Weniger bringt mehr – Fahrbericht: Lucid Air Pure RWD

Von Alexander Sellei, SP-X
Lucid bringt eine neue Einstiegsvariante
Lucid bringt eine neue Einstiegsvariante Foto: Lucid

Mit Preisen im sechsstelligen Bereich kommt E-Spezialist Lucid für die wenigsten in Frage. Einen größeren Kundenkreis soll jetzt das neue Einstiegsmodell ansprechen.

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SP-X/Kitzbühel. Der Weg vom Start-up zum etablierten Player ist steinig. Diese schmerzhafte Erfahrung durchlebt gerade Lucid. Die junge Elektromarke mit Sitz in Kalifornien ist vor allem Tekkies ein Begriff. Menschen also, die das Erstlingsmodell Lucid Air für seine technischen Errungenschaften feiern und fahren. In der Tat steckt in der Oberklasselimousine Spitzentechnologie, mit der wenige Traditionshersteller mithalten können. Doch bei Preisen jenseits der 100.000 Euro sind nur wenige bereit, das Risiko einzugehen, das mit dem Kauf einer noch jungen Marke verbunden ist. Um neue Tekkies zu gewinnen, erweitert Lucid die Air-Baureihe um die neue Einstiegsvariante Pure RWD ab 85.000 Euro.

Lucid bringt eine neue Einstiegsvariante
Lucid bringt eine neue Einstiegsvariante
Foto: Lucid

Das kalifornische Start-up, das ursprünglich für den Bau von E-Auto-Batterien gegründet wurde, verweist gerne auf die hohe Fertigungstiefe seiner Fahrzeugentwicklung. Im Gegensatz zu vielen etablierten Playern, die einen Großteil der Ingenieursarbeit an Zulieferer auslagern, werden rund 80 Prozent der Teile in der Zentrale an der San Francisco Bay entwickelt. Das beeindruckendste Bauteil ist dabei die Antriebseinheit. Der Elektromotor wiegt nur 31 Kilogramm und ist etwa so groß wie ein Schulranzen, kann aber auf bis zu 670 PS hochgezüchtet werden. Das eröffnet ein breites Leistungsspektrum und schafft Platz in der Kabine und im Kofferraum.

Die Einstiegsversion leistet 325 kW/442 PS
Die Einstiegsversion leistet 325 kW/442 PS
Foto: Lucid

Dieses kleine Kraftpaket bekommt der neue Lucid Air Pure mit Hinterradantrieb in der Leistungsstufe mit 325 kW/442 PS. Damit ist der Ami zwar nicht ganz so flott unterwegs wie seine allradgetriebenen Schwestermodelle. Aber für jeden Normalo ist auch diese Variante immer noch sauschnell. Aus dem Stand sprintet er in 4,7 Sekunden auf 100 km/h. Dabei arbeitet die Traktionskontrolle hart an den Hinterreifen, um die 550 Newtonmeter Drehmoment verlustfrei auf die Straße zu bringen. Zum Vergleich: Der Air Touring (ab 99.000 Euro) mit Doppelmotor und 4x4 schafft den Sprint in 3,6 Sekunden, die technische Speerspitze Air Sapphire (ab 250.000 Euro) mit irrationalen 1.940 Newtonmetern Drehmoment und drei Motoren fliegt in 2,0 Sekunden auf Tempo 100.

Der Lucid Air Pure RWD ist ab 85.000 Euro zu haben
Der Lucid Air Pure RWD ist ab 85.000 Euro zu haben
Foto: Lucid

Doch selbst das einmotorige Einstiegsmodell beeindruckt fahrdynamisch, und dies auch jenseits der Richtgeschwindigkeit. Schließlich hat Lucid als Batterielieferant der Formel E gelernt, effizient mit Energie umzugehen. Über den gesamten Geschwindigkeitsbereich bis zur Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h hat die E-Limousine genügend Reserven für flotte Überholmanöver. Dabei bleibt sie mit rund 16,5 kW/h bei ersten Testfahrten erstaunlich sparsam. Damit bietet der Air den Angaben zufolge die größte Reichweite unter den Elektrofahrzeugen. Im kombinierten Mix schafft der Basis-Lucid 747 Kilometer, bevor die Batterie leer ist. An einer Schnellladestation soll das Fahrzeug in 20 Minuten eine Reichweite von 400 km erreichen.

Aus dem Stand sprintet der Lucid Air Pro  in 4,7 Sekunden auf 100 km/h
Aus dem Stand sprintet der Lucid Air Pro in 4,7 Sekunden auf 100 km/h
Foto: Lucid

Gewöhnungsbedürftig ist die ständig präsente regenerative Bremse. Es gibt nur zwei Rekuperationsstufen, Standard und High, wobei letztere als besonders effektive Einpedalstufe dient. Eine Segelfunktion fehlt mit der Begründung, dass die kontinuierlich aktive Energierückgewinnung durch wiederholtes Verzögern wichtiger sei als eine möglichst gleichmäßige Reisegeschwindigkeit. Wir sehen das anders. Tadellos dagegen das vergleichsweise konventionelle Fahrwerk, das einer aktiven Luftfederung erstaunlich nahekommt. Der Lucid liegt satt auf der Straße, schluckt trotz der großen 19-Zoll-Räder unaufgeregt alle Unebenheiten und neigt sich in Kurven kaum zur Seite.

Der immer noch hohe Einstiegspreis der Limousine lässt einen Hauch mehr Luxus in der Kabine erwarten
Der immer noch hohe Einstiegspreis der Limousine lässt einen Hauch mehr Luxus in der Kabine erwarten
Foto: Lucid

Der immer noch hohe Einstiegspreis der Limousine lässt einen Hauch mehr Luxus in der Kabine erwarten. Dennoch ist der Innenraum geschmackvoll gestaltet und das Lederimitat wertig verarbeitet. Wie bei vielen modernen Elektroautos gibt es keinen Startknopf. Man steigt ein, schnallt sich an, stellt den Schalthebel an der Lenksäule auf D und fährt los. Auf dem Hochkantdisplay in Kniehöhe steuert man die Fahrmodi, verändert die Assistenzeinstellungen oder lässt sich die Navikarte groß anzeigen. Auf Wunsch schwenkt es elegant in die Konsole ein und gibt ein praktisches Ablagefach frei.

Der Innenraum ist geschmackvoll gestaltet und das Lederimitat wertig verarbeitet
Der Innenraum ist geschmackvoll gestaltet und das Lederimitat wertig verarbeitet
Foto: Lucid

Viel Platz im Innenraum wird oft als Vorteil von Elektroautos genannt. Doch die Entwickler von Lucid heben diesen Aspekt auf eine neue Ebene. So bietet der Lucid Air den Passagieren etwa so viel Platz wie eine Mercedes S-Klasse, obwohl er fast 30 Zentimeter kürzer ist als der deutsche Oberklasse-Standard. Zudem verfügt der Pure über einen riesigen Kofferraum unter der Fronthaube. Wo sonst gerade mal Platz für Ladekabel ist, bietet Lucid hier zusätzlich zum Kofferraum ein vollwertiges Gepäckabteil mit 283 Litern Volumen.

Serienmäßig an Bord sind nur wenige Features wie die 12-fach elektrisch verstellbaren, beheizbaren Vordersitze oder ein Audiosystem mit 9 Lautsprechern. Weitere Komfortextras wie Soft-Closing-Türen, Sitzheizung im Fond, Vier-Zonen-Klimaautomatik sowie ein Sound-Upgrade mit 21 Lautsprechern und Dolby-Atmos-Unterstützung sind aufpreispflichtig. Auf das durchgehende Panorama-Glasdach der höheren Varianten müssen Air-Pure-Kunden ganz verzichten.

Wie alle Start-ups kämpft auch Lucid mit Gegenwind, wenn es darum geht, seine Produktion auf eine profitable Größe zu skalieren. Die schwindelerregende Zahl von Newcomern vor allem aus China oder jüngste Pleiten wie die von Fisker helfen dem amerikanischen Emporkömmling hierzulande nicht gerade dabei, das Vertrauen der risikoscheuen Kunden zu gewinnen. Doch obwohl der Air Pure mit Hinterradantrieb nicht annähernd die technische Maßlosigkeit bietet wie seine hochpreisigen Geschwister: Er macht wenige Kompromisse und ist womöglich genau deshalb die beste Variante der Baureihe.

Technische Daten – Lucid Air Pure RWD

Elektrische Limousine der Oberklasse mit fünf Sitzen, Länge: 4,98 Meter, Breite mit Außenspiegel 2,20 Meter (ohne Außenspiegel: 1,94 Meter), Höhe: 1,42 Meter, Radstand 2,97 Meter, Kofferraumvolumen: 627-1.835 Liter, vorderes Staufach (Frunk): 283 Liter

Elektromotor, 325 kW/442 PS, maximales Drehmoment 550 Nm, Batterie mit 88 kWh, Reichweite nach WLTP: 747 km, Ein-Gang-Automatik, Hinterradantrieb, Vmax 200 km/h, 0-100 km/h: 4,7 s, Ladeleistung: DC bis zu 210 kW (bis zu 400 km in 20 min), AC bis 22 kW (4 Std.), WLTP-Normverbrauch: 13,0 kWh/100 km, CO2-Emission: 0 g/km

Preis: ab 85.000 Euro

Lucid Air Pure RWD – Kurzcharakteristik:

Warum: Selbst mit einem Motor bemerkenswert flott unterwegs und mit großer Reichweiten-Autonomie.

Warum nicht: Weil der Durchschnittsbürger immer noch mehr als drei Brutto-Jahreseinkommen hinblättern muss.

Was sonst: BMW i5, Porsche Taycan, Mercedes EQS, Tesla Model S

Ab wann: Juli 2024

Alexander Sellei/SP-X