Paris

Mitfavoritin und gefragte Persönlichkeit: Westerwälder Schwimm-Weltmeisterin Köhler bei Olympia in neuer Rolle

Von Thomas Eßer
Angelina Köhler
Gold bei der WM in Doha – Gold auch bei Olympia in Paris? Schwimmerin Angelina Köhler. Foto: Jo Kleindl/dpa

Ihr Leben als Schwimm-Weltmeisterin stellt Angelina Köhler vor zuvor nicht gekannte Herausforderungen. „Man wird ein bisschen ins kalte Wasser geschmissen, weil auf einmal der Erfolg da ist und jeder etwas von dir will“, sagt Köhler. Die 23-Jährige, die ihre Kindheit in Ruppach-Goldhausen im Westerwald verbrachte, wird nach Fotos und Autogrammen gefragt, tritt im TV auf, wird beim Friseur erkannt. „Damit musste ich erst mal lernen, umzugehen“, sagt sie. Zu Olympia reist sie in neuer Rolle.

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Als erste deutsche Beckenschwimmerin seit Britta Steffen 2009 hatte Köhler im Februar WM-Gold gewonnen. Ihr sportlicher Erfolg ist der Startpunkt des öffentlichen Interesses an ihr. Dass dieses so lange anhält, hat aber auch mit ihrer Persönlichkeit zu tun. Köhler schwimmt nicht nur über 100 Meter Schmetterling so schnell wie wenige andere. Köhler hat auch etwas zu sagen, will ein Vorbild auch neben dem Becken sein.

Offener Umgang mit ADHS

Sie berichtete über Mobbing in ihrer Jugend, geht offen mit ihrer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) um. Ein Ansatz, der ihr viel Respekt einbringt. „Das ist authentisch. Wenn du deine Schwächen zeigst, kannst du dich auf deine Stärken konzentrieren“, sagt Steffen. Die ADHS-Diagnose erhielt Köhler vor eineinhalb Jahren. Seitdem gehe es ihr besser, sagt sie. „Ich habe mich ein Leben lang dafür verurteilt, dass ich viele Sachen, die andere super hinkriegen, überhaupt nicht hinkriege. Das drückt natürlich ganz schön auf das Selbstwertgefühl“, erklärt sie. Sachen vergessen, verschlafen, Termine verpassen – früher habe sie sich ständig gefragt: „Bin ich eigentlich blöd?“

Nun kann Köhler das alles einordnen. „Ich sage für mich: ,Okay, du kannst vielleicht manche Sachen nicht so gut, dafür kannst du aber andere Sachen umso besser, die andere nicht können.'“ Zudem weiß sie durch die Diagnose, „dass es andere gibt, die genau die gleichen Symptome haben und die gleichen Sachen haben, mit denen sie zu kämpfen haben. Es ist schön, sich mit ihnen auszutauschen.“

Einer davon ist Ole Braunschweig. Der 26-Jährige ist Rückenschwimmer, Köhlers Trainingspartner und ihr bester Freund. Im Gegensatz zu Köhler kennt Braunschweig den Olympia-Trubel bereits, war schon 2021 bei den Spielen in Tokio dabei. Er kann der Debütantin helfen, die Aufregung nehmen und Sicherheit geben. Wie wichtig das Mentale ist, macht Köhler selbst deutlich. „In Form bin ich“, sagt sie. „Ich hoffe, dass mich meine ersten Spiele nicht erschlagen werden.“

Olympia in Tokio hatte sie nach einer Corona-Infektion noch verpasst. Damals war eine Welt für sie zusammengebrochen. Diesmal gibt sie als Ziel erst einmal das Finale der besten acht Schwimmerinnen aus (Sonntag, 20.45 Uhr). Das klingt bei einer Weltmeisterin nach Understatement. Allerdings waren einige Medaillenkandidatinnen bei Köhlers Gold-Show nicht am Start. Von einer Medaille in Paris träumt Köhler natürlich trotzdem. „Wenn man im Finale ist, kann alles passieren“, sagt sie. „Von Platz eins bis acht ist alles möglich. Die im Kopf Stärkste gewinnt.“ Zur professionellen Vorbereitung auf das Mega-Event Olympia gehört für sie auch die Besprechung der Sommerspiele mit einer Sportpsychologin. In der unmittelbaren Rennvorbereitung sollen zudem feste Abläufe helfen.

Seit eineinhalb Jahren hat Köhler vor ihren Starts die gleiche Routine. Im Warteraum hat sie Taylor Swifts „Cruel Summer“ auf den Ohren, taucht dann in ihre eigene Welt ein, lässt sich nicht ablenken. „Ich weiß, wenn ich genau die Punkte abarbeite von meiner Routine, dann wird es meistens sehr, sehr gut“, sagt Köhler.

Routine soll zum Erfolg führen

Damit das auch am Samstag gelingt, wenn Köhler gleich zum Auftakt der Schwimm-Wettbewerbe im Vorlauf gefordert ist, hat auch ihr Trainer sehr viel Zeit investiert. Neben der sportlichen Arbeit hat sich Lasse Frank viele Gedanken darüber gemacht, wie er seine Olympia-Teilnehmer auf den besonderen Leistungsdruck in Paris vorbereiten kann. Letztendlich ist er aber zu dem Ergebnis gekommen: „Du kannst diese Situation nicht nachbilden, du kannst sie nicht trainieren.“

Der Berliner Coach kennt Köhler wie wohl kaum jemand sonst. Ihre Stärken und Schwächen im Wasser, aber auch an Land, erlebt er im Trainings- und Wettkampfalltag. Als sich nach der famosen WM in Doha die Anfragen an seine Sportlerin häuften, ließ er sie zunächst ihr Ding machen, half bei der Organisation, er wollte sie nicht zu sehr bremsen. Als er Sorge hatte, das Drumherum könnte sich auf Köhlers Leistung auswirken, griff er aber ein.

Zur zusätzlichen Unterstützung hat Köhler mittlerweile eine Managerin. „Meine Aufgabe ist ja, Leistung zu bringen im Wasser“, erklärt sie den Schritt. „Und nicht, irgendwelche Orga-Dinge zu machen.“ Auch das gehört zu den Veränderungen nach einem WM-Titel. Eines ist Köhler jedoch wichtig: „Ich bin immer noch die gleiche Person wie vorher. Und daran wird sich auch nichts ändern, egal, welcher Erfolg irgendwann kommt.“