So war Rock am Ring 2013: 80 Bands setzen Feiern auf den Lehrplan

Rock am Ring - Sonntag: Party im Regen bis zu Green Day und Seeed
An der Centerstage treten am Sonntag nach dem Start mit All Time Low und Bad Religion die Bands Kraftklub und Sportfreunde Stiller auf, bevor die Punkrocker von Green Day aus den Vereinigten Staaten ein lautes Finale geben. Foto: Andreas Jöckel

Die Rock-'n'-Roll-Highschool besangen einst die Ramones, aus der Rock-'n'-Roll-Realschule sendeten Die Ärzte Hits in die Welt, und die Hamburger Schule brachte es in den 90er-Jahren zu Ruhm. Und auch Europas größtes Musikfestival Rock am Ring erinnerte am Wochenende an eine Schule – mit 85.000 gelehrigen Schülern.

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Von unseren Reportern

Wenn die letzten Töne des Lieblingsliedes verklingen, hat das wohl jeder schon einmal gedacht: „Spielt denselben Song nochmal!“ Ein Fan von All Time Low hatte dieses Schild dabei. Ob die Jungs gut genug Deutsch sprechen, um das Schild auch lesen zu können, ist fraglich.

Kevin Ruehle

„Fuck the rain“ übersetzen wir in Rücksichtnahme auf unsere jüngeren User jetzt mal ganz frei: „Blöder Regen!“ Das Bild entstand ebenfalls bei All Time Low.

Kevin Ruehle

Nicht ganz neu der Spruch, aber trotzdem lustig: „Bitte nicht schubsen. Ich habe Joghurt im Rucksack.“ Der Zusammenhang zur Band erschließt sich nicht direkt, aber das muss er ja auch nicht immer. Entdeckt bei All Time Low.

Kevin Ruehle

Klare Ansage: „Rock this shit“. Die Band Bullet for my Valentine hat sich die Aufforderung zu Herzen genommen.

Kevin Ruehle

Das „Mein Harem“-Schild hat unser Fotograf beim Auftritt von Cro entdeckt.

Kevin Ruehle

Fast schon ein Schildermeer gab es beim Auftritt von Imagine Dragons. Die Rock-am-Ring-Besucher übertreffen sich mit ihren Ideen von Jahr zu Jahr selbst. Wer keine Pappe dabei hat, schreibt übrigens einfach auf den Boden der Bier-Paletten.

Kevin Ruehle

Über (mindestens) ein unmoralisches Angebot durfte Jake Bugg sich während seines Auftritts freuen. Anderen Bands ging es ähnlich.

Denise Remmele

In Gedanken bei der Mama? Wir wissen nicht, was in diesem Papa-Roach-Fan vor sich ging, als er sein Schild gemalt hat. Lustig ist es allemal.

Kevin Ruehle

Und noch ein Schild, das keinen Raum für Interpretationen lässt: „Abgehn!“ Aber gern doch!

Kevin Ruehle

Paramore, die beste Band? Andere Ringrocker würden widersprechen, hier scheint sich aber jemand seiner Sache sicher zu sein.

Kevin Ruehle

„Hayley, wir lieben dich“. Paramore hat also noch mehr Fans dabei.

Kevin Ruehle

„Hayley, willst du mich heiraten?“ Und noch mehr Paramore-Fans mit Schildern – ist die Band vielleicht doch der heimliche Headliner der Herzen?

Kevin Ruehle

Manchmal muss man gar nicht mehr sagen als „Achtung Schild“. Wir lassen das mal so stehen.

Kevin Ruehle

Wenn es kalt wird, kuscheln die Ring-Fans sich einfach warm. Am Freitag war das zwar eigentlich gar nicht notwendig, trotzdem gab es hier kostenlose Umarmungen.

Kevin Ruehle

Am Freitagabend stand Fremdsprachenunterricht auf dem Lehrplan. Fettes Brot erteilten eine Lektion im Fach deutscher Hip-Hop. Dabei bewiesen die altgedienten Lehrkräfte König Boris, Dr. Renz und Björn Beton didaktische Fähigkeiten. Ob sie Vokabeln nachsingen ließen oder mit einem Medley von Hits wie „Mein Block“ bis „Jetzt ist sie weg“ Dialekte erläuterten – am Ende tanzte sogar ein Brezelverkäufer im Publikum mit.

Weniger beliebt war die Theater-AG unter der Leitung von Jared Leto. Zumindest kam das Stück Thirty Seconds To Mars nicht gut an. Je länger es dauerte, desto mehr Zuschauer machten sich vorzeitig auf den Heimweg. War der Start mit Hits wie „Kings and queens“ oder „This is war“ noch an die Ring-Schüler angepasst, so überforderten unter anderem das folgende Kunststück mit zwei Männern auf einer Wippe und die teils mehrfach neu angestimmten Lieder die Aufmerksamkeitsspanne.

Wesentlich mehr Talent bewiesen am Samstag Biffy Clyro. Kein Wunder, handelt es sich doch um die Hochbegabtenklasse. In jeder anderen Schule hätte sich Frontmann Simon Neil wegen seiner Hyperaktivität wohl Ärger eingehandelt, auf dem Ring-Gymnasium verdiente er sich damit, mit der musikalischen Brillanz seiner Band und deren Spielfreude Bestnoten. Im homogenen Programm vermisste man nur „Who's got a match“. Einen Klassenbucheintrag gab es dafür aber nicht.

Dem entgingen BossHoss nur knapp: Die Klassenclowns meldeten sich mit einigen Albernheiten sozusagen aus dem Auslandsjahr in Nashville/Tennesse am Ring-Gymnasium zurück und mussten sich wieder in ihrer Muttersprache einfinden. Die Obercowboys Alec und Sascha nuschelten ihre Ansagen auf breitestem Amerikanisch. Erst als der Ring rief: „Redet Deutsch, redet Deutsch“ fiel es den Cowboys wieder ein. Nicht verlernt hatten sie, wie sie die Masse mit ihrer Show mitreißen. Es rockte und rollte, und die Menge feierte.

Auch am Ring-Gymnasium gibt es Außenseiter. So standen die Sonderlinge von Tocotronic relativ einsam auf dem Pausenhof an der Alternastage. Da nützte alles Bemühen wenig, mit alten Hits, verzerrten Gitarren und krachigem Sound zu gefallen. Allein durch ihre Kleidung (Sänger Dirk von Lowtzow erschien im grün-blau-rosa gepunkteten Hemd) und den eigenwilligen Humor („Das nächste Lied ist gegen alles Reaktionäre: bei Rock am Ring, dem Ring der Nibelungen und auf den Ringen des Saturns.“) blieben die Tocos vielen Ringrockern unheimlich.

Auf der gegenüberliegenden Seite des Pausenhofs hatte sich eine weitere eigenwillige Gruppe versammelt. Die Clique nennt sich Airbourne und tritt uniform auf: lange Haare, nackte Oberkörper, knallenge Jeans. Dennoch sind die Jungs am Ring-Gymnasium sehr beliebt, denn ihre Partys sind legendär. Während der Hard Rock dröhnte, kreisten Haarpracht und Flying-V-Gitarren – und Sänger Joel O’Keeffe hämmerte sich eine Bierdose auf den Kopf.

Im Gegensatz zu diesen Sonderlingen gehört Volbeat zu den Anführern auf dem Pausenhof. Mit Double-Bass-Salven und Brettgitarren hatte die Band die Hauptbühne fest im Griff. Frontmann Michael Poulsen bewies zudem, dass er im Fach Musikgeschichte seine Lektionen bei Elvis und James Hetfield gelernt hat. Das brachte seine Tolle aus der Form und das Publikum aus der Fassung.

Vollkommen überraschend wurden die Ringrocker aus ihrem Stundenplan gerissen – plötzlich hieß es: Feueralarm. Allerdings sorgte kein Brand für Aufregung, sondern eine Nachricht, die sich wie ein Lauffeuer verbreitete: Die Beatsteaks spielten einen Überraschungsgig. Diszipliniert sammelten sich Tausende Ringrocker vor der kleinen Clubstage, Twitter, Facebook und Co. sei Dank. Zur Belohnung verteilte Oberbrandmeister Arnim Teutoburg-Weiß Bonbons wie „Let me in“ und „Cut off the top“. Das Publikum dankte mit Ekstase – und sorgte dafür, dass dann doch die Hütte brannte. Ein großer Moment Ring-Geschichte.

Weit weniger Feuer entfachten die coolen Jungs von Hurts. Das Styling perfekt, der Synthiepop ebenfalls, lieferten Theo Hutchcraft und Adam Anderson eine perfekte Show ab. Was allerdings die beiden knapp beschürzten Mädels aus der Gymnastik-Tanz-Sport-AG auf der Bühne zu suchen hatten, bleibt unergründlich.

Infernalisch war das, was The Prodigy in ihrem Chemie-Leistungskurs zusammengebraut hatten. Im Labor namens Centerstage mengten die britischen Wunderkinder ihren seit den 90er-Jahren gepflegten, auf rauem Breakbeat basierenden Sound mit einem LED-Gewitter zu einem Party-Zaubertrank: Die Menge war ekstatisch, zumal von „Firestarter“ bis „Smack my bitch up“ alle Hits zu den Ingredienzien gehörten. Rapper Maxim Reality und ein technisch eher schlecht ausgesteuerter Keith Flint fegten dazu über die Bühne, als ob es kein Morgen gäbe.

Brandon Flowers ist eindeutig der Mädchenschwarm der Schule. So gelang es der von ihm angeführten Gang The Killers trotz später Stunde, eine riesige, größtenteils weibliche Menschenmenge vor die Alternastage zu locken. Mit ihrem Bombast-Pop verfehlen die Jungs aus Las Vegas zwar eigentlich das Rockthema, bewiesen aber mit ihrem starken Auftritt, dass ihnen die Materie nicht fremd ist.

Als sich die Ringschüler am Sonntag ausreichend aufgewärmt hatten, gab es Sport mit Kraftklub. Zunächst mussten sich die Vorturner aus Chemnitz an die große Bühne gewöhnen, dann wurde es zu einer Lehrstunde, wie man den Ring rockt – besser geht's kaum. Publikum und Band betätigten sich in rhythmischer Sportgymnastik – und das so schweißtreibend, dass es am Ende hüben wie drüben viel nackte Haut zu sehen gab.

Zum Abschluss begeisterten noch die Austauschschüler von Green Day. Danach hieß es dann: „School's out for summer!“