François Ozon hat eine Vorliebe für starke Frauen. Sei es in dem Thriller „Swimming Pool“ mit Charlotte Rampling oder in dem Krimi „Acht Frauen“ mit Catherine Deneuve, Isabelle Huppert und Emmanuelle Béart – immer ist es das weibliche Geschlecht, das den Gang der Dinge bestimmt. Auch in seinem neuen Film „Rückkehr ans Meer“ ist die Hauptfigur eine Frau: Mousse (Isabelle Carré), eine drogenabhängige Schwangere, die nach dem plötzlichen Tod ihres Freundes alleine zurecht kommen muss. „In meinen Filmen geht es oft um Gefühle – im Inneren. Und ich glaube, dass man diese Dinge besser mit weiblichen Charakteren zeigen kann“, sagte Ozon im Interview.
„Rückkehr ans Meer“ erzählt von einer schwangeren Frau. Warum haben Sie dieses Thema für Ihren Film ausgewählt?
Mich fasziniert die Tatsache, dass Männer nicht schwanger werden können. Für uns ist das ein großes Mysterium. Dieser Film war ein Weg, sich der Schwangerschaft und diesem Geheimnis zu nähern. Ich wollte am Anfang zeigen, dass während des Mutterwerdens nicht unbedingt eine Verbindung zu dem Kind entstehen muss, besonders in diesem Fall. Die Frau im Film behält ihr ungeborenes Kind nicht, weil sie unbedingt das Baby haben will. Sie will das Leben in ihrem Körper erhalten, weil ihr Freund zu Beginn des Films gestorben ist. Ich wollte nicht die idealistische Vorstellung von Mutterschaft zunichtemachen, aber ich wollte zeigen, dass Dinge oft komplizierter sind.
Der Film widerspricht dem Ideal von Familie, das in vielen Ländern hochgehalten wird. Wie ist Ihre Vorstellung von Familie?
Ich habe da keine Ideen. Der Film entspricht dem, was ich um mich herum erlebe. Die Familien ändern sich. Wir entfernen uns von dem Ideal der patriarchalischen Familie, das in den vergangenen Jahrhunderten sehr wichtig war. Heute sind die Rollen von Männern und Frauen gleichberechtigter, das verändert sich zwischen Mann und Frau, zwischen Vater und Mutter.
Isabelle Carré war während der Dreharbeiten wirklich schwanger. Wie hat Carré reagiert, als Sie ihr die Rolle angeboten haben?
Sie nahm sich viel Zeit, um mir zu antworten. Es war ihr erstes Baby und sie wusste nicht genau, ob sie gleichzeitig schwanger sein und schauspielern könnte. Aber sie fand das Projekt sehr aufregend. Der Charakter von Mousse war so komplett anders als sie selbst. Sie war so weit weg von dieser drogenabhängigen Figur, dass es da keinerlei Berührungspunkte mit ihrer wirklichen Schwangerschaft gab.
Mousse hat ein sehr distanziertes Verhältnis zu dem Baby in ihrem Bauch. War das für Isabelle Carré belastend?
Es hätte gefährlich sein können, wenn sie ihrem Charakter sehr ähnlich gewesen wäre, aber sie war weit davon entfernt. Schwierig war allerdings das Körperliche. Isabelle war oft sehr müde. Aber mit der Psychologie des Charakters hatte sie kein Problem. Sie sagte, dass viele Frauen während der Schwangerschaft arbeiten. Warum sollte sie das als Schauspielerin nicht auch schaffen?
Warum haben Sie sich bei der Rolle des Paul für einen jungen Mann entschieden, der noch keinerlei Erfahrung als Schauspieler hatte?
Er ist ein französischer Sänger. Ich wollte keinen richtigen Schauspieler neben Isabell. Sie ist sehr professionell, eine sehr gute Schauspielerin. Ich wollte jemand haben, der unschuldig, naiv wirkt, den man noch nicht von der Leinwand kennt. Als ich Louis traf, interessierte er mich sehr, weil er sich mit seiner Schönheit nicht so wohlfühlt. Er ist wunderschön, aber er hat wirklich ein Problem mit sich selbst. Für den Film war das sehr gut. Seine Zerbrechlichkeit, seine Schwäche waren sehr interessant.
Das Ende des Films ist für viele Menschen überraschend, es ist kein klassisches Happy End, obwohl man das zwischendurch erwartet. Warum haben diese Wendung gewählt? Es überrascht mich, dass die Leute so überrascht sind. Am Ende des Films haben sie vergessen, dass Mousse eine Drogenabhängige ist. Wenn man den Anfang und das Ende zusammenfügt ohne den Mittelteil, ist der Film sehr logisch. Aber weil es während des Sommers viele schöne Momente gibt, vergisst man ein bisschen die Anfänge. Das Ende entspricht der Logik ihres Charakters.
Inwiefern?
Ich habe viel recherchiert über schwangere Frauen, die Heroin nehmen. Wenn man mit Ärzten und Fachleuten spricht, erfährt man, dass sie ihre Babys nach der Geburt oft nicht mehr haben wollen. Sie kehren zu den Drogen zurück oder zu etwas anderem. Sie erleben die Schwangerschaft als einen ruhigen Moment, sie nehmen Methadon. Und sie sind voller Hormone, sie brauchen in dem Moment keine Drogen mehr. Der Film ist sehr nah an der Realität. Aber der Film wird nach der Hälfte leichter und schöner, dann vergisst man diese Realität.