Gemeint war, dass der ältere Mann geistig voll auf der Höhe ist, aber mit der Geschwindigkeit der Digitalisierung in allen Gesellschaftsbereichen nicht mehr mitkommt. Wie aus einem Nachbericht zu der Veranstaltung in Montabaur hervorgeht, stimmten fast alle Anwesenden mit dieser Aussage überein, was durch Klatschen und Nicken deutlich geworden sei.
Digitalbotschafter und Generationenbüro bringen sich ein
Zu der Filmvorführung mit anschließender Diskussion hatten die Digitalbotschafter (Digibos) in der Verbandsgemeinde Montabaur zusammen mit dem Netzwerk „Senioren- und Behindertenrat“ (SBR) Westerwald eingeladen. Als Gastgeber und Unterstützer begrüßten Caroline Albert-Woll für die Volkshochschule Montabaur und Judith Gläser für das Generationenbüro der VG Montabaur die Gäste, deren Zahl wegen der zur Verfügung stehenden Plätze begrenzt werden musste. Der Nachmittag war ein Beitrag zum „Digitaltag 2024“.
Mit offenen Treffs, Sprechstunden und auch Hausbesuchen leisten die Digibos dies umsteigerfreundlich und kostenlos.
Ehrenamtlerin Hildegard Jöris
Bei der Vorstellung der Digibos, einem von der VG Montabaur umgesetzten Landesprojekt, wies die ehrenamtlich tätige Hildegard Jöris darauf hin, dass dabei ältere Menschen von Altersgenossen ins Internet begleitet werden. „Mit offenen Treffs, Sprechstunden und auch Hausbesuchen leisten die Digibos dies umsteigerfreundlich und kostenlos“, so die engagierte Seniorin.
Entgrenzte Digitalisierung kann auch schädlich sein
In der Fernsehdoku wurde deutlich, dass es in Sachen Digitalisierung kein Zurück in der Gesellschaft mehr gibt: „Aber wir dürfen nicht zu Sklaven der weiter fortschreitenden Digitalisierung werden und dadurch einen Teil unserer (älteren) Gesellschaft ausgrenzen“, betonte Uli Schmidt als SBR-Koordinator und Moderator der Veranstaltung. Er habe schon vor 20 Jahren die entgrenzte Digitalisierung für die Bereiche Gesundheit, Demokratie und Bildung im Ergebnis für schädlich gehalten, was heute durch wissenschaftliche Studien und auch Alltagserkenntnisse gestützt werde.
Alltagsleben verlagert sich mehr und mehr ins Internet
Zu der Doku gab es vonseiten der Teilnehmenden viele Reaktionen. So unterstrich ein älterer Herr die Aussage, sich zurückgelassen und vergessen zu fühlen. „Mich überfordert einfach das Tempo“, sagte er und ergänzte, er habe Angst davor, dass sich noch mehr Alltagsleben ins Internet verlagert. Daneben wurde deutlich, dass auch im Westerwald viele Ältere noch gar keinen Zugang zum Internet oder Neuen Medien haben.
Bei der Umstellung von analog zu digital werden wir zu oft vergessen.
So empfindet es eine ehemalige Lehrerin.
„Mama, du starrst ja nur noch aufs Handy“, musste sich im Filmbeitrag eine junge Mutter sagen lassen – ähnliche Erfahrungen aus dem persönlichen Umfeld wurden laut. Einige Teilnehmende äußerten auch den Vorwurf, die Regierungen würden die Menschen zu schnell in die Digitalisierung zwingen. „Bei der Umstellung von analog zu digital werden wir zu oft vergessen“, meinte eine ehemalige Lehrerin.
Wenn es im Dorf nichts mehr zu kaufen gibt
Klar, dass auch die in den vergangenen beiden Jahrzehnten stark gestiegene Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen ein Thema war. Im letzten Block der teilweise leidenschaftlich geführten Diskussion ging es um weitere konkrete Beispiele, wo die Digitalisierung sich bereits nachteilig auswirkt. „Ich muss das bei den großartigen Digibos lernen, da ich nix mehr im Dorf einkaufen kann und bald gezwungen bin, im Internet zu bestellen“, kritisierte eine ältere Dame. Sie befürchtet, bald ihr Auto aufgeben zu müssen und beim Einkauf nicht mehr mobil zu sein.
Digitales 49-Euro-Ticket nein – E-Rezept ja
Einige klagten über Schwierigkeiten bei digitalen Bankgeschäften. Andere wiesen darauf hin, dass dies bei den örtlichen Sparkassen besser laufe als bei fernen Großbanken. Als Unverschämtheit wurde bezeichnet, dass das 49-Euro-Ticket der Bahn nur mit einem Handy nutzbar sei. „Es geht gar nicht, dass man in einer boomenden Stadt wie Montabaur nirgendwo mehr eine Bahnfahrkarte kaufen kann“, wurde jemand deutlich. Dagegen wurde der Umgang mit dem E-Rezept gelobt, das dank engagierter Hausärzte und Apotheken bei vielen gut zu funktionieren scheint. Von der digitalen KFZ-Anmeldung und der Erledigung der Steuererklärung über das Elster-System behaupteten das die Teilnehmenden dagegen nicht.
Die digitalen Anwendungen bringen uns viele Erleichterungen, wenn wir den Umgang mit der Technik beherrschen.
Hildegard Jöris sieht auch Vorteile.
„Die digitalen Anwendungen bringen uns viele Erleichterungen, wenn wir den Umgang mit der Technik beherrschen“, stellte Hildegard Jöris zum Schluss fest. „Wir sind zu lebenslangem Lernen aufgerufen und sollten die Unterstützungsangebote nutzen, wie sie zum Beispiel das Programm der Digitalbotschafter anbietet. Unsere gesellschaftliche Aufgabe ist es, die Kompetenzen in Umgang mit der digitalen Technik zu erweitern und gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, dass Menschen, die nicht digital unterwegs sind, die Bedürfnisse des Alltags selbstständig meistern können.“
Bei Interesse weitere Info-Veranstaltungen machbar
Uli Schmidt wies darauf hin, es dürfe nicht oberste politische Maxime sein, das Leben immer schneller und effizienter machen zu wollen, und dabei Menschen zurückzulassen, die das nicht wollen oder können. Beide stellten in Aussicht, dass es wegen des großen Interesses weitere solche Informations- und Gesprächsangebote zum „Digitalzwang“ geben könne.