Nausau/Rhein-Lahn

Vorstand der Stiftung Scheuern: Menschen schätzen diakonische Angebote

Pfarrer Gerd Biesgen, theologischer Vorstand der Stiftung Scheuern und Diakonie-Beauftragter des evangelischen Dekanats Nassauer Land, warnt vor einer Schwächung diakonischer Standards.
Pfarrer Gerd Biesgen, theologischer Vorstand der Stiftung Scheuern und Diakonie-Beauftragter des evangelischen Dekanats Nassauer Land, warnt vor einer Schwächung diakonischer Standards. Foto: Dekanat Nassauer Land/Matern

Die Menschen in Deutschland erwarten von Kirche – ob Mitglied oder nicht –, dass sie sich diakonisch engagiert. Das ist ein Ergebnis der jüngsten Kirchenmitgliedschafts-Untersuchung (KMU), die die evangelische Kirche in Deutschland mit der Deutschen Bischofskonferenz vergangenes Jahr vorgelegt hat und die erstmals die Gesamtbevölkerung, also auch katholische und konfessionslose Personen mit einschließt.

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Trotz rückläufiger Steuereinnahmen ist das laut Pressemitteilung des Dekanats Nassauer Land auch im Rhein-Lahn-Kreis nach wie vor in nicht unerheblichem Maße der Fall. Ein konkretes Beispiel: die Stiftung Scheuern, mit mehr als 1200 Mitarbeitenden einer der größten Arbeitgeber im Rhein-Lahn-Kreis. Pfarrer Gerd Biesgen, theologischer Vorstand der Stiftung, warnt angesichts der angespannten Haushaltslage des Landes und kirchlicher Sparpläne aber vor einem Rückbau von Standards, die bereits erreicht wurden.

„Welche Lobby haben Menschen mit Behinderung, Beeinträchtigung, Handicap und Unterstützungsbedarf heute?“, fragte Biesgen jüngst vor der Synode des evangelischen Dekanats Nassauer Land mit Blick auf die im kommenden Jahr bevorstehende Jubiläumsfeier zum 175-jährigen Bestehen der Stiftung. Als er vor zehn Jahren als Direktor begann und sich im Haushalt der Stiftung nach vielen Jahren erstmals ein Defizit auftat, sei das Land mit einer Erhöhung des Vergütungssatzes helfend zur Seite gesprungen.

„Das wäre heute überhaupt nicht mehr möglich“, so Biesgen. Die noch vor 15 Jahren geschmiedeten Pläne der Landesregierung – damals unter der Sozialministerin Malu Dreyer –, dass es „Heime“ wie in Scheuern womöglich gar nicht mehr brauche, hätten sich nicht in diesem Umfang realisieren lassen. „Wenn ich mir die finanzielle Großwetterlage im Land anschaue, vermute ich eher, dass in den nächsten Jahren bereits erreichte Standards wieder zurückgebaut werden“, befürchtet der Vorstand.

Geld und Fachkräfte fehlen

Zwei Hauptgründe dafür sind für ihn: das mangelnde Geld und die fehlenden Fachkräfte. Von einer Zeit der „Polykrise“ spricht Biesgen, in der sich die Einrichtung behaupten müsse. „Wir leben in einer Welt, die unbeständig, unsicher, komplex und mehrdeutig ist.“ Erschwerend komme eine Bürokratie hinzu, die nicht abgebaut wurde, sondern zugenommen habe.

Dabei will er den Schwarzen Peter nicht allein der Politik zuschieben; die Kirche selbst baue in nicht unerheblichem Maße Bisheriges ab, erinnert er an den Entwicklungsprozess „ekhn.2030“ der Landeskirche. Er freue sich, dass Kirche trotz Mitgliederschwund nach der KMU auch bei Ausgetretenen nach wie vor dort positiv besetzt ist, wo ein tätiges, spürbares Helfen von Menschen in Not sichtbar wird.

„Wenn ich mir die finanzielle Großwetterlage im Land anschaue, vermute ich eher, dass in den nächsten Jahren bereits erreichte Standards wieder zurückgebaut werden.“

Pfarrer Gerd Biesgen, theologischer Vorstand der Stiftung Scheuern

Ein unverrückbarer Kernsatz, der sich auch in der Präambel der Stiftungssatzung finde. Aber dieser Erwartung stehe die reale Entwicklung entgegen. Froh zeigt sich der Diakoniebeauftragte des evangelischen Dekanats Nassauer Land dagegen, dass der KMU zufolge kirchlich verbundene Menschen eine weitaus größere Bereitschaft hätten, sich ehrenamtlich zu engagieren als säkular geprägte. „Ohne diese könnten manche Angebote wie etwa die Tafeln gar nicht mehr existieren“, so Biesgen; und auch in der Stiftung sei ehrenamtliches Engagement eine wichtige Unterstützung.

Die Stiftung selbst werde sich als Konsequenz aus Personalmangel und rückläufigen staatlichen und kirchlichen Mitteln im 175. Jahr ihres Bestehens deutlich stärker mit Themen wie Digitalisierung, Künstlicher Intelligenz und dem Einsatz von Robotik in Fragen der Pflege befassen müssen, „um hoffentlich ein den Menschen angemessenes Fachniveau einigermaßen halten zu können“.

Kirche und Diakonie sind eng verbunden

Positiv sieht er die wachsende Verzahnung von Kirche und Diakonie, gerade in der Region. Scheuern werde aufgrund seiner Größe vielleicht als eigener Player wahrgenommen, sei aber längst kein Sozialkonzern wie andere bundesweit agierende Einrichtungen. „Wir Scheuerner sind durchaus nach wie vor ein regionaler diakonischer Anbieter“, bekräftigt Biesgen.

Er bedaure, dass Kirche und Diakonie in ihren Verfasstheiten und Strukturen aufgrund langfristiger geschichtlicher Entwicklungen sich nicht „unerheblich voneinander entfernt“ hätten. „Ich freue mich jedenfalls, wo das Miteinander erhalten bleibt oder sogar verbessert wird“, so der Vorstand, wofür im Dekanat Nassauer Land mit der regionalen Arbeitsgemeinschaft Diakonie und Kirche die Weichen in die richtige Richtung gestellt seien. Biesgen ist im Auftrag der Dekanatssynode Vorsitzender der AG.

Seine Hoffnung ist, dass Staat und Kirche auch im 175. Jahr der Stiftung Scheuern dem vor 30 Jahren im Grundgesetz verankerten Zusatz gerecht bleiben: „Niemand darf aufgrund seiner Behinderung benachteiligt werden“.

„Die Kirchen sollten Beratungsstellen für Menschen mit Lebensproblemen betreiben.“ Dieser Aussage stimmen in der sechsten Kirchenmitgliedschafts-Untersuchung nicht nur evangelische und katholische Mitglieder zu, sondern auch fast 80 Prozent konfessionsloser Menschen.