RZ-KOMMENTAR: Sozialdemokratie steckt in schwerer Identitätskrise

Es kommentiert Ursula Samary.
Es kommentiert Ursula Samary. Foto: Jens Weber

Nur 24 Prozent: Diese Umfragezahl markiert wie andere zuvor seit eineinhalb Jahren: Die traditionsreiche SPD erholt sich von der dramatisch verlorenen Bundestagswahl nicht. Ihr laufen Wähler weg, aber die Mitglieder auch.

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Nur 24 Prozent: Diese Umfragezahl markiert wie andere zuvor seit eineinhalb Jahren: Die traditionsreiche SPD erholt sich von der dramatisch verlorenen Bundestagswahl nicht. Ihr laufen Wähler weg, aber die Mitglieder auch.

Statt einst 1,2 Millionen halten ihr nur noch 470 000 Genossen die Treue. Für die SPD ist dieser Tiefpunkt ein historischer. Von der Schwäche der schwarz-gelben Bundesregierung profitieren derzeit allein die Grünen, als deren Juniorpartner die SPD im strukturkonservativen Baden-Württemberg regiert und die Becks SPD nicht nur die beschworene Mittelrheinbrücke abtrotzen konnten. Das lässt sich auch nicht damit schönreden, dass die CDU im Ländle nach 57 Jahren die Macht verloren hat. CDU-Chefin Angela Merkel, die ihre Partei erst sozial-demokratisiert hat, handelt. Sie lässt die CDU mit einem rasant rigorosen Schwenk ergrünen, um die Atomfrage vor den nächsten Wahlen abzuräumen und gleichzeitig eine neue Regierungsoption zu haben. Daneben wirken die Sozialdemokraten ziemlich ratlos.

Verzweifelt sucht die SPD mit einem sprunghaft geltenden Chef Sigmar Gabriel und einer sich in dessen Hektik oft verheddernden „Generalin“ Andrea Nahles nach einer Strategie: Soll man Grüne hätscheln, als Konkurrenz attackieren? In dem Spannungsfeld geht die Frage nach dem eigenen Kurs unter. Die Suche nach sich selbst dauert in der SPD an, die sich noch nicht von den Folgen der Hartz-IV-Gesetze oder Franz Münteferings Rente mit 67 erholt hat. Sie macht sich Mut, nach dem Abklingen der Atomdebatte schon wieder mit Kernthemen punkten zu können. Derweil fragen sich die Bürger, was sie denn dann zu erwarten haben und warum die SPD es nicht schafft, mit sozialer, finanz- und außenpolitischer Kompetenz den Nerv der Menschen zu treffen: den derer, die beim Konjunkturhoch im Schatten stehen, den derer, die um den Euro oder um Soldaten in Afghanistan bangen. Wie lange soll die Identitätskrise (samt internen Intrigen) die SPD noch blockieren, wird klar sein, was „neuer Fortschritt“ oder alte Wurzeln sind?

Weil die SPD nur in Hamburg und Bremen auftrumpfen konnte, scheint auf dem Boulevard die Frage spannender zu sein, ob die Grünen erstmals mit einem Kanzlerkandidaten in die Wahl ziehen, ob mit Joschka Fischer oder Jürgen Trittin. Die Reaktion auf die verfrühte und teils eitel selbst inszenierte Debatte in der SPD zeigt unterdessen nur: SPD-Anhänger (und nicht nur die) schätzen einen Frank-Walter Steinmeier und einen Peer Steinbrück als deutlich kompetenter ein als Gabriel. Zurück bleibt, wie bei der Migrantenquote, aber auch wieder nur die Botschaft, dass die SPD mit sich selbst beschäftigt ist.

Dafür liefert die Spitze mit der intern nur mäßig kommunizierten und erst einmal vertagten Debatte über die Parteireform auch noch reichlich Stoff. So wichtig schlankere und schlagkräftige Strukturen für eine Partei sind: Die Basis fühlt sich überrumpelt und murrt. Funktionäre poltern – zudem in einer Phase, in der nach dem Kompass der SPD gefragt wird. Bürgern ist es ziemlich egal, ob es einen Partei- oder Länderrat gibt, ob Präsidium oder Vorstand zu klein oder zu groß ist. Nur eins finden sie, so eine Umfrage, anders als die Genossen gut: eine öffentliche Kanzlerkandidatenkür in einer Art Vorwahl. Immerhin: Die SPD könnte sich damit mobilisierend wieder ins Gespräch bringen, mehr Talente denn Proporz in Hinterzimmern pflegen und attraktiver werden. Aber das Modell erspart eine inhaltliche Strategiesuche nicht: Die K-Frau oder der K-Mann muss auch Konzepte und ein Spitzenteam haben, die überzeugen. Aber vorerst, so scheint es, muss sich Nahles, die die SPD zur Kümmererpartei machen wollte, vor allem um dieses Sachthema kümmern: Denn die Parteireform könnte für Gabriel und Nahles auch zur Machtfrage beim nächsten Bundesparteitag eskalieren.

E-Mail: ursula.samary@rhein-zeitung.net