesem Raum sitzen tagein tagaus 17 Jungs und Mädchen, die im Grund genommen den Hauptschulzweig der Realschule bilden. Jugendliche mit Migrationshintergrund, die teilweise mit ihren 16 Jahren bis 3 Uhr nachts wach bleiben. Die mehr als sechs Stunden täglich in sozialen Netzwerken wie Tiktok und Instagram „rumhängen“. Die zum Teil aus Haushalten stammen, wo Hausaufgaben nicht zu den Pflichtaufgaben zählen, die Eltern kein Deutsch sprechen und „Regeln“ ein Fremdwort ist. Und eben diesen Jugendlichen läuft die Zeit davon.

Sie haben jetzt noch 1,5 Jahre, um erwachsen zu werden. Denn dann geht es für sie auf den freien Arbeitsmarkt, sie müssen eine Ausbildung beginnen. Klassenlehrerin Kirsten Sebastian macht das Sorgen. Sie glaubt, dass einige ihrer Schützlinge dort nicht Fuß fassen können. Zu wenig Sozialkompetenz, zu wenig Respekt, zu wenig Vermögen, sich an Vorgaben zu halten. Sebastian hat sich deshalb an HELFT UNS LEBEN, die Hilfsorganisation unserer Zeitung, gewandt, um den Jugendlichen ein Sozialtraining zu ermöglichen. Diese Maßnahme hat der gemeinnützige Verein HELFT UNS LEBEN jetzt mit rund 2500 Euro finanziert.

Mit vielen verschiedenen Übungen lockert der Coach von Landepunkt die Stimmung unter den Jugendlichen auf.
Mit vielen verschiedenen Übungen lockert der Coach von Landepunkt die Stimmung unter den Jugendlichen auf.
Foto: Hans-Jürgen Vollrath

Schule legt großen Wert auf soziales Miteinander

„Wir legen an unserer Schule sehr großen Wert auf das soziale Miteinander“, erzählt Schulleiter Timo Lichtenthäler im Gespräch mit unserer Zeitung. „Wir möchten, dass unsere Schüler, wenn sie die Schule verlassen, mündige Bürger sind, die auch die Werte und Normen des gesellschaftlichen Miteinanders vertreten.“ Die Schule leiste dazu ihren Beitrag – unter anderem im Fall der 8d mit diesem Sozialisierungsprojekt. „Wir möchten ja auch, dass unsere Schüler sich anschließend auf dem Arbeitsmarkt behaupten können“, so Lichtenthäler. In dem Profil der Schule sei klar festgelegt, dass den Schülern Werte und Normen vermittelt werden. Das funktioniere auch normalerweise sehr gut, für die 8d sei einfach ein zusätzliches Training erforderlich.

Organisation „Landepunkt“ kümmert sich

Und das fand nun mithilfe von HELFT UNS LEBEN statt. Khoder Khoder ist ein Trainer. Er kommt von der norddeutschen Organisation „Landepunkt“, die aus einem Team aus speziell ausgebildeten Coaches besteht, die die Arbeit mit schwierigen Jugendlichen gewöhnt sind. Khoder arbeitet sonst mit straffällig gewordenen Jugendlichen. Respektloses Verhalten, Gewalt, Beschimpfungen und Vandalismus sind die Themen, mit denen sich der 34-Jährige auseinandersetzt. Drei Tage lang ist er nun an der Philipp-Freiherr-von-Boeselager-Realschule plus Ahrweiler zum Sozialtraining für die 8b gewesen. Dabei hat er den Jugendlichen vermittelt, wie ihr Verhalten entsteht und wie sie es beeinflussen können, was Vertrauen und Empathie sind und wie sie sich im Team korrekt verhalten. Den Jugendlichen werden Werte wie Respekt, Disziplin und soziale Kompetenz vermittelt.

Wir mussten jetzt die Notbremse ziehen.

Lehrerin Kirsten Sebastian

„Manch einer wird jetzt natürlich denken: Was bringen drei Tage?“, sagt Khoder. „Klar, an diesen drei Tagen kann man nicht die Welt verändern und schon gar nicht eingeprägte Verhaltensmuster. Aber es ist eben ein Anfang.“ Damit die Lehrkräfte an der Realschule diesen Anfang in Zukunft ausbauen können, sollen auch sie im Februar 2024 geschult werden. Kirsten Sebastian hat sich schon für kommendes Wochenende selbstständig für eine Fortbildung bei Landepunkt angemeldet. Sie möchte den Jugendlichen den bestmöglichen Einstieg in die Lehre oder den unkomplizierten Sprung auf die Berufsbildende Schule ermöglichen.

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Wichtig ist, dass die Jugendlichen auch lernen, sich gegenseitig zu vertrauen.
Foto: Hans-Jürgen Vollrath

Normaler Unterricht war undenkbar

Denn der Stand vor HELFT UNS LEBEN und dem Training von Landepunkt war folgender: Normaler Unterricht in dieser Klasse? Undenkbar. „Die Schüler nehmen alles zum Anlass, um den Unterricht zu stören“, berichtet Sebastian. „Da reicht eine Fliege an der Wand, um ein Riesenspektakel zu veranstalten.“ Inzwischen sind, wenn möglich, immer zwei Lehrer in der Klasse eingesetzt. „Einer versucht, vorn zu unterrichten, der andere bekämpft die Brandherde hinten in der Klasse“, erzählt Sebastian. „Anders wäre an Unterricht nicht einmal zu denken. Und man muss auch ehrlich zu geben: Für diese Art der Arbeit fehlt uns als Lehrer auch die Zusatzqualifikation.“

Landepunkt will da ansetzen. Und die Schüler zeigen sich tatsächlich begeistert von dem Training. Nachdem sie am ersten Tag Khoders Grenzen ausgetestet haben und klare Regeln seine Antwort waren, akzeptierten sie ihn. Es wurde mitgearbeitet, gelacht und auch mal ernst miteinander diskutiert. „Ihr könnt euch bei dem, was ihr tut, immer eins fragen“, sagt Khoder einmal in die Runde. „Ist mein Verhalten gerade respektlos oder respektvoll? Und da habt ihr dann schon die Antwort, ob das okay war oder eben nicht.“

„Schade ist, dass es für Maßnahmen dieser Art keine offizielle Fördermöglichkeit gibt“, sagt Sebastian. „Deshalb habe ich mich an HELFT UNS LEBEN gewandt.“ Von der Maßnahme erhofft sie sich, dass sie den Kindern den Stress nimmt, wenn sie in die Schule gehen. Dass sie respektvoller mit den Lehrern und ihren Mitschülern umgehen, dass überhaupt Unterricht möglich wird. „Wir mussten jetzt die Notbremse ziehen“, bringt Kirsten Sebastian die Situation auf den Punkt. „Sonst wären uns diese Schüler entglitten.“