Am Ende der Kubakrise stand eine Lüge

Kubakrise 1962
Ein Aufklärungsflugzeug der US-Marine fliegt über das US-Kriegsschiff USS-Barry (vorne) und den sowjetische Frachter Anosow. Die Raketenkrise rückte Kuba 1962 ins Zentrum des Weltgeschehens. Foto: Arc

Vor 50 Jahren verhinderte US-Präsident Kennedy durch geheime Absprache einen Atomkrieg mit der Sowjetunion. Unser USA-Korrespondent Frank Herrmann berichtet zum Jahrestag über die Kubakrise.

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Washington. Ein nervöses Lachen ist zu hören, dazu eine Stimme, die merkwürdig blechern klingt, was wohl an der schlechten Tonbandqualität liegt. „Da sind Sie aber zusammen mit mir drin, Sie persönlich“, erwidert John F. Kennedy seinem Luftwaffenchef, der seine Analyse mit dem Satz beendete, dass der Präsident ganz schön in der Klemme sitze.

„Diese Blockade und die politischen Handlungen, ich sehe das geradewegs im Krieg enden“, hatte der General Curtis Lemay soeben orakelt. „Es wird direkt zum Krieg führen. Das ist fast so schlimm wie das Appeasement in München.“

Kubakrise 1962
Luftaufnahme von sowjetischen Raketenabschussrampen, Raketentransportern und Tanklagern auf Kuba im Oktober 1962.
Foto: Archiv

Kennedy ließ sie Wort für Wort aufzeichnen, die Diskussionen, die er mit seinen wichtigsten Beratern und den höchsten Militärs führte, als die Kubakrise beide Supermächte gefährlich nah am Rand eines atomaren Konflikts wandeln ließ.

50 Jahre später hat das Nationalarchiv in Washington rund um die freigegebenen Bänder eine Ausstellung organisiert, deren Titel allein schon die Dramatik des Krisenherbstes 1962 bündelt – „To the Brink“, „Auf den Abgrund zu“.

„Heute früh habe ich die Streitkräfte widerstrebend angewiesen, die nuklearen Stellungen in Kuba anzugreifen“, steht im Entwurf einer Rede, die der US-Präsident zum Glück nie zu halten brauchte.

Über Raketen auf Kuba gemunkelt

Seit August 1962 hatte man über sowjetische Raketen auf der Karibikinsel gemunkelt, doch erst am 16. Oktober herrscht Gewissheit. Morgens um 8.45 Uhr betritt Sicherheitsberater McGeorge Bundy die Privaträume des Weißen Hauses, wo JFK im Morgenmantel sitzt, um dem Staatschef eindeutige Luftbilder zu zeigen, aufgenommen von den Kameras des Spionageflugzeugs U-2.

Die Gerüchte stimmen, beweisen die Fotos, dass es tatsächlich sowjetische Atomraketen in Kuba gibt. Noch bezweifelt Kennedy, dass sie eine akute Bedrohung darstellen. „Was macht das schon für einen Unterschied? Sie (die Sowjets – Red.) haben doch sowieso schon genug, um uns in die Luft zu jagen“, zitiert ihn der Buchautor Peter Beinart.

Die Generäle dagegen, geprägt vom Zweiten Weltkrieg, vergleichen die Lage mit dem Münchener Abkommen des Jahres 1938, als Briten und Franzosen Hitler zu beschwichtigen versuchten, indem sie fatale Zugeständnisse machten.

Männer wie Lemay drängen auf einen Militärschlag, während JFK um diplomatischen Spielraum ringt. Eine Attacke, fürchtet er, würde automatisch zu einer Invasion führen, und eine gescheiterte Invasion, 1961 von Exilkubanern unter Ägide der CIA in der kubanischen Schweinebucht versucht, sitzt ihm noch in den Knochen.

Johns Bruder Robert, der Justizminister, warnt indes vor der Macht des Kongresses: Würde man Fidel Castro erlauben, Raketen zu besitzen, die von Washington bis nach Dallas amerikanisches Festland erreichen, würden die Abgeordneten nicht zögern und den Präsidenten seines Amtes entheben.

Nach langen Beratungen behalten die Tauben, wie Robert sie nennt, die Oberhand über die Falken. Beschlossen wird eine Seeblockade: US-Kriegsschiffe fangen sowjetische Frachter ab, bevor Letztere zusätzliche Waffen nach Kuba bringen können.

Harte Sprache der Militärs

„Die 30er-Jahre haben uns eine klare Lektion gelehrt“, sagt JFK, als er sich am 22. Oktober an seine Landsleute wendet. „Aggressives Auftreten führt zum Krieg, wenn es nicht behindert und herausgefordert wird.“ Nach außen hin bedient er sich der harten Sprache seiner Militärs, während Unterhändler hinter den Kulissen an einer Lösung basteln.

Am 27. Oktober trifft Robert Kennedy den sowjetischen Botschafter Anatoli Dobrynin, um einen Deal zu besprechen. Moskau soll seine Raketen abziehen, dafür garantiert Washington, Kuba nicht anzugreifen und obendrein US-Jupiter-Raketenstellungen in der Türkei zu demontieren. Letzteres, betont der Minister, muss geheim bleiben, damit es nicht so aussieht, als wäre es Teil eines Tauschgeschäfts.

Weil sich beide Seiten tatsächlich jahrelang über den Jupiter-Deal ausschweigen, sieht es so aus, als habe das Weiße Haus auf ganzer Linie gewonnen, ohne auch nur um einen Zentimeter zu weichen. Der altgediente Stratege Leslie Gelb, Ehrenvorsitzender des renommierten Council on Foreign Relations, spricht von der Geburt eines Mythos, einer Verklärung mit weitreichenden Folgen.

Jeder US-Präsident, schreibt Gelb, müsse sich seitdem am Triumph Kennedys messen lassen, was Zugeständnisse – etwa im Streit um das iranische Atomprogramm oder die Machtbeteiligung der Taliban in Afghanistan – deutlich erschwere. „US-Politiker mögen keine Kompromisse, und ein falsches Verständnis jener 13 Tage im Oktober 1962 hat eine Menge damit zu tun.“

Von unserem USA-Korrespondenten Frank Herrmann