Jörg Haseneier ist 53 Jahre alt, wurde in Moselweiß geboren. Er ist nicht verheiratet, hat keine Kinder. Seit 1989 ist Haseneier in der Kommunalpolitik aktiv, als Verbandsgemeinderatsmitglied, war später auch als Beigeordneter der Verbandsgemeinde Montabaur tätig. Seit 2004 ist Haseneier Bürgermeister in Simmern/Westerwald. Er ist Vorsitzender des CDU-Gemeindeverbands Montabaur. Der Rechtsanwalt mit den Schwerpunkten Strafrecht, Verkehrsrecht und Verwaltungsrecht geht in der Freizeit gern auf die Jagd, Laufen oder Golfspielen.
Wie wird sich der Klimawandel in der Stadt Boppard bemerkbar machen?
Jörg Haseneier: Der Klimawandel wird sich letztendlich genauso bemerkbar machen, wie überall anders auch. Wir müssen in der Sache zwar global denken, aber auch lokal handeln. Wir müssen es irgendwie schaffen, klimaneutral zu werden, das heißt CO2 runter.
Wie wollen Sie als Bürgermeister den Folgen des Klimawandels entgegenwirken?
Wie der Klimawandel sich bemerkbar macht, hängt auch davon ab, wie hoch der CO2-Ausstoß eigentlich ist. Den müssten wir für die Stadt Boppard erstmal berechnen, deswegen bin ich auch direkt dafür, dass man endlich einen Klimaschutzbeauftragten einstellt. (Anm. der Redaktion: Der Stadtrat hat bereits beschlossen, diese Stelle zu besetzen.) Wenn ich nicht weiß, wie viel ich ausstoße, kann ich auch nicht gegensteuern. Das Ziel muss es sein, CO2 zu vermeiden, wo es nur geht. Das heißt letztendlich, ganz einfach gesagt: Licht aus. Das will natürlich niemand. Das CO2, das ich nicht vermeiden kann, muss ich an anderer Stelle ausgleichen können. Etwa das von Fahrzeugen, bei Betrieben und Schulen. Boppard tut ja schon viel: Ob es die Umstellung auf LED-Beleuchtung ist, E-Fahrzeuge oder Radwegenetze – das ist sicherlich alles richtig. Und es gibt sicher auch kleine Dinge, die eine Rolle spielen können, wie etwa Streuobstwiesen. Aber wenn man das Thema ernst nehmen will, muss das Stadtbild grüner werden. Fotosynthese ist ein ganz einfaches Spiel. Wir müssen die Klimaveränderung auch in den Bebauungsplänen berücksichtigen. Da fängt es bei ganz kleinen Dingen an. Ich kann es immer noch nicht verstehen, dass man einen Kirschlorbeer in einem Baugebiet findet. Da geht kein Tier, kein Vogel rein, es bringt der Natur überhaupt nichts. Und man muss endlich mal lernen, dass auch in Gewerbegebieten Bäume gepflanzt werden müssen. Ein Vorschlag von mir ist ja auch, in einem Baugebiet nur Holzbauweise zuzulassen. Ein Holzhaus speichert bis zu 80 Tonnen CO2 – da sieht man mal, was man vor Ort tun kann. Wenn wir erstmal dieses Verständnis dafür bekommen, gelangen wir in die richtige Richtung. Und mit der CO2-Zertifizierung für Waldflächen könnten wir sogar Geld verdienen. Da ist richtig was möglich. (Anm. der Redaktion: Hierfür will sich Haseneier auf Landes- und Bundesebene einsetzen, wir berichteten).
In welchem dieser Bereiche sehen Sie in der Stadt den größten Handlungsbedarf: Gebäudewirtschaft, Verkehr oder Industrie?
In der Stadt Boppard ist es sicher im Verkehr. Da haben wir generell ein Problem. Wir müssen im Autobereich zu anderen Lösungen kommen. Ob das zukünftig sogar über die Schifffahrtsstraße zu lösen sein wird, wird man sehen. Da werden häufig die Alternativen Wassertaxen und Wanderbusse genannt. Ob da viel zu machen ist, wird sich zeigen. Als ich an der Uni Trier studiert habe, wurde dort gerade das Semesterticket eingeführt. Damals kamen Volkswirte zu dem Schluss, dass Busfahren eigentlich kostenfrei sein müsse. Der wirtschaftliche Vorteil für die Allgemeinheit sei viel höher, als der Erlös aus dem Verkauf der Tickets.
Sie würden sich also auf Kreisebene für einen kostenfreien ÖPNV einsetzen wollen?
Natürlich. Denn wir haben ja auch Probleme mit der Anbindung der Ortsbezirke. Das ist ein Problem im ländlichen Bereich, nicht nur in Boppard. Da ist die Frage, ob man das nicht neu denken kann. Ein Beispiel: Ich wohne derzeit noch in Simmern im Westerwald. In Vallendar fährt alle 20 Minuten der Bus. Genau an der Grenze liegt Simmern, aber hier fährt er nicht. Er könnte noch ein ganzes Gebiet abfahren, mit 8000 bis 10.000 Menschen. Geht nicht, anderes Kreisgebiet – was ist das für ein Blödsinn? Das versteht doch keiner mehr. Ein Problem ist aber auch, dass die Leute gerne Auto fahren. Wir Menschen müssen neu denken. Deshalb sage ich auch, die Kinder müssen es von früh auf anders lernen. Der Klimaschutz muss in die Schulen und Kitas rein, den Kindern vermittelt werden, dass es um ihre Zukunft geht. Erwachsene sind eben schon sehr eingefahren in gewissen Dingen.
Sehen Sie für den Klimaschutz nun die nächste Generation in der Pflicht?
Eckart von Hirschhausen hat es einmal auf den Punkt gebracht, dass die Erwachsenen es der nächsten Generation schuldig sind, unter anderem ihr Reiseverhalten zu ändern, erst recht wenn sie schon 25 Kreuzfahrten gemacht haben. Das kann er locker sagen und ich kann ihn locker zitieren. Aber in der Politik braucht man auch mal den Mut, zu sagen, dass da eine Änderung nötig ist.
Wo drängt es in Sachen Digitalisierung in der Stadt am meisten?
Das ist wahrscheinlich wie überall der Ausbau der Glasfaser. Ich bin mir nicht ganz bewusst, inwieweit das Netz ausgebaut ist, wahrscheinlich nur in Teilen. Ich habe von Firmen gehört, dass ihnen die Kapazität der Leitungen nicht reicht, um weiterzukommen. Mein Ansatz ist: Wir müssen die Digitalisierung überall vorantreiben, sonst sterben uns auch die Dörfer irgendwann aus. Schnelles Internet ist die Voraussetzung für alles, das ist die Zukunft. Denken Sie mal an Telemedizin, an Homeschooling und anderes. Meiner Auffassung nach muss man mal für das gesamte Stadtgebiet ermitteln, wie der Stand beim Ausbau der Glasfaser ist. Und dann muss man dafür sorgen, dass das gesamte Gebiet versorgt wird. 1000 Mbit pro Sekunde ist der Standard, das müssen wir in alle Häuser bekommen. Natürlich muss die Digitalisierung auch in der Verwaltung ankommen, das ist alles klar. Aber wir brauchen zuerst überall die Versorgung mit Glasfaser. Solange wir da keine Struktur haben, mit der wir das schaffen, wird es schwierig. Es wird eine Zeit lang dauern, aber wir werden es hinkriegen.
Was halten Sie von der Idee der Boppard-App, die Philipp Loringhoven im Wahlkampf vorgestellt hat?
Ich fand die Idee gar nicht schlecht, aber wahrscheinlich werden wir mehrere brauchen. Eine App kann immer nur einen Bereich abdecken. Die App, wie er sie vorgeschlagen hat, war für den Tourismus- und Freizeitbereich sowie für die Verwaltung, wenn ich das richtig verstanden habe. Da wird man sicher einiges machen können. Es darf nur nicht so ausgehen, wie mit der Corona-App, dass nichts dabei rumkommt. Wir haben mittlerweile so viele Apps auf unseren Smartphones, die wir nicht benutzen. Es muss also etwas sein, womit wir auch etwas machen können. Eine Verwaltung können sie nicht über eine App verwalten – dafür bin ich zu sehr Verwaltungsmensch. Da bin ich eher für einen neuen Auftritt der Stadt im Internet. Das hätte man schon längst umsetzen können.
Warum setzen Sie für ein neues Gewerbegebiet weiterhin auf interkommunale Gewerbegebiete mit den Nachbargemeinden, obwohl die VG Hunsrück-Mittelrhein bereits deutlich gemacht hat, dass kein Interesse besteht?
Dass kein Interesse besteht, kann man so erstmal nicht sagen. So wie ich es mitbekommen habe, hat die Verbandsgemeinde in diesem Fall gesagt, sie wollen derzeit Abstand nehmen. Ich hatte mich mit dieser Möglichkeit beschäftigt, nachdem der Stadtrat sich gegen ein Gewerbegebiet an der Autobahnabfahrt Koblenz Mitte ausgesprochen hat – aus Kosten- und Naturschutzgründen. Ich habe mir dieses Gebiet mit dem ehemaligen Forstamtsleiter Dr. Gerd Loskamp angeschaut. Ein Gewerbegebiet dort steht meiner Ansicht nach mit dem Klimaschutzkonzept der Stadt nicht im Einklang. Auch die Starkregenereignisse wurden immer wieder thematisiert. Da ist es die Frage, ob das Wasser dann das Mühltal runterknallt. Der Stadtrat hat da glaube ich eine ganz vernünftige Entscheidung getroffen. Es sollten ja auch andere Gebiete untersucht werden, etwa die Flächen rechts und links der Mühltalstraße (L 207), das Gebiet im Dreieck zwischen B 327 und A 61 nahe an der Autobahnausfahrt Waldesch und die Fläche gegenüber dem Gewerbegebiet Hellerwald auf der anderen Seite der A 61. Soweit ich weiß, liegen noch keine Ergebnisse vor. Außerdem erstellt das Land wohl gerade eine Studie, wo entlang der A 61 noch Gewerbegebiete entstehen könnten. Das waren für mich die Gründe, über ein interkommunales Gewerbegebiet zu sprechen. Ich habe damit gute Erfahrungen gemacht und hier vor Ort in Simmern eines umgesetzt. Das ist eine Möglichkeit, die allen hilft, bei der man viele Kosten für die Erschließung sparen kann. Wenn ein Stadtrat sich gegen ein Gebiet ausspricht, dann ist das für mich erstmal gesetzt. Da kann ich als Bürgermeister nicht darüber hinweggehen.
Der Bürgermeister der VG Hunsrück-Mittelrhein hat einem interkommunalen Gewerbegebiet in einem Schreiben an den aktuellen Bürgermeister Walter Bersch eine recht deutliche Absage erteilt. Sie wollen sich weiter dafür einsetzen?
Das Schreiben lässt für mich erstmal alles offen. Man muss reden mit den Menschen, sich mal treffen und schauen, was sich machen lässt.
Worum geht es bei der Kritik in der Facebook-Gruppe Besser Boppard zu ihrer Kandidatur 2012 in Nagold im Schwarzwald?
Nagold ist eine wunderschöne Kreisstadt, das muss man mal klipp und klar sagen, angesiedelt in einem sehr interessanten Gebiet in der Nähe von Stuttgart. Dort hatte ich als Bürgermeister kandidiert. Bekannte, mit denen ich zusammen studiert habe, hatten mir berichtet, dass dort eine Finanzdezernentenstelle frei wird. Ich war Landesvorsitzender im RCDS (Ring Christlich Demokratischer Studenten) und in dieser Funktion beschäftigte ich mich mit hochschulpolitischen Fragen, unter anderem auch mit der Finanzausstattung der Fachbereiche. Ich habe mich dann auf diese Stelle beworben, eine reine Fachdezernentenstelle. In Baden-Württemberg heißen die Beigeordneten Bürgermeister. Für dieses Amt wird man nicht von den Bürgern gewählt, sondern vom Stadtrat. Bevor man dem Stadtrat als Kandidat vorgestellt wird, wird man fachlich geprüft. In meinem Fall ging es vor allem um Haushaltsfragen, auch um die Doppik, die damals neu eingeführt wurde. Als die Wahl im Stadtrat für den anderen Bewerber ausgefallen ist, habe ich einen Dank vom Oberbürgermeister, zwei Flaschen Wein und einen Blumenstrauß bekommen und bin mit dem Auto wieder nach Hause gefahren. Und das ist auch gar kein Problem, so hatte ich mich mal auf eine Stelle beworben. Es war aber keine Bürgermeisterstelle, wie jetzt in Boppard.
Haben Sie sich denn noch andernorts für ein Bürgermeisteramt beworben?
Ich habe ehrlicherweise schon einmal mit einer Kandidatur in der Verbandsgemeinde Montabaur geliebäugelt. Weil aber schon zwei Kandidaten feststanden und ich keinen unnötigen Streit auslösen wollte, habe ich darauf verzichtet. So ist das in der Politik.
Das Gespräch mit Jörg Haseneier führte Philipp Lauer