Rhein-Lahn

Rhein-Lahn-Kreis braucht 340 neue Wohnungen pro Jahr: Woran es hakt

Beim Hausbau: Bodengutachten kann Kostenexplosion vorbeugen
340 neue Wohnungen fehlen pro Jahr im Rhein-Lahn-Kreis. Das hat das Pestel-Institut im Auftrag des Bundesverbandes Baustoff-Fachhandel ermittelt. Der Eigentümerverband Haus & Grund sieht beim Abbau von hohen Standards und Kosten auch die Branche selbst gefragt. Foto: Armin Weigel/dpa

Es muss gebaut werden: Bis zum Jahr 2028 braucht der Rhein-Lahn-Kreis den Neubau von rund 340 Wohnungen – und zwar pro Jahr. Diese Wohnungsbauprognose für die kommenden vier Jahre hat das Pestel-Institut in einer aktuellen Regionalanalyse zum Wohnungsmarkt ermittelt, die im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) erstellt wurde.

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„Der Neubau ist notwendig, um das bestehende Defizit – immerhin fehlen im Rhein-Lahn-Kreis aktuell rund 570 Wohnungen – abzubauen: Aber auch, um abgewohnte Wohnungen in alten Häusern nach und nach zu ersetzen. Hier geht es insbesondere um Nachkriegsbauten, bei denen sich eine Sanierung nicht mehr lohnt“, sagt Matthias Günther vom Pestel-Institut in einer Pressemitteilung.

An dem Wohnungsbedarf im Rhein-Lahn-Kreis ändere auch die Zahl leer stehender Wohnungen nichts: Der aktuelle Zensus registriert für den Rhein-Lahn-Kreis immerhin rund 3640 Wohnungen, die nicht genutzt werden, so das Pestel-Institut. Das seien 5,7 Prozent vom gesamten Wohnungsbestand im Landkreis. Ein Großteil davon – nämlich rund 2280 Wohnungen – stehe jedoch schon seit einem Jahr oder länger leer. „Das sind immerhin rund 63 Prozent vom Leerstand. Dabei geht es allerdings oft um Wohnungen, die auch keiner mehr bewohnen kann. Sie müssten vorher komplett – also aufwendig und damit teuer – saniert werden“, sagt Matthias Günther.

Und leer stehende Wohnungen?

Grundsätzlich sei ein gewisser Wohnungsleerstand aber immer auch notwendig. „Rund 3 Prozent aller Wohnungen, in die sofort jemand einziehen kann, sollten frei sein. Schon allein, um einen Puffer zu haben, damit Umzüge reibungslos laufen können. Und natürlich, um Sanierungen überhaupt machen zu können. Aber es wird nur selten gelingen, Wohnungen, die lange leer stehen, wieder zu aktivieren und an den Markt zu bringen“, so das Fazit von Matthias Günther.

Verlässlichkeit fehlt

Denn viele Hauseigentümer halten sich nach Beobachtungen des Pestel-Instituts mit einer Sanierung zurück: „In ihren Augen ist eine Sanierung oft auch ein Wagnis. Sie sind verunsichert. Sie wissen nicht, welche Vorschriften – zum Beispiel bei Klimaschutzauflagen – wann kommen. Es fehlt einfach die politische Verlässlichkeit. Ein Hin und Her wie beim Heizungsgesetz darf es nicht mehr geben“, kritisiert der Leiter des Pestel-Instituts. Außerdem hapere es bei vielen Eigentümern auch am nötigen Geld für eine Sanierung. Weitere Gründe, warum leer stehende Wohnungen nicht vermietet werden: „Immer wieder kommt bei Erbstreitigkeiten kein Mietvertrag zustande. Und oft scheuen sich Hauseigentümer auch, sich einen Mieter ins eigene Haus zu holen, mit dem sie sich am Ende vielleicht nicht verstehen“, sagt Matthias Günther. Für ihn steht deshalb fest: „Am Neubau von Wohnungen führt daher auch im Rhein-Lahn-Kreis kein Weg vorbei.“

Auftraggeber der Analyse ist der Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB). Für dessen Präsidentin macht die Untersuchung eines deutlich: „Es ist eine Milchmädchenrechnung, die leer stehenden Wohnungen gegen den aktuellen Bedarf an Wohnungen gegenzurechnen. Das funktioniert so nicht. Politiker, die das gerade versuchen, betreiben Augenwischerei“, sagt Katharina Metzger. Sie erteilt damit der Aufforderung von Klara Geywitz (SPD) eine klare Absage. Die Bundesbauministerin hatte zuletzt den Menschen, die eine Wohnung suchen, geraten, aufs Land zu ziehen.

Abspecken bei Auflagen gefordert

Für die Verbandschefin vom Baustoff-Fachhandel steht fest: „Der Wohnungsbau ist auch im Rhein-Lahn-Kreis das Bohren dicker Bretter.“ Um voranzukommen, fordert Metzger, die Baustandards zu senken: „Einfacher bauen – und damit günstiger bauen. Das geht, ohne dass der Wohnkomfort darunter leidet. Andernfalls baut bald keiner mehr.“ Es müsse ein „starkes Abspecken“ bei Normen und Auflagen geben – im Bund, bei den Ländern und Kommunen. Katharina Metzger warnt: „Am Ende stoppen überzogene Förderkriterien, Normen und Auflagen den Neubau von Wohnungen – von hochgeschraubten Klimaschutzmaßnahmen, ohne die es keine Förderung gibt, bis zu Stellplätzen, ohne die erst gar nicht gebaut werden darf.“

Scharfe Kritik richtet Metzger an den Bund: „Es passiert zu wenig. Und was jetzt passiert, kommt zu spät. Wer 400.000 Neubauwohnungen – darunter 100.000 neu gebaute Sozialwohnungen – im Wahlkampf verspricht und im Koalitionsvertrag festschreibt, der darf nicht erst ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl wach werden.“ Ohne eine deutlich stärkere staatliche Unterstützung würden weder der notwendige Neubau noch die Sanierungen von Wohnungen im erforderlichen Umfang gelingen.

Im Haushalt fehlen Mittel

Außerdem kritisiert Metzger gemeinsam mit den Wissenschaftlern vom Pestel-Institut den geplanten Bundeshaushalt für 2025: Darin fehlten dringend notwendige Fördermittel für den Wohnungsneubau – allen voran für den sozialen Wohnungsbau. Der benötigt nach Berechnungen des Pestel-Instituts mindestens 12 Milliarden Euro pro Jahr von Bund und Ländern. Der Bund stelle für 2025 jedoch lediglich 3,5 Milliarden Euro bereit.

Auch die Perspektive sei schlecht: Bis 2028 wolle die Bundesregierung Sozialwohnungen mit weniger als 22 Milliarden fördern. Das aber reiche hinten und vorne nicht. Aktuell erlebe die Wohnungsbaubranche „einen regelrechten Absturz“. Viele Unternehmen hätten bereits Kapazitäten abbauen müssen. „Die Neubauzahlen gehen in den Keller. Mauerstein-Hersteller zum Beispiel schließen Werke. Die Entlassungswelle rollt: Der Bau verliert Beschäftigte – darunter gute Fachkräfte. Dabei ist das das Letzte, was sich Deutschland jetzt erlauben darf“, so Katharina Metzger.

Regelflut eindämmen

Laut Mitteilung des Eigentümerverbandes Haus & Grund jedoch will die Bundesregierung das Bauen einfacher und damit billiger machen, indem sie die Regelflut am Bau eindämmt. „Endlich“, sagt Christoph Schöll, Vorsitzender des Eigentümerverbandes Haus & Grund auf Landesebene und in Koblenz. „Es sind unter anderem die hohen Standards, die das Bauen teuer machen, sodass in der Folge die Zahl der neuen Wohnungen zurückgeht, obwohl wir gerade in den Städten viel mehr Wohnraum benötigen.“ Experten schätzen, dass allein dieses Vorhaben der Regierenden in Berlin zu einer Baukostenersparnis von etwa zehn Prozent führt.

Justizminister Marco Buschmann (FDP) und Bauministerin Klara Geywitz (SPD) haben ihr Projekt „Gebäudetyp E“ getauft. E wie einfach. Heißt konkret: Gebäude werden so simpel wie möglich gebaut, ohne bisherige Standards für Komfort und Ausstattung zu beachten. Abstriche an Sicherheit und Brandschutz soll es jedoch nicht geben. „Wenn es damit auch gelingen würde, die grüne Regelflut an Bio-Vorschriften einzudämmen“, so Christoph Schöll, „dann wäre dies der Anfang einer Zeitenwende und könnte dazu beitragen, den Baukostenanstieg dauerhaft zu verändern und der aktuellen Wohnungsnot Haus für Haus zu begegnen.“

Vorschriften der Länder anpassen

In einem nächsten Schritt müssten nach Ansicht von Haus & Grund dann die Bauvorschriften der Bundesländer angepasst und vereinfacht werden. „Es ist doch nicht nachvollziehbar, dass die Höhe eines einfachen Handlaufs je nach Land unterschiedlich vorgeschrieben ist“, erklärt Christoph Schöll. „Allein an diesem Beispiel lässt sich schon erkennen, dass günstigeres, serielles Bauen in der Bundesrepublik durch die vielen Regelungen unmöglich gemacht wird.“

Und noch ein weiterer Faktor spielt bei den hohen Baukosten eine Rolle: Viele neue Standards setzt nicht der Staat, sondern die Branche selbst, also auch die Baustoffindustrie. In den dafür zuständigen Normierungsausschüssen aber sitzen auch etliche Hersteller und Zulieferer, die laut Haus & Grund natürlich auch von höheren, gediegeneren und damit teureren Standards profitieren. Am Ende muss dies der Bauherr bezahlen, private Eigentümer ebenso wie Wohnungsunternehmen. Und mit den Preisen erhöhen sich zwangsläufig auch die Mieten. „Auch an dieser Stelle muss jetzt angesetzt werden, um eine Wende auf dem Wohnungsmarkt zu erreichen“, so Christoph Schöll. red