Montabaur/Nassau

Der Energiewende auf der Spur: Westerwälder Radsportler erkunden das Land

Von Uli Schmidt
Der Solarpark Maxwäll setzt auf Sonnenenergie. Wie das funktioniert, erfuhren die Teilnehmer der Energiewendetour bei einem Besuch der Anlagen.     Foto: Uwe Schmalenbach/Wäller Energiezeitung <br>
Der Solarpark Maxwäll setzt auf Sonnenenergie. Wie das funktioniert, erfuhren die Teilnehmer der Energiewendetour bei einem Besuch der Anlagen. Foto: Uwe Schmalenbach/Wäller Energiezeitung

Wie steht es um die Energiewende im nördlichen Rheinland-Pfalz? Ein Radsportteam hat sich das genauer angeschaut.

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Wie weit ist die notwendige Energiewende im Norden von Rheinland-Pfalz vorangekommen? Das heimische Radsportteam Equipe EuroDeK wollte mehr wissen und unternahm eine zweitägige „Energiewendetour“ (EWT) in Westerwald, Hunsrück und Taunus. Es seien viele interessante Projekte besucht und mit Pionieren der erneuerbaren Energiezukunft gesprochen worden, berichtet Koordinator Uli Schmidt.

Gestartet hatte die Thementour beim 100-jährigen Firmenjubiläum beim heimischen Tonproduzenten Goerg & Schneider in Boden. „Wir stehen als Familienunternehmen für Innovation und Nachhaltigkeit, weshalb wir unseren Betrieb zu 100 Prozent mit Ökostrom betreiben“, erklärte Geschäftsführer Florian Goerg, unterstützt von Seniorchef Hartmut Goerg. „Auch unser Unternehmen ist fast 100 Jahre alt, und wir arbeiten intensiv an einer sauberen Energiezukunft mit erneuerbaren Energiequellen“, griff deren Stromlieferant Markus Mann, Geschäftsführer von Mann Naturenergie in Langenbach b. Kirburg und Kooperationspartner der Tour, den Hinweis auf.

Die Rheinfähre in St. Goarshausen. Foto: Uwe Schmalenbach/Wäller Energiezeitung
Die Rheinfähre in St. Goarshausen.
Foto: Uwe Schmalenbach/Wäller Energiezeitung

Dadurch bleiben Wertschöpfung und Geld in der Region, so der Pionier für grünen Strom. Mit dem Fahrrad war Bodens Ortsbürgermeisterin Sandra König gekommen, die ebenso wie der Beigeordnete Sascha Feigen den Pedaleuren genug eigene Energie zur Bewältigung der beiden Etappen über etwa 250 Kilometer wünschte.

Strom für 16.000 Haushalte

Bei G&S Boden sind die Teilnehmer der Energiewendetour gestartet. Foto: Uwe Schmalenbach/Wäller Energiezeitung
Bei G&S Boden sind die Teilnehmer der Energiewendetour gestartet.
Foto: Uwe Schmalenbach/Wäller Energiezeitung

Wenig Energie mussten die Teilnehmenden bis zur ersten Station verbrauchen: dem Solarpark Steinkaut der Maxwäll-Energiegenossenschaft in Altenkirchen. „Wir haben hier auf der ehemaligen Tongrube 9.200 Solarmodule verbaut, mit denen wir genug Strom für mehr als 600 Haushalte erzeugen“, so Vorstand Gerd Stein, der die Funktion der Anlage erläuterte und darauf hinwies, dass das Netz an seine Grenzen komme. Die Tongrube „wandert“ und bietet bald Platz für neue Module und eine Vergrößerung der Anlage, so Stein weiter.

Das Wasserkraftwerk in Nassau. Foto: Uwe Schmalenbach/Wäller Energiezeitung
Das Wasserkraftwerk in Nassau.
Foto: Uwe Schmalenbach/Wäller Energiezeitung

Am Wasserkraftwerk an der Schleuse in Nassau wartete Dominik Kauss, Leiter Erneuerbare Energie der Süwag als Betreiber, auf die Radler: „Wir produzieren hier mit dem Wasser der Lahn genug Strom für 16.000 Haushalte“. Das Kraftwerk wurde 2018 mit einer Leistung von 1400 Kilowatt modernisiert. Wie das technisch möglich ist, erläuterte Kauss im Keller der Anlage an zwei mächtigen Turbinen.

Fischpopulation muss geschützt werden

Die Genossenschaft „Energie für Mannebach“.Foto: Christoph Krätz  <br>
Die Genossenschaft „Energie für Mannebach“.
Foto: Christoph Krätz

Er wies darauf hin, dass die Fischpopulation in der Lahn geschützt werden müsse und der Bund in diesen Schutz bald mit der Süwag investieren wolle. Nach Dachsenhausen und mit der Fähre in St. Goarshausen am Rhein ging es über die lange Auffahrt durch das Gründelbachtal auf den Hunsrück zur Genossenschaft „Energie für Mannebach“, wo „Genosse“ Wolfgang Wagner im Schatten einer Gartenlaube mit frisch gebackenem „Kremmelkuchen“ die Radsportler im RSV Oranien Nassau und der RSG Montabaur empfing.

„Was können wir hier in unserem kleinen Dorf mit knappen Mitteln machen, um die nur 105 Häuser mit erneuerbarer Energie zu versorgen?“, fragten sich Wagner und seine 20 Mitstreiter 2010. Eine nach einer Bürgerversammlung gegründete Genossenschaft errichtete daraufhin ein Biomassekraftwerk mit Nahwärmeverbund und PV-Anlage auf dem Dach.

Bioressourcen aus der Region

Über den schönen Radweg auf der geteerten Trasse der früheren Hunsrückbahn gelangten die Radfahrer zum Hotel in Simmern, wo sie einen Abend mit Frank-Michael Uhle, Klimaschutzmanager des Rhein-Hunsrück-Kreises, verbrachten. Im großen Gebäude der Heizzentrale von Ellern erklärte Ortsbürgermeister Friedhelm Dämgen mit den beiden Beigeordneten am Sonntag, dass in dem 900-Seelen-Dorf in enger Kooperation mit den Werken der Verbandsgemeinde Rheinböllen 2018 ein mit Holzhackschnitzeln solarthermisch unterstützter Nahwärmeverbund entstanden war. Heute seien 300 Haushalte ans Netz angeschlossen.

Durch das Wispertal bis Kemel im Taunus ging es zu Naturenergie Heidenrod, wo Geschäftsführer Harald Gschweng die durchnässten Radler erwartete. „Unser Leuchtturmprojekt trägt zum Imagegewinn für die Region bei und hilft, Arbeitsplätze und Wirtschaftskraft zu binden“, so Gschweng. Sie setzten auf Bioressourcen wie Wind, Sonne und Biomasse, um von fossilen Brennstoffen unabhängig zu werden und rund um die Uhr Naturstrom herstellen zu können.

Beitrag zu sauberer Zukunft geleistet

Im Café-Bistro Mundart in Montabaur endete die Tour. Bei der Auswertung waren sich alle 17 Teilnehmer einig, mit der „EWT“ einen Beitrag zu einer sauberen Energiezukunft und Erweiterung des eigenen Wissens geleistet zu haben. Uli Schmidt resümiert: „Wir haben an praktischen Beispielen gesehen, dass die Energiewende lokal möglich ist, wenn sich überzeugte Menschen in einer Gemeinde, einer VG oder in einem Landkreis einig sind und gemeinsam für eine erneuerbare Energieerzeugung und damit eine enkeltaugliche Zukunft einsetzen.“

Bundesweit Vorreiter: Ehemals armer Rhein-Hunsrück-Kreis ist heute reich an Windkraft und Nahwärme

Der Rhein-Hunsrück-Kreis ist bundesweit der erste Landkreis, dem das „Erneuerbar-Kreis-Zertifikat“ in Platin verliehen wurde. 2018 wurde er als „Energiekommune des Jahrzehntes“ geadelt und gilt als Vorreiter bei der Energiewende. Für die Equipe war der verantwortliche Klimaschutzmanager Frank-Michael Uhle zu Vortrag und Fachgespräch ins Teamhotel in Simmern gekommen, überbrachte Grüße von Landrat Volker Boch, selbst Radsportler, und stellte fest: „Im Rhein-Hunsrück-Kreis steckt viel Energie; wir machen was daraus!“ Auf dem Hunsrück gibt es heute bei nur 105.000 Einwohnern 285 Windräder, 7700 PV-Anlagen und 17 Nahwärmeverbünde.

„Das führt im Ergebnis dazu, dass wir 390 Prozent des benötigten Stroms hier erzeugen, und dies überwiegend erneuerbar“, sagte Uhle und erzählte von einer Familie, deren Energiekosten durch verschieden Maßnahmen von 9000 Euro im Jahr auf 1500 Euro gesenkt werden konnten. Früher sei der Hunsrück bettelarm gewesen, heute werbe man damit, ins „gelobte Land“ zu kommen. In den vergangenen 20 Jahren habe sich durch die kommunalen und privaten Entwicklungen im Klimaschutz eine regionale Wertschöpfung von etwa 880 Millionen Euro ergeben.

Dazu verfügten die oft kleinen Orte aktuell über eine Rücklage von 127 Millionen Euro. „Inzwischen hat sich der Wind gedreht, immer mehr Kommunen fragen bei uns an und wollen einen ähnlichen Weg gehen“, schloss Uhle. Dabei sei die Verbesserung der Energieeffizienz von Bedeutung. „Und besonders wichtig ist der Politik im Kreis, dass wir alle Einwohner mitnehmen, auch die einkommensschwachen Haushalte“, sagte Frank-Michael Uhle. Dafür biete der Kreis mit vielen Partnern Beratungs- und Unterstützungsangebot zur Energie- und Kosteneinsparung einkommensschwacher Haushalte an, das bundesweit einmalig sein dürfte.