Am Rande der Frühjahrstagung sprach unsere Autorin, Kerstin Kaminsky, mit Dr. Dieter Schoepf, dem Direktor der Vitos Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie in Hadamar und Weilmünster, über Angststörungen.
Herr Dr. Schoepf, wie lässt sich gesunde von krankhafter Angst unterscheiden?
Die gesunde Angst ist ein unangenehmes Gefühlserlebnis, das mit einer aktuellen oder potenziellen Gefahr assoziiert ist. Sie ist also auf ein Ziel oder Objekt gerichtet. Im Gegensatz dazu ist die krankhafte Angst unerklärlich und der Situation nicht angemessen.
Sind Städter mehr von Angststörung betroffen als die Menschen ländlicher Regionen?
Regionale Unterschiede zwischen Stadt- und Landbevölkerung sind bei Angststörungen in Deutschland weitestgehend vernachlässigbar.
Und wie ist das mit den Geschlechtern?
Frauen sind etwa doppelt so häufig betroffen wie Männer. Ein geschlechtsspezifisches Wahrnehmungs- und Verhaltensmuster kann dafür verantwortlich sein, aber auch biologische Ursachen wie eine genetische Disposition oder hormonelle Mechanismen.
Was, wenn eine Angststörung unbehandelt bleibt?
Pathologische Angstreaktionen neigen zur Chronifizierung. Daraus ergeben sich erhebliche psychosoziale und medizinische Folgerisiken und sogar ein erhöhtes Sterberisiko. Dies lässt sich sowohl auf eine erhöhte Suizidrate zurückführen wie auch auf einen erhöhten Anteil von kardiovaskulären, gastrointestinalen und respiratorischen Begleiterkrankungen. Bedauerlich ist, dass trotz effektiver Therapiestrategien nur knapp die Hälfte der Betroffenen die störungsspezifische Behandlung tatsächlich in Anspruch nimmt.
Kann denn eine Psychotherapie die (unbegründete) Angst ganz nehmen oder was ist das Ziel?
Es gibt zwei Hauptziele: Der Patient mit einer Angststörung soll lernen, weniger vermeidend als zuvor mit angstbesetzten Situationen umzugehen. Zudem soll er die bisher als bedrohlich interpretierten Reize beziehungsweise Situationen anders bewerten. In der Therapie lernt er, dass die befürchtete Konsequenz nicht auftritt und übt den Umgang mit Angst auslösenden Gegebenheiten. Nach einem erfolgreichen Lernprozess kann das sogenannte Extinktionsgedächtnis auch unter kritischen beziehungsweise veränderten Umständen wieder abgerufen werden.