Rückblick: Ein kleines Lied zur Mainzer Fastnacht hat vor 50 Jahren den Funktionären des Karnevals großen Ärger bereitet: Herbert Bonewitz sang „Lieb Fassenacht“ und brachte damit die geordnete Welt der Fernsehsitzung „Mainz bleibt Mainz“ ins Wanken. Dabei hatte der Sänger der in Vereinsstrukturen verkrusteten Fastnacht nur einen Spiegel vorgehalten: „Für manchen ist sie lediglich ein Name, wie eine aufgeputzte, abgeschlaffte Dame“.
Fünf Jahrzehnte ist dieser Fastnachtseklat her, ein Jahrestag in einem ohnehin denkwürdigen Jahr in der Geschichte von „Mainz bleibt Mainz“: Die Fastnachtssitzung hatte das ZDF wegen Corona-Auflagen aufzeichnen müssen, eigentlich hatte die Sendung am Freitag ausgestrahlt werden sollen – das ZDF nahm wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine Abstand davon und stellte „Mainz bleibt Mainz“ in der Mediathek zur Verfügung. An die Aufregung, die „Lieb Fassenacht“ vor 50 Jahren auslöste, erinnert nun der Sohn des Fastnachters, Michael Bonewitz. „Ein Funktionär hat mir später mal gesagt: ,Eigentlich hat er recht gehabt, wir waren verkrustet!‘“
Aber am 4. Februar 1972 gab es Buhrufe im gesetzten Publikum und heftige Vorwürfe gegen den „Nestbeschmutzer“. Die bürgerliche Gesellschaft der frühen 1970er-Jahre war im Gefolge der Außerparlamentarischen Opposition (APO) ohnehin in der Defensive. Und dann habe sich am geografischen Rand der Mainzer Gesellschaft, im Gonsenheimer Carneval-Verein, auch noch „eine eigene närrische APO gebildet“, schreibt der Fastnachtsexperte Günter Schenk in einem Beitrag zum Jahrestag von „Lieb Fassenacht“ für die Ausgabe der Vierteljahreshefte „Mainz“. Bonewitz sei einer ihrer Köpfe gewesen.
Für seine musikalische Attacke bediente sich Bonewitz, der auch musikalischer Leiter der Gonsbachlerchen war, beim Schlagersänger Udo Jürgens (1934–2014), der ein Jahr zuvor mit dem Lied „Lieb Vaterland“ für Diskussionen gesorgt hatte. Dessen Vorlage wiederum war das patriotische Lied „Die Wacht am Rhein“ aus dem 19. Jahrhundert.
Udo Jürgens jedenfalls hat der Beitrag von Bonewitz gefallen: Beim Blättern in den von seinem Vater akribisch geführten Unterlagen stieß Michael Bonewitz auf ein Glückwunschtelegramm von Jürgens, abgeschickt nach der damaligen Sendung. „Er hat danach bergeweise Post bekommen“, erzählt Michael Bonewitz über seinen 2019 verstorbenen Vater. „Da gab es Leute, die haben als Adresse nur geschrieben: Herbert Bonewitz, Mainz.“
Einmal auf kritischem Kurs und beflügelt von der großen Resonanz, legte Herbert Bonewitz nach. Mit „Prinz Bibi“ fand er 1974 eine neue Rolle in der Fernsehfastnacht, um bestimmte Symbole der Fastnacht aufs Korn zu nehmen – ein kritisches Gegengewicht zu betont konservativen Rednern wie Willi Scheu fand er außerdem in der Rolle des Bajazz. Sein Weg führte ihn dann aber zum Kabarett, am 11. November 1975 trat er zum ersten Mal im Mainzer Unterhaus auf. Der Titel seines Programms: „Ein Narr packt aus“.
Buchautor Günter Schenk erklärt, „dass ein Stück anarchistische Kraft in den Narren steckt, die die organisierten Vereine nicht so gern sehen, weil es nicht zu kontrollieren ist“. So habe sich der erste deutsche Fastnachtsverein 1823 in Köln als ein „Fest ordnendes Komitee“ gegründet – „die hatten die Ordnung schon im Vereinsnamen festgelegt“.
In der jetzt auf Hochtouren laufenden Corona-Fastnacht gebe es den Spielraum für spontanes Feiern ohne organisierte Veranstaltungen, sagt Schenk – auch am heutigen Rosenmontag. „Feiern ist erlaubt. Man muss nur die Corona-Bestimmungen einhalten.“