Washington

Haushaltsstreit: Geschlossene Gesellschaft

Als der Offenbarungseid nicht mehr abzuwenden war, zog Louise Slaughter, eine Demokratin aus New York, in unfreiwilliger Komik Bilanz. „Es ist Mitternacht, und die große Regierung der Vereinigten Staaten ist nun geschlossen.“

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Von unserem USA-Korrespondenten Frank Herrmann

Da hatte sich das Parlament eines Landes, dessen Politiker gern voller Pathos nationale Größe und die Ausnahmestellung Amerikas beschwören, bis auf die Knochen blamiert. Da waren sie endgültig ins Leere gelaufen, die halbherzigen Versuche, doch noch an Kompromissen zu basteln, um zu verhindern, dass ein Teil der Bundesbehörden in den Zwangsurlaub gehen muss.

Sorry, we are closed ... (Entschuldigung, wir haben geschlossen!) Zumindest vorübergehend ist die Freiheitsstatue für Gäste nicht zugänglich.
Sorry, we are closed ... (Entschuldigung, wir haben geschlossen!) Zumindest vorübergehend ist die Freiheitsstatue für Gäste nicht zugänglich.
Foto: Svenja Wolf

Wie beim Pingpong hatten Repräsentantenhaus und Senat, die größere Kammer kontrolliert von den Republikanern, die kleinere von den Demokraten, einander in rasantem Tempo leicht nachgebesserte Gesetzentwürfe zugeschmettert. In der Sache aber gab es kaum Bewegung. Getrieben von der Tea Party, beharrten die Konservativen bis zum Ablauf der Frist darauf, ein Ja zum Budget an eine Verschiebung der Gesundheitsreform zu knüpfen.

Einem provisorischen Haushalt, der die Zeit bis Weihnachten überbrückt hätte, wollten sie nur zustimmen, wenn der Kern der Reform, die Pflicht zum Erwerb einer Krankenversicherung, um ein Jahr aufgeschoben worden wäre. Man handle im Dienste der Mittelschichten, denn bei denen stoße der Passus auf wenig Gegenliebe, argumentierte John Boehner, der konservative Fraktionschef, der sich dem Druck der rechten Rebellen fast widerstandslos beugte und nun um seine Autorität bangen muss.

Da hatte längst begonnen, was Amerikaner „blame game“ nennen. Der Versuch, dem anderen die Schuld in die Schuhe zu schieben. In bizarrer Verdrehung der Vorgeschichte kreideten die Republikaner ihren Widersachern an, sich auf der Ziellinie der Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner verweigert zu haben und damit die Verantwortung zu tragen.

„Wir wollen sehr wohl Probleme lösen, aber nicht mit der Pistole am Kopf“, konterte Harry Reid, der demokratische Mehrheitsführer im Senat, während Barack Obama die Sturköpfe der Tea Party mit Geiselnehmern verglich: „Sie können doch kein Lösegeld verlangen, nur weil Sie Ihren Job machen.“

Nur eine Fraktion in nur einer Partei in nur einer Kammer des Kongresses habe nicht das Recht, den gesamten Staat lahmzulegen, und das nur, weil sie verlorene Wahlduelle noch einmal ausfechten wolle. Und selbst Pete King, ein konservativer Abgeordneter aus New York, äußerte Verständnis für die Gardinenpredigt eines Staatschefs, mit dem er sonst meistens über Kreuz liegt. „Die Strategie der Tea Party führt in eine Sackgasse.“

Was Veteranen wie King in den Knochen steckt, ist die Erinnerung an den bisher letzten sogenannten Shutdown, vier Wochen im Winter 1995/96. Damals bestraften kopfschüttelnde Wähler die Republikaner des feurigen Ideologen Newt Gingrich, der treibenden Kraft der Machtprobe, indem sie Bill Clinton beim Präsidentenvotum im November mit glasklarer Mehrheit im Amt bestätigten. Jetzt müssen rund 800 000 Bundesangestellte eine Zwangspause einlegen.

Die New Yorker Freiheitsstatue ist nicht fürs Publikum zugänglich. Die Nationalparks, Naturwunder wie Grand Canyon, Yosemite oder Yellowstone, sind ausnahmslos geschlossen. Die marmorweißen Museen an der National Mall, der Prachtmeile Washingtons, lassen keine Besucher mehr ein. Das gilt für den hauptstädtischen Zoo, berühmt für seine Pandabären, und die tempelgleichen Gedenkstätten zu Ehren Abraham Lincolns und Thomas Jeffersons.

Im Kapitol fallen die öffentlichen Führungen aus. Die Raumfahrtbehörde Nasa, schon seit geraumer Zeit unter die Räder des Sparzwangs geraten, lässt neun Zehntel ihrer Wissenschaftler pausieren. Die Visastellen des Außenministeriums arbeiten zwar weiter, doch mit Verzögerungen dürfte zu rechnen sein.

Keine Abstriche gibt es dagegen bei den Geheimdiensten, jedenfalls sind keine bekannt. Das Ministerium für Heimatschutz, gegründet nach den Anschlägen des 11. September und inzwischen aufgebläht zu einem Riesenapparat, hat 86 Prozent seiner 231 000 Beschäftigten als unverzichtbar eingestuft, sodass sie nicht nach Hause geschickt werden dürfen.

Bei Armee, Luftwaffe und Marine wird der Sold an Uniformträger weitergezahlt, während etwa die Hälfte der 800 000 Zivilbeschäftigten vorläufig keinen Lohn mehr bekommt.