Mainz

Viele Kinder fühlen sich zu Hause unwohl

Klassenfoto der 6c der Realschule plus in der Mainzer Hindemithstraße.
Klassenfoto der 6c der Realschule plus in der Mainzer Hindemithstraße. Foto: Michael Bellaire

Coole Klamotten, ein neues Handy, Schokolade ohne Ende? Von wegen. Zum Weltkindertag am 20. September hat unsere Zeitung eine Mainzer Schulklasse besucht und mal gefragt, was sich Kinder wünschen. Hier ihre Antworten.

Lesezeit: 5 Minuten
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Mainz – Erwachsene reden viel darüber, was Kinder brauchen, was ihnen gut tun würde. Politiker möchten das Land kinderfreundlicher gestalten, Eltern fordern mehr Kindergartenplätze, Sozialverbände wollen einkommensschwache Familien besser unterstützen.

Klassenfoto der 6c der Realschule plus in der Mainzer Hindemithstraße.

Michael Bellaire

„Ich möchte, dass die Menschen ein Herz für Kinder haben.“ Vanessa Georg-Malki

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„Ich will ehrliche Freunde haben.“ Teresa La Cognata

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„Ich wünsche mir, dass jedes Kind auf der Welt gesunde Eltern hat.“ Salma Mimmi

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Aus dem Klassenzimmer.

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„Ich will der schnellste Mensch der Welt werden.“ Celina Helgert

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„Die armen Kinder und ihre Eltern sollen nicht mehr Hunger leiden.“ Seda Madenci

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„Ich will, dass die Armen auch mal Geld bekommen.“ Ensar Eyyub Cetinkaya

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„Die Reichen sollen mehr Kindern in Not helfen.“ Dominik Grübel

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Die KInder aus der Klasse 6c.

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„Alle Kinder sollen ihren Geburtstag feiern dürfen.“ Pinar Madenci

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„Ich wünsche mir, dass meine Familie und meine Freunde gesund bleiben.“ Michelle Davran

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„Arme sollen ein Zuhause bekommen, meine Familie soll gesund bleiben.“ Malika Obeidi

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„Es soll keinen Hunger mehr auf der Welt geben. Das mag ich nicht.“ Marcel Juranovic

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„Ich möchte, dass es keine Gewalt mehr auf der Welt gibt.“ Eileen Ogilvie

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„Ich möchte, dass jeder Mensch so akzeptiert wird, wie er ist.“ Neslisah Gülsoy

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„Ich wünsche mir mehr Freizeitangebote für arme Familien.“ Christopher Scholl

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„Die Kerb in Essenheim soll größer werden. Die ist richtig, richtig klein.“ Jannik Eckart

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„Jeder Mensch soll eine nette Familie haben.“ Dominik Reinhold

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„Alle Kinder brauchen eine Familie zum Trösten, Spielen und Liebhaben.“ Elias Popal

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Das ist übrigens der Klassenlehrer: Matthias Schäfer.

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Sie alle finden Gehör in den Medien. Aber wie ist das mit den Kindern selbst? Was wünschen sie sich? Wie kann ihre Umwelt kinderfreundlicher werden? Zum Weltkindertag fragte unsere Zeitung nach: 20 Jungen und Mädchen der Klasse 6c an der Realschule auf dem Mainzer Lerchenberg antworteten stellvertretend für Kinder in Rheinland-Pfalz.

„Ich wünsche mir, dass sich meine Eltern mal frei nehmen und wir alle was gemeinsam machen“, erzählt Michelle – und tritt eine Lawine los: „Es wäre schön, wenn meine Mutter mehr zu Hause wäre“, „Mein Vater muss viel arbeiten, wir haben ein Lokal. Ich hätte gern, dass er mehr bei mir ist“.

Überraschend: Es geht den Kindern nicht um ein neues Handy, ein tolles Computerspiel oder schicke Klamotten. Die Familie ist ihnen Kindern wichtig. Sie vermissen die arbeitenden Eltern. Die sollen öfter was mit ihnen unternehmen. „Meine Mutter arbeitet nur Vormittags. Ich verbringe viel Zeit mit ihr“, sagt Marcel. „Sie spielt viel mit mir. Das finde ich toll.“

Klassenlehrer Matthias Schäfer hat aus der Anfrage unserer Zeitung gleich ein Unterrichtsprojekt gemacht. Im Vorfeld schrieben die Elf- und Zwölfjährigen schon mal ihre Wünsche auf Plakate, nun sitzen sie im Kreis und erzählen – auch von den Geschwistern.

„Wenn meine Eltern einkaufen, passe ich auf meine Brüder auf. Aber die hören nicht auf mich. Das finde ich nicht richtig“, sagt Malika. „Mein Bruder kümmert sich nicht um sein Haustier, ich mache das dann“, beklagt Michelle. Mehr Rücksichtnahme unter Geschwistern, das finden viele wichtig, manchen fehlt es offenbar.

„Schimmel haben wir auch“

Das eigene Zuhause bleibt weiter Thema: „Die Wand hinter dem Bett von meiner Mama ist ganz schimmelig, aber der Vermieter macht nichts. Dabei habe ich Asthma.“ Es ist besser, hier den Namen des Kindes nicht zu nennen. „Schimmel haben wir auch“, kommt es von anderer Seite. Aber niemand tut was.„ Eine Frage in die Runde offenbart: Nur sechs von 20 Kindern fühlen sich wohl in den eigenen vier Wänden. Dabei geht es nie um ein größeres Zimmer. Es ist der Schimmel, oder es sind die Nachbarn. “Ich kann nachts nicht schlafen, weil die sich so laut streiten„, meint Neslisah.

Nicht immer gelingt es den Schülern, zu formulieren, wie ihr Leben schöner werden könnte. Aber im Grunde wird das schon klar, wenn sie von den Missständen berichten, gerade wenn es ums eigene Heim geht.

Ein noch größeres Thema allerdings sind die Spielplätze. Das treibt die 6c im Gespräch am längsten um. “Die sind gefährlich, dreckig und eklig„, bringt es Celina auf den Punkt. “Da sitzen so Penner mit Bier in der Hand„, meint ein Mädchen. Und: “Drei Jungs machen immer in unseren Sandkasten.„ Gefährliche Klettergerüste, langweilige Spielgeräte, jugendliche Randalierer: “Man müsste ein großen Zaun um die Spielplätze machen, und jeder kriegt einen Schlüssel und ein Passwort„, schlägt Teresa vor. “Wie wäre es mit Kameras zur Überwachung?„, fragt der Klassenlehrer. Neun Kinder sind dafür. Elias hat Bedenken: “Da fühlt man sich so beobachtet.„

Jugendzentren, Sportvereine und Aktionen wie die Ferienkarte im Sommer bekommen viel Lob in der 6c. Jannik jedoch lebt im rheinhessischen Hinterland. Er ist nicht so zufrieden: “Ober-Olm ist sehr abgestorben. Die bieten nie was in den Ferien an.„ Die Mädchen würden gerne reiten. “Aber das ist sehr teuer„, hat Michelle festgestellt. Auch Tanzunterricht sie kostspielig. “Da müsste es billigere Angebote geben.„

Gerade hier kommen auch Arm und Reich zur Sprache. “Ich finde die Reichen bekloppt„, sagt Malika sehr entschieden, “die kaufen sich immer neue Sachen und schmeißen die alten weg, obwohl die noch gut sind. Die könnten sie ja den Armen geben.„ – “Die Reichen sollten mehr machen für die Armen„, stimmt Elias zu. “Ich wünsche mir, dass die Armen in die Welt der Reichen kommen und die Reichen in die Welt der Armen. Damit die mal wissen, wie das wirklich ist„, schlägt Salma vor.

Alle Vorurteile entkräftet

Matthias Schäfer staunt. Vier Schulstunden lang sitzen seine Schützlinge da, erzählen engagiert und hören konzentriert zu. Niemand klinkt sich aus oder stört. “Das hätte ich nicht gedacht." In seiner Stimme schwingt Stolz mit. Die 6c hat so ziemlich alle Vorurteile entkräftet, die in Sachen Schüler im Umlauf sind. Die Kinder wollen keinen Luxus, sondern Zuwendung, keine Riesenzimmer, sondern Wohnungen, die nicht krank machen. Saubere, sichere und spannende Spielplätze wären schön – und Reiche, die sich nicht bekloppt benehmen. Nun sind die Erwachsenen dran: Macht was! Gerd Blase