Berlin

Andrea Nahles ringt um ihre Partei

Berlin. Was Beobachter des politischen Betriebs in Berlin über die Rheinland-Pfälzerin Andrea Nahles sagen, erinnert bisweilen an Kurt Becks schwierige Zeiten in der Hauptstadt als SPD-Vorsitzender. Im persönlichen Gespräch gilt sie als kompetent, humorvoll, unverkrampft. Ihr öffentliches Auftreten als Generalsekretärin, die sie seit November 2009 ist, wird dagegen als schwierig, von besonders kritischen Stimmen gar als katastrophal empfunden.

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Berlin. Was Beobachter des politischen Betriebs in Berlin über die Rheinland-Pfälzerin Andrea Nahles sagen, erinnert bisweilen an Kurt Becks schwierige Zeiten in der Hauptstadt als SPD-Vorsitzender.

Im persönlichen Gespräch gilt sie als kompetent, humorvoll, unverkrampft. Ihr öffentliches Auftreten als Generalsekretärin, die sie seit November 2009 ist, wird dagegen als schwierig, von besonders kritischen Stimmen gar als katastrophal empfunden.

Ihre Rolle allerdings ist keine einfache. Unter dem sprunghaften Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel ist sie mehr Feuerwehrfrau denn programmatische Einsatzleiterin geworden. Dabei läuft der SPD die Zeit für die angekündigte Aufholjagd bis zur Bundestagswahl 2013 davon.

Von Aufbruch nichts zu spüren

In der Zentrale im Willy-Brandt-Haus in Berlin ist von Aufbruchstimmung seit Wochen nichts zu spüren. Die SPD dringt nicht durch mit ihren Themen. Jüngstes Beispiel: die Bürgerversicherung. Der sozialdemokratische Gegenentwurf zur schwarz-gelben Gesundheitspolitik war den meisten Medien Mitte Mai lediglich eine Randnotiz wert. Es kann bezweifelt werden, dass das ohnehin schwer vermittelbare Konzept für eine gerechtere Kostenverteilung bei der Gesundheit viele Bürger erreichte. Zu anderen Kernthemen wie Lohngerechtigkeit, Hartz IV oder Bildung dringt aus der Parteizentrale wenig bis gar nichts nach draußen. Wenn Journalisten die Meinung der Opposition zur Regierungsarbeit hören wollen, rufen viele inzwischen lieber bei den Grünen an.

Höchstens zwei Handvoll Medienvertreter kommen zur montäglichen Pressekonferenz in die Parteizentrale. Nahles lächelt dann viel, ein wenig angestrengt sieht sie dabei aus. Eigentlich hatte der Parteivorstand diesmal über die umstrittene Parteireform sprechen wollen. Doch das habe man vertagt, „weil die SPD schon noch wisse, was die wichtigen gesellschaftlichen Debatten sind“, sagt Nahles. Deshalb habe man im Vorstand über den Atomausstieg debattiert, den man nicht blockieren wolle. Und das habe eben lange gedauert. „Wir haben noch sehr viele Fragen.“ Ein wenig Angriffslust klingt da immerhin durch.

Neben dem oft schrillen und in seiner Themensetzung unberechenbaren Parteichef Gabriel, schlägt die Generalsekretärin jetzt die ruhigen, verbindlicheren Töne an. Sie muss, grob gesagt, den Laden zusammenhalten. Und immer wieder auch hat sie den undankbaren Job, die Kohlen aus dem Feuer zu holen. Unermüdlich hat sie der Parteibasis erklärt, warum der Parteiausschluss des unliebsamen Mitglieds Thilo Sarrazin scheitern musste. Dabei hatte sie den Vorstoß Gabriels schon in der heißen Integrationsdebatte als wenig Erfolg versprechend erkannt. Diese innerparteiliche Krise aber hat sie gut gemeistert. Manche sagen souverän. Anders als die Kanzlerkandidatenfrage, mit deren Nichtbeantwortung die SPD ebenfalls zunehmend an Führungsstärke und Profil einbüßt. Giftig verwies Nahles Peer Steinbrück, der sich in Andeutungen selbst für eine Kandidatur ins Spiel brachte, in seine Schranken. Seither wird die K-Frage immer wieder gestellt, aber nicht beantwortet.

Stattdessen widmet sich Nahles ihrem Großprojekt, der Parteireform. Damit will sie den Mitgliederschwund stoppen, mehr Mitsprache der Basis ermöglichen, straffere, effizientere Strukturen schaffen und – das ist besonders umstritten – auch Nichtmitglieder in Entscheidungsprozesse einbinden. Angesichts der verkrusteten Strukturen der Partei ist das Vorhaben notwendig, wenn nicht gar unausweichlich. Allerdings: Mit der Debatte über innerparteiliche Reformvorhaben kann man vorerst keine Wähler gewinnen. Ein etwaiger Erfolg dürfte sich – wenn überhaupt – langfristig einstellen.

Über die Generalsekretärin sagt das Großprojekt, dessen Umsetzung sie noch viele Anstrengungen kosten dürfte, jedoch auch viel aus: Sie ist nach wie vor Sozialdemokratin aus Überzeugung. Sie scheut die langatmige Arbeit in Ausschüssen und Werkstätten nicht, ebenso wenig wie die Gespräche „mit der Basis“. Möglich, dass ihr der große Auftritt schlicht und einfach ferner liegt als die Kärrnerarbeit des politischen Alltags. Gerade erst ist ein wirrer Auftritt von ihr im Morgenmagazin durch alle Satiremagazine gewandert. Aus dem Umfragetief kann sie die Partei so nicht herausholen.

Die „offensive Phase“ bleibt aus

Denn auch wenn die jüngste Forsa-Umfrage den Sozialdemokraten Zugewinne von immerhin drei Prozentpunkten auf 24 Prozent bescheinigt: Die SPD liegt damit immer noch hinter den Grünen und noch weiter hinter ihren „Normalwerten“ früherer Jahre.

Der Parteienforscher Oskar Niedermayer von der Freien Universität Berlin, der an den Vorschlägen für die Parteireform mitgearbeitet hat, erinnert daran, dass die Partei nach „einem guten Jahr der Wundheilung“ nach der Bundestagswahl 2009 „eigentlich in die offensive Phase kommen sollte“. Letztere allerdings sei ausgeblieben. „Die Wähler haben offenbar immer noch das Gefühl, nicht zu wissen, wofür die SPD steht.“ Die Integrationsdebatte um Sarrazin etwa habe die Partei „kalt erwischt“. Sie hätte damals mit einem eigenen Konzept für eine bessere Integration von Migranten punkten können. Doch ein solches Konzept lag offenbar nicht vor. Also verstrickte man sich in die Debatte über die Personalie Sarrazin.

Heute allerdings sieht der Parteienforscher wenige Möglichkeiten für die SPD, mit ihren Kernthemen zu glänzen. „Fukushima hat in der Volksseele dramatische Ängste ausgelöst“, meint Niedermayer. „Es ist zurzeit nicht möglich, mit anderen Themen Aufmerksamkeit zu erregen.“ Und beim Thema Atomausstieg seien die Grünen einfach stärker gefragt als die SPD. Erst wenn auf der politischen Agenda wieder Platz für andere Themen ist, sieht der Forscher Chancen für die SPD, sich Gehör zu verschaffen. „Dann muss sie sich starkmachen und zeigen, wo sie im Sozialstaatskonflikt steht.“

Kurz vor ihrer Rückkehr ins Amt nach der Babypause im März hatte Andrea Nahles einmal gesagt, dass sie nach der Geburt ihrer Tochter Ella-Maria „eine bessere Generalsekretärin sein kann, als ich es vorher war“. Sie könne die Dinge nun „viel klarer sehen – und auch gelassener“. Wenn es ihr und Gabriel allerdings nicht bald gelingt, die SPD inhaltlich ins Gespräch zu bringen, könnte der verschobenen Debatte über den Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten noch eine ganz andere Personaldebatte vorausgehen.

Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann