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Loreley/Nastätten

Juniorwahl: Wie Schüler in Nastätten und an der Loreley abgestimmt haben

Juniorwahl im Land Bremen
Die Juniorwahl findet jedes Jahr in Tausenden Schulen in der Bundesrepublik statt. Sie erhöht nicht nur die Wahlbeteiligung bei Erstwählern, sondern gilt auch als Kompass für die politische Orientierung der jungen Wählerschaft. Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa

Die Juniorwahl bietet Jugendlichen eine spannende Gelegenheit, Demokratie hautnah zu erleben. Auch in den Verbandsgemeinden Loreley und Nastätten nahmen drei Schulen am bundesweiten Projekt teil. Die Ergebnisse sind so unterschiedlich wie überraschend. Doch überall ist klar: Die AfD ist auch in die politische Wahrnehmung von Jugendlichen eingezogen. Das sind die Ergebnisse und die Hintergründe.

Lesezeit: 5 Minuten
Wilhelm-Hofmann-Gymnasium in St. Goarshausen: Am Wilhelm-Hofmann-Gymnasium in St. Goarshausen haben die Klassen zehn bis zwölf an der Juniorwahl teilgenommen. Es gab 181 Wahlberechtigte, 137 haben ihre Stimme abgegeben, was einer Wahlbeteiligung von 75,7 Prozent entspricht. Seit dem zweiten Schulhalbjahr wurden die Schüler thematisch auf die Wahlen vorbereitet, berichtet Katharina Wroblewski, ...
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Kommunalwahl in Nastätten: 17-Jährige wählt und hilft zum ersten Mal

Ziemlich aufgeregt ist Sara Shehim, als sie von der Aufgabe erzählt, die ihr bevorsteht. Sie ist eine von insgesamt 25 Schülerwahlhelfern in der Verbandsgemeinde Nastätten, die bei der Europa- und Kommunalwahl beim Auszählen und Erfassen der Stimmen helfen. Die 17-Jährige hat sich auf den Aufruf von VG-Bürgermeister Jens Güllering gemeldet, die „Mutter aller Wahlen“ auf besondere Art hautnah zu erleben.

Sara ist Schülerin der 10. Klasse an der Nicolaus-August-Otto-Schule in Nastätten, und als ihr Geschichtslehrer von dem Projekt berichtet, an dem auch das Wilhelm-Hofmann-Gymnasium in St. Goarshausen teilnimmt, ist für sie schnell klar: Da will ich mitmachen. Sara ist mit einer weiteren Schülerin Teil des zwölfköpfigen Teams, das für die diesjährigen Wahlen im Wahlbezirk 3 im Nastätter Bürgerhaus zuständig ist. Für sie ist es selbstverständlich, am Wahlhelferprojekt mitzuwirken. Nach dem Anmeldeprozedere bekommen die 25 Schülerinnen und Schüler eine Schulung im EDV-Programm. Sie sollen bei der Auszählung die Stimmen zur Kommunalwahl am Computer erfassen.

„Wir sind froh, dass wir sie haben“, betont Wahlvorständin Anke Sorg im Wahllokal im Bürgerhaus, „vor allem bei der Umstellung auf das neue Erfassungssystem freuen wir uns, wenn uns junge Leute, die einen guten Zugang zur Technik haben, unterstützen.“ Auch sei es immer schwieriger, Wahlhelfer zu finden. Deshalb sei es umso erfreulicher, dass sich Schüler melden und mitmachen wollen, unterstreicht Sorg.

Es geht schließlich auch um unser Leben und unsere Zukunft.

Sara Shehim ist froh, dass sie bei der Europawahl ihre Stimme abgeben darf

„Ich bin sehr neugierig, wie die Wahlen ablaufen“, erzählt Sara im persönlichen Gespräch mit unserer Zeitung, „vor allem weil ich in diesem Jahr zum ersten Mal auch mitwählen darf. Ich freue mich, dass ich direkt mithelfen kann. Das ist echt toll.“ Bevor Saras Dienst im Wahllokal im Bürgerhaus um 17.30 Uhr beginnt, will sie selbst noch ihr Kreuzchen bei der Wahl des Europaparlaments setzen. Sie ist eine von 293 Erstwählern unter 18 in der VG Nastätten, die dieses Jahr zum ersten Mal mitbestimmen können. „Ich finde es richtig gut, dass wir Jugendlichen mitwählen dürfen“, betont Sara. Man fühle sich endlich miteinbezogen und dürfe auch mitentscheiden, „es geht ja schließlich auch um unser Leben und unsere Zukunft“, erklärt die Schülerin und freut sich auf die Premiere.

Die Europapolitik stand in den vergangenen Wochen in der Schule im Fokus. Bei der Juniorwahl, einer deutschlandweiten Wahlsimulation für Schüler, konnten Heranwachsende das Kreuzchensetzen und Auseinandersetzen mit politischen Inhalten einüben. Auch Sara nahm mit der IGS Nastätten teil. Und wie steht es um das Wissen zur Kommunalpolitik? „Hmm, ehrlich gesagt sehe ich bisher den Fokus auf der Europawahl. Über die Kommunalpolitik haben wir in der Schule auch nicht viel gesprochen“, gibt Sara zu. Welche Gremien und Ämter heute vergeben werden, das hat sie sich erst anlesen müssen.

Politische Prägung im Elternhaus mitbekommen

Im persönlichen Gespräch erlebt man Sara als politisch stark interessiert, sie weiß viel über politische Verhältnisse und Themen, setzt sich intensiv mit Inhalten auseinander. Besonders interessieren sie soziale Gerechtigkeit und Zugang zur Bildung, erzählt sie. „Das habe ich von meinem Vater. Er kam vor vielen Jahren mit meiner Mutter aus Äthiopien nach Deutschland, berichtet viel von den politischen Verhältnissen dort“, erklärt die 17-Jährige. Dabei wurde der Schülerin erst spät klar, wie die Welt da draußen so tickt. In Nastätten geboren, wächst sie behütet auf. Ja, sie kennt Rassismus und Ungerechtigkeit, weiß aber noch nicht, dass sie damit auf der Welt nicht allein ist.

Mit 13 zeigt ihr ein intensives Gespräch mit ihrem Vater, wie die Welt in Wirklichkeit aussieht. „Er erzählte von Macht, Armut, den Mechanismen der Wirtschaft, auf wessen Kosten es uns hier so gut geht, aber auch von der Bedeutung von Bildung und dem großen Privileg, hier leben und auch wählen zu dürfen“, erinnert sich Sara noch genau. „Ich war geschockt, traurig, desillusioniert und wollte eigentlich nie wählen gehen, weil ich dachte, es bringt nichts, die Politik will nichts ändern an diesen Systemen.“

Aber ich verschenke meine Stimme nicht und wähle für meine Zukunft.

Sara Shehim hat gezögert, ob sie überhaupt wählen soll

Doch nach vielen Gesprächen und intensiver Auseinandersetzung mit Politik kommt Sara zu dem Schluss, dass ihre Stimme doch etwas zählt. „Ich finde immer noch die Politik der Parteien schrecklich. Ich finde, es sind noch zu viele Menschen an der Macht, die uns in Gefahr bringen. Aber ich verschenke meine Stimme nicht und wähle für meine Zukunft“, betont sie entschlossen.

Die Wahl in der VG Nastätten in Zahlen

4,8 Millionen Menschen im Alter zwischen 16 und 21 Jahren in Deutschland dürfen in diesem Jahr zum ersten Mal bei der Europawahl mitentscheiden. In der VG Nastätten sind dafür 293 Erstwähler unter 18 Jahren registriert. Insgesamt dürfen 13 754 Bürger im Blauen Ländchen ihre Stimme fürs Europaparlament abgeben. 13 372 Bürger wählen den Kreistag, 13 336 Stimmberechtigte dürfen über die Zusammensetzung des Verbandsgemeinderats entscheiden. 9869 Wähler dürfen über die Gemeinderäte und die Ortsbürgermeister in 31 Gemeinden entscheiden, 3429 Nastätter wählen ihren zukünftigen Stadtrat und den Stadtbürgermeister für die nächsten fünf Jahre.

Kommentar zur Juniorwahl: Die Wähler von morgen schon heute nicht vergessen

Die Juniorwahl scheint für viele unbedeutend. Es ist ja keine richtige Wahl, heißt es oft. Und die Jugendlichen dürfen ja auch noch nicht wählen.

Moment: Zum einen gilt die Juniorwahl als Kompass für die Trends bei der jungen Wählerschaft. Zum anderen durften die über 16-Jährigen dieses Jahr auch bei der Europawahl zur Urne gehen. Danach vielerorten Staunen bis Schock über die hohen Stimmzahlen für die AfD und das schlechte Abschneiden der Grünen. Der desaströse Tiefflug der Grünen nach dem gerade bei jungen Zielgruppen so himmelhochjauchzenden Ergebnis 2019 mag dem gegen Krisen und Kriege verblassten Klimathema geschuldet sein. Aber auch und gerade die alteingesessenen Parteien müssen den Finger auf sich richten, wenn es um die jungen Wähler zwischen 16 bis 21 Jahren geht, die ihr Kreuzchen bei der AfD gesetzt haben.

Zwar profitiert die CDU auch bei den jungen Wählern vom bundesweiten Konservativtrend, doch sichtbar war sie für die Jugendlichen nicht. Schaut man in Studien, die sich mit den Informationswegen junger Menschen beschäftigen, stehen Youtube, Tiktok und Instagram ganz oben auf der Liste. Dreimal darf man raten, wo die AfD am stärksten präsent ist und wo man die ehemaligen Volksparteien mühsam, wenn nicht sogar vergebens suchen muss. Ein Politiker mit bekanntem Namen sagte mir in einem persönlichen Gespräch vor einigen Monaten, soziale Netzwerke interessierten ihn nicht, das sei nicht seine Zielgruppe.

Spätestens jetzt – und allerspätestens zur nächsten Wahl – sollte sich diese Einstellung ändern, wenn man als Altpartei den rechten Meinungsmachern Paroli bieten will. Denn die Wähler von morgen schauen schon heute zu und bilden sich eine Meinung. Sie warten nicht erst auf die nächste Generation von Politikern, die verstanden haben, dass sie ihre Inhalte auch über die sozialen Netzwerke kommunizieren sollten.

E-Mail: marta.froehlich@rhein-zeitung.net

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