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Hunsrück/Przemysl

„Warum helft ihr uns? Wieso macht ihr das?“ Hunsrücker an polnisch-ukrainischer Grenze im Einsatz

Von Monika Pradelok
Leuchtende Kinderaugen sagen mehr als 1000 Worte: Der kleine Nasar bedankt sich bei Sebastian Schröder, einem der Helfer, mit einem Handschlag dafür, dass der Hunsrück-Hilfstransport ihn und seine Familie mit nach Deutschland nimmt.
Leuchtende Kinderaugen sagen mehr als 1000 Worte: Der kleine Nasar bedankt sich bei Sebastian Schröder, einem der Helfer, mit einem Handschlag dafür, dass der Hunsrück-Hilfstransport ihn und seine Familie mit nach Deutschland nimmt. Foto: Monika Pradelok

Unsere Reporterin hat einen Hunsrücker Hilfstransport an die polnisch-ukrainische Grenze begleitet. Hier schildert sie die Eindrücke einer ganz spontanen Reise, die 22 Flüchtende glücklich gemacht hat.

Lesezeit: 6 Minuten
Eng aneinander gedrängt warten die Menschen am Bahnhof der polnischen Stadt Przemysl. Ein aufgeregtes Stimmengewirr auf Ukrainisch bestimmt die Szenerie. Es wird gedrängelt, verzweifelt versucht, sich gegen die wachsende Masse zu behaupten, um den nächsten Zug zu erwischen. Möglichst weit weg von der polnisch-ukrainischen Grenze. Mittendrin in diesem hektischen Pulk: Fabian ...
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Kommentar zur Reise an die polnisch-ukrainische Grenze: Chapeau für diesen Einsatz!

Unter Strom und unglaublich motiviert – so lassen sich die engagierten Männer und Frauen des Hunsrück-Hilfstransports am besten beschreiben. Wer glaubt, dass sich die Helfer nach der strapaziösen Tour nun erst einmal ausruhen, der irrt.

Denn die nächste Fahrt in Richtung der polnisch-ukrainischen Grenze steht bevor – die Planungen laufen auf Hochtouren. Sie kennen nun die Lage in Przemysl und wissen, dass es Menschen gibt, die bereits mit dem ersten Transport gern nach Deutschland aufgebrochen wären. Diese möchten Wieß, Lautenschläger und Co. nicht im Stich lassen. Dass jemand derart selbstlos ist, konnten die Frauen, die sich mit ihren Kindern dem Trupp anvertraut haben, übrigens nicht glauben. Wahrscheinlich auch, weil eine reine Männergruppe im ersten Moment ziemlich einschüchternd wirkt.

Als mich die Frauen allerdings sehen und ich ihnen als „Monika, die Journalistin“ vorgestellt werde, scheinen sie ein wenig erleichtert zu sein. Ich grüße sie höflich, versuche zumindest eine Floskel auf Polnisch anzuwenden und lächle. Dann folgt etwas, worauf ich nicht gefasst bin. Eine der Frauen – Maria – nimmt meine Hand und bedankt sich bei mir. Peinlich berührt, umfasse ich ihre kalte, zarte Hand. Denn gemacht habe effektiv nichts.

Wieß, Lautenschläger und Co. haben sich in die Gespräche gestürzt. Dann schaue ich in ihre braune Augen. Obwohl Maria lächelt, bemerke ich eine gewisse Traurigkeit. Ich mag mir in dem Moment nicht vorstellen, was sie durchgemacht hat – was alle in den vergangen durchgemacht haben. Erfahren werde ich es dennoch (siehe Artikel auf der nächsten Seite). Dass all diese Frauen nach ihrer verzweifelten Odyssee nun dank des riesigen Engagements des Hunsrück-Hilfstransports mit ihren Kindern einen sicheren Zufluchtsort gefunden haben, beruhigt. Hier kann ich guten Gewissens sagen: Sie sind in guten Händen. Chapeau für diesen Einsatz!

Hunsrücker Hilfstransport im Einsatz: 2600 Kilometer in 26 Stunden

Hunsrück/Przemysl. Alles begann mit einer Anfrage per E-Mail. Ob unsere Zeitung nicht über zwei Familienväter berichten könnte, die sich am Mittwoch, 2. März, an die polnisch-ukrainische Grenze mit einem Auto aufmachen wollen. Der Grund für die Reise: bedürftigen Familien, allen voran Frauen mit ihren Kindern, den Transport nach Deutschland anzubieten.

Als die Nachricht am Sonntag eingeht, entscheidet unsere Redaktion sofort, über das Vorhaben der beiden Hunsrücker zu berichten. Für mich steht bereits an diesem Tag fest, dass ich die beiden Männer begleiten möchte. Muss! Ein Anruf am Montag zeigt, dass binnen weniger Stunden ihr Vorhaben großen Anklang gefunden hat. Denn mittlerweile ist von zwei Kleinbussen die Rede. Und auch Sachspenden seien gesammelt worden, erzählt Fabian Wieß, einer der beiden Initiatoren, am Telefon. Er klärt ab, ob ich mitfahren kann. Schließlich will ich niemandem den Platz wegnehmen.

Nur wenig später überschlagen sich die Ereignisse. Ich darf mit und erfahre, dass aus den zwei Kleinbussen nun vier geworden sind und sich sechs weitere Männer Wieß und seinem Kumpel Christian Lautenschläger anschließen. Und auch der Abfahrtstag hat sich geändert. „Wir würden noch heute losfahren. Kannst du um 0 Uhr am Treffpunkt sein?“

Die Männer am Lastwagen nehmen Decken, warme Kleidung und Lebensmittel gern entgegen.
Die Männer am Lastwagen nehmen Decken, warme Kleidung und Lebensmittel gern entgegen.
Foto: Monika Pradelok

Ich kann. Nur wenige Stunden später bin ich mit all diesen unglaublich motivierten Jungs, die sich teilweise noch nicht mal wirklich kennen, unterwegs nach Przemysl. Sie selbst bezeichnen sich als „die Fahrer“, während zwei Frauen von der Firma Dämgen – das „Orga-Team“ – zurückbleiben und sich um Unterkünfte, Spendeneingänge und bürokratische Fragen kümmern. Sie halten „die Fahrer“ auf dem Laufenden, tauschen sich immer wieder über Whatsapp aus.

Dass die beiden Frauen im Team sind, erleichtert die Arbeit ungemein, betont Christian Lautenschläger. „So können wir uns vollkommen auf die Fahrt konzentrieren, während sie alles von zu Hause koordinieren und organisieren. Das ist Gold wert.“ Überhaupt sei er froh, dass die Firma Dämgen, die einen Sitz in Dickenschied sowie Mainz hat, mit an Bord ist. „Sie haben innerhalb weniger Stunden über soziale Netzwerke die Aktion angekündigt. Seitdem ist die Hölle los.“

Auf dem cirka 1300 Kilometer langen Weg nach Przemysl macht der Trupp immer wieder an ausgewählten Punkten auf der Autobahn Halt, um die nächsten Schritte zu besprechen, die Nachrichten zu verfolgen und die Neuigkeiten von den Frauen daheim. Nach mehr als 13 Stunden Fahrt, bei der sich die Fahrer immer wieder abwechseln, erreicht die Gruppe gegen 14 Uhr den polnischen Ort Przemysl. Als Erstes gilt es, die Hilfsgüter abzugeben. „Am besten beim Roten Kreuz oder der Caritas“, sind sich die Jungs einig.

Doch das gestaltet sich schwierig. Alle Anlaufstellen sind überfüllt. „Wir nehmen nichts mehr an“, wird ihnen erklärt. Die Gruppe bekommt den Tipp, auf einen nah gelegenen Parkplatz zu fahren. Von da aus würden Lastwagen in die Ukraine fahren, heißt es. Bei unserer Ankunft packen mehrere Männer bereits alles in einen Lkw ein. Sie fragen, ob die Hilfstruppe aus Deutschland Stromaggregate, Helme oder Schutzwesten dabei hat. Ein wenig perplex darüber, können die Jungs nur mit Decken, Kleidung, Lebensmitteln und Sachspenden dienen.

Die Decken werden gern für die Menschen in der Ukraine angenommen. Auch ein paar Kleidungsstücke und Lebensmittel. Den Rest geben die Männer zurück. „Was machen wir jetzt damit?“, fragen sich die Hunsrücker. „Lasst uns zum Bahnhof fahren und dort alles umpacken“, entscheiden sie sich nach kurzer Lagebesprechung. Auf der Rückseite des Bahnhofs Przemysl angekommen, hieven alle die Lebensmittel- und Sachspenden in einen der Kleinbusse. Mit diesem fahren Andreas Konrad und Lars Martin weitere Anlaufstellen an.

Währenddessen sprechen die anderen am Bahnhof mithilfe von Übersetzer Igor so viele Flüchtlinge an wie möglich (lesen Sie hierzu unsere Reportage auf Seite 16). Am Ende des Tages sind alle 22 freien Plätze in den Kleinbussen belegt. Der Hunsrücker Hilfstrupp zeigt sich mehr als zufrieden. Die jungen Männer haben das Gefühl, etwas bewegt zu haben.

Während ich im letzten Kleinbus auf dem Weg zurück in die Heimat sitze, gehe ich in mich. Die Eindrücke, die wir in diesen wenigen Stunden gesammelt habe, sind erdrückend. Von jetzt auf gleich sahen sich Hunderttausende gezwungen ihre Heimat zu verlassen. Nun warten viele von ihnen in Przemysl vergeblich darauf, den nächsten Zug Richtung Deutschland oder ins Landesinnere Polens nehmen zu können.

Was sie nach ihrer Rückkehr erwartet, ist ungewiss. Ebenso, dass viele Ehefrauen und Mütter nicht wissen, was mit ihren Männern und Söhnen passiert. Das zermürbt. Die traurigen, verzweifelten Gesichter haben sich eingebrannt und die acht Gefährten in ihrer Entscheidung bestärkt, weiter zu machen. Diese Katastrophe könne einfach niemanden kalt lassen, sind sie sich sicher. Deshalb sei es wichtig, aktiv zu werden. Ihr Engagement hat gezeigt, dass aus einer kleinen Idee, etwas Großes entspringen kann – man muss sich nur zu dem Schritt entschließen.

Wer den Hunsrücker Hilfskonvoi und die Flüchtenden aus der Ukraine unterstützen möchte, kann dies unter folgendem Link tun.

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