Eine der wohl größten deutschen Sagen kommt dieses Jahr in voller Länge auf die Freilichtbühne der Domstadt Worms am Rhein: das Nibelungenlied. Autor Roland Schimmelpfennig hat den historischen Stoff über Drachentöter Siegfried und seinen Mörder Hagen kräftig durchgebürstet und entreißt das Spektakel der Vergangenheit. Dabei platziert Schimmelpfennig, einer der meistgespielten Gegenwartsdramatiker, eine besondere Schlüsselfigur neben das bekannte Personal: einen mächtigen Drachen, der aber kein theatralisch feuerspeiender Lindwurm ist. Man darf gespannt sein.
Gut ein halbes Jahr vor der Premiere von „See aus Asche“ am 11. Juli verhehlt Intendant Nico Hofmann seine Vorfreude nicht. „Es ist erneut gelungen, große Aktualität in den Stoff zu bekommen“, sagt er im Gespräch. „Dabei spielen uns Zeitgeist und Politik auf teilweise schreckliche Weise in die Hände.“ Autor Schimmelpfennig lote etwa den Begriff „Nibelungentreue“ aus: „Warum spielen alle so leichtfertig mit ihrem Tod? Wenn man sich die derzeitige Lage anschaut, ist diese Frage hochaktuell.“
„Bei ihr kommen Teamgeist und Furchtlosigkeit zusammen.“
Intendant Nico Hofmann über Mina Salehpour, die bei den Nibelungen-Festspielen in diesem Jahr Regie führen wird.
Schimmelpfennig ist begeistert von der Sage. „Es ist ein Stoff, der nicht umsonst so lange gehalten hat“, meint der Autor. „Man kann etwas dazu erfinden oder weglassen, er geht nicht kaputt. Weil die Konstellation, die Geschichte, die drunter liegt, nahezu unzerstörbar ist.“ Er hätte sich „wirklich schwergetan“, nicht die ganze Sage zu erzählen, betont er. „Ich will den Zauber der Geschichte bewahren. Man würde sich sechs Stunden Spielzeit wünschen und nicht bloß drei.“
Seit ihrem Start 2002 haben sich die Festspiele einen guten Ruf weit über die Grenzen von Rheinland-Pfalz erworben. Geboten wird jedes Jahr eine mitreißende Neuinszenierung auf Basis des Original-Nibelungenliedes, jedoch ist eine Gesamtschau wie jetzt selten. Namhafte Autoren wie Lukas Bärfuß oder Ferdinand Schmalz konzentrierten sich auf einzelne Aspekte, etwa Frauenrollen.
Im vergangenen Jahr kamen mehr als 20.000 Zuschauer nach Worms, eine Auslastung von 87 Prozent. Zur Finanzierung tragen die Festspiele 1,5 Millionen Euro bei, 250.000 Euro sind Spenden. Die Stadt Worms gibt 1,5 Millionen Euro dazu, von der Landesregierung kommen 750.000 Euro.
2025 zeigen die Veranstalter das mittelalterliche Heldenepos vom 11. bis 27. Juli. Regie wird Mina Salehpour führen, die unter anderem am Wiener Burgtheater, am Schauspiel Köln oder dem Schauspiel Hannover gearbeitet hat. „Bei ihr“, sagt Hofmann, „kommen Teamgeist und Furchtlosigkeit zusammen.“
Schön und brutal in einem
Salehpour selbst sieht sich als „Geschichtenerzählerin“. In Worms unter freiem Himmel zu inszenieren, sei eine große Aufgabe. „Wir beginnen im Hellen und enden im Dunklen. Das stellt spezielle Ansprüche auch an Bühnenbild und Lichtdesign.“ Als Regisseurin wolle sie bei den Festspielen „Schönheit und Brutalität zugleich“erschaffen. „Man muss sich zurücknehmen und darf den fantastischen Text von Roland Schimmelpfennig nicht mit Regieschleim übergießen. Man muss ihm dienen, das ist die Herausforderung.“
Der Drache werde eine besondere Erscheinung, kündigt Salehpour an. Die Figur sei in dem Stück auch Trägerin philosophischer Gedanken. „Aber er muss getötet werden, da kommen wir nicht drumherum. Sonst funktioniert die Geschichte nicht, und wir können nach Hause gehen.“
Austausch und Diskurs
Namen aus dem Ensemble sind bislang nicht bekannt. In den vergangenen Jahren standen auch prominente Darstellerinnen und Darsteller auf der Bühne am Dom, etwa Klaus Maria Brandauer oder JürgenProchnow und Sunnyi Melles. Doch ob namhaft oder nicht: Alle Mitwirkenden verfügen über große Bühnenerfahrung. Wichtig sei, so Hofmann, dass es im Ensemble stimme.
Auch die Politik hat Worms längst als „place to be“ entdeckt – ob Malu Dreyer und Alexander Schweitzer oder Claudia Roth und Boris Pistorius. Mittlerweile sind die Festspiele ein Ort für Austausch und Diskurs – auch über das jeweilige Stück. Regisseurin Salehpour sagt, Theater müsse größer als das Leben sein. „Denn das Leben, das gibt es ja schon.“
Weitere Infos gibt’s hier.