Koblenz/Saarlouis

Ein Urteil, aber kein Ende: Wird der Fall Yeboah je aufgearbeitet sein?

Von Katja Sponholz, Mona Wenisch
Prozess um Brandanschlag auf Asylbewerberheim
Im November vergangenen Jahres begann der Yeboah-Prozess am Oberlandesgericht Koblenz – hier ein Foto vom Auftakt. Etliche Verhandlungstage folgten. Jetzt wird das Urteil erwartet. Foto: Thomas Frey/dpa

Es ist ein Prozess der großen Zahlen: Mehr als 30 Jahre nach einem tödlichen Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Saarlouis wird Anfang Oktober das Urteil gegen den Tatverdächtigen erwartet. Es ist dann 32 Jahre her, dass der Asylbewerber Samuel Yeboah bei der rassistischen Tat starb. Der Prozess am Oberlandesgericht Koblenz dauerte fast ein Jahr. Eine Zusammenfassung.

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Die ursprünglichen Ermittlungen hatte die saarländische Polizei vor rund 30 Jahren zunächst eingestellt – und sich später für Defizite ihrer Arbeit entschuldigt. Dass der Fall nach so vielen Jahren doch noch vor Gericht landete, ist einer Verkettung von Ereignissen zuzuschreiben – und der mutmaßlichen Unvorsichtigkeit des Angeklagten. 2007 soll der heute 52 Jahre alte Deutsche auf einem Grillfest zu einer Zeugin gesagt haben: „Das war ich, und sie haben mich nie erwischt.“

Wie es zur Anzeige kam

Doch wieder vergingen einige Jahre. Erst 2019 habe die Zeugin laut eigener Aussage im Internet gelesen, „dass da jemand verbrannt ist“. Es war der 27-jährige Samuel Yeboah, Asylbewerber aus Ghana. Zwei andere Hausbewohner brachen sich Knochen beim Sprung aus einem Fenster. Erst dann habe die Frau Anzeige erstattet. Im Prozess hatte der Vorsitzende Richter Konrad Leitges gesagt: „Wenn Sie es nicht gemacht hätten, dann säßen wir heute nicht hier.“

Auch der Prozess dauerte bereits eine Weile, bis der Angeklagte sich zu der Brandnacht am 19. September 1991 äußerte. Er bedauere den Vorfall „zutiefst“, hieß es in der von seinem Anwalt vorgelesenen Einlassung im Mai. Er sei am Tatabend stark angetrunken gewesen. Gelegt habe er den Brand aber nicht – er sei nur dabei gewesen. Angezündet habe das Haus ein damaliger Bekannter aus der Neonaziszene. Die Verteidigung fordert daher eine Verurteilung wegen Beihilfe. Die Anklage wirft ihm allerdings vor, das Feuer aus rassistischer Gesinnung gelegt zu haben und fordert eine Strafe wegen Mord.

Die Verteidigung sprach in ihrem Plädoyer von einem orientierungslosen, nach Anerkennung suchenden jungen Mann, der Anfang der 90er-Jahre „gewissermaßen zufällig“ in die rechte Szene geraten sei. Die Gegenseite sagte hingegen, der Angeklagte habe eine bis heute „tief verwurzelte rechtsextreme Gesinnung“.

Bei dem Urteil am 9. Oktober wird aller Voraussicht nach Jugendstrafrecht angewandt werden. Da der Angeklagte zum Tatzeitpunkt erst 20 Jahre alt war, hatten Gutachterinnen dies empfohlen. Die Höchststrafe liegt demnach bei zehn Jahren.

Obwohl es noch keinen Urteilsspruch gebe, habe der Verhandlungsverlauf nach Ansicht von Peter Demmer, SPD-Oberbürgermeister von Saarlouis, eines bereits zweifelsfrei gezeigt: Dass am 19. September 1991 in Saarlouis „ein rassistischer Brandanschlag“ verübt worden sei.

„Von dem Prozessende in Koblenz erwarte ich nun ein klares Urteil, das dieser Tatsache Rechnung trägt“, sagte Demmer. Gleichwohl gebe es nach wie vor offene Fragen zur Tatnacht und möglichen Mittätern. Deshalb gehe er davon aus, dass die Ermittlungen zum Brandanschlag damit noch nicht abgeschlossen sein werden. „Ich wünsche mir, dass die deutsche Justiz am Ende ein möglichst umfassendes Bild der Tat und ihrer Hintergründe gezeichnet haben wird und dass auch entsprechende Urteile für alle Beteiligten gesprochen werden.“

Zurzeit sitzt ein damaliger Bekannter des Angeklagten – nicht der von ihm Beschuldigte – in Untersuchungshaft. Gegen ihn besteht laut Bundesanwaltschaft der Verdacht der Beihilfe zum Mord und der Beihilfe zu versuchtem Mord. Er soll den Angeklagten mit seinen Aussagen zu der Tat beeinflusst und bestärkt haben. Auch die Wohnung eines dritten Verdächtigen war zwischenzeitlich durchsucht worden.

Daher gebe es noch zwei weitere Verfahren, bei denen sein Mandant voraussichtlich als Zeuge beteiligt sein werde, sagte Verteidiger Guido Britz. „Da tritt dann keine Ruhe ein.“ Das „Leben danach“ vorzubereiten, stehe dennoch im Vordergrund. „Der Prozess war langwierig“, sagte Britz. Dennoch habe es eine geständige Einlassung gegeben. Oberbürgermeister Demmer hofft, dass die Opfer vom 19. September 1991 und ihre Hinterbliebenen mit diesem späten Urteil „zumindest aus juristischer Sicht ein Stück Gerechtigkeit erfahren“.

Am Jahrestag hatten die Kreisstadt und das Land bei einer gemeinsamen Gedenkstunde am damaligen Tatort der Opfer des Brandanschlags gedacht. „Der Blick zurück offenbart, dass die Stadtpolitik den Opfern der Anschläge in der Vergangenheit nicht mit ausreichend Empathie begegnet ist“, hatte Demmer gesagt.

Entschuldigung bei Betroffenen

Das fehlende Einfühlungsvermögen habe die Leiden der Opfer verstärkt. „Dieser Tatsache sind wir uns heute bewusst, und das tut uns leid“, so der Oberbürgermeister. Im Namen der Kreisstadt Saarlouis entschuldige er sich dafür bei den Betroffenen.

Auch politisch werde im Untersuchungsausschuss des Landtages nach Ansicht von Sozialstaatssekretärin Bettina Altesleben (SPD) „ein dunkler Fleck in der saarländischen Geschichte ausgeleuchtet werden“. Die Landesregierung setze mit einem Entschädigungsfonds ein wichtiges Zeichen, dass die damaligen Taten und die Fehler, die in der Folge gemacht worden seien, nicht verjährten.

Laut Demmer soll auf dem Gutenbergplatz in der Saarlouiser Innenstadt ein Mahnmal für die Opfer von Hass, Diskriminierung und Gewalt entstehen und dort „ein zentrales Element einer kompletten Neugestaltung des Platzes sein“. Doch ein Ende der Aufarbeitung des rassistischen Brandanschlags 1991 in Saarlouis ist auch mit der Urteilsverkündung am 9. Oktober noch nicht in Sicht.