Boppard

BBS Boppard: „Glück“ steht jetzt als Schulfach auf dem Stundenplan

Wo das Glück neuerdings Schule macht: An der BBS Boppard wollen Lehrerinnen ihre Schützlinge für Glückserfahrungen sensibilisieren.
Wo das Glück neuerdings Schule macht: An der BBS Boppard wollen Lehrerinnen ihre Schützlinge für Glückserfahrungen sensibilisieren. Foto: BBS Boppard

Seit dem Schuljahr 2022/2023 hält das Schulfach Glück Einzug in die Klassen des Berufsvorbereitungsjahres. Dabei geht es nicht um Dauerbespaßung, sondern um Persönlichkeitsförderung, wie die Berufsbildende Schule (BBS) Boppard erklärt. Das Schulfach Glück solle den jungen Menschen helfen, sich selbst zu erkennen, zu entfalten und zu stärken, heißt es in einer Pressemitteilung.

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Aber wie lässt sich Glück lernen oder üben? Der Glücksunterricht an der BBS Boppard lüftet mit den Jugendlichen dieses Geheimnis. Vorläufige Höhepunkte waren der ganztägige Workshop „Tag der Achtsamkeit“ des Koblenzer Glückscoachs Dirk Gemein und die sogenannte Glücksfabrik im Rahmen der Europa- und Demokratiewoche an der BBS Boppard.

Dabei begann alles wahrscheinlich im Frühjahr vergangenen Jahres: Die Pädagogik- und Religionslehrerin Helen Saal liest einen Artikel über die Weiterbildung zur Unterrichtsqualifizierung für das Schulfach Glück, der sie selbst mit Glück erfüllte. „Das wäre auch etwas für unsere Schule, vor allem für Jugendliche mit emotionalen Startschwierigkeiten und erst recht nach den Corona-Lockdowns mit all ihren Folgen für den Gefühlshaushalt der Menschen,“ schildert sie ihren Erstkontakt mit der Glücksinitiative.

Ernst Fritz-Schubert ist der geistige Vater des Schulfaches

Als Heidelberger Schuldirektor brach Ernst Fritz-Schubert dem Glück die Bahn in den schulischen Fächerkanon. Zusammen mit einem Expertenteam führte er 2007 fundamentale Erkenntnisse der Glücksforschung in einem Lehrplankonzept zusammen, das heute als Pionier in der Entwicklung des Schulfaches „Glück“ gilt. Das von ihm zur Glücksausbildung von Lehrkräften gegründete „Ernst Fritz-Schubert-Institut“ wirbt dabei mit etlichen wissenschaftlichen Studien, die die positiven Auswirkungen des Glücks-unterrichts auf Jugendliche belegen: mehr Selbstwert, mehr Sinn im Leben, mehr Plausibilitätserfahrung, klarere Ziele, mehr Sozial- und Teamkompetenz und im Gegenzug weniger Flucht in zweischneidige Ersatzbefriedigungen.

Doch es sollte nicht bei edlen Vorsätzen und Gedankenspielen bleiben. Unterstützt von der Schulleitung schrieb sie sich noch vor den Sommerferien für die Weiterbildung zum Schulfach „Glück“ ein. Dafür investiert sie seither regelmäßig Teile ihrer Ferien und Wochenenden. Zudem konnte sie ihre Kollegin Lynn Valler als engagierte Mitstreiterin gewinnen.

Als Tandem unterrichten sie nun parallel in zwei Berufsvorbereitungsklassen. „Wir erleben das Schulfach Glück als große und erfüllende Aufgabe. Es geht uns darum, mit den Jugendlichen Strategien zu ergründen, um die Herausforderungen des täglichen Lebens sowie die altersgemäßen Bedürfnisse nach Geborgenheit, Sinnerfahrung und Orientierung zu bewältigen“, fasst Lynn Valler die Motivation für den Glücksunterricht zusammen.

Frage ist so alt wie die Menschheit

Was aber ist nun Glück und wie finde ich es? Die Frage dürfte annähernd so alt sein wie die Menschheit selbst. Und nur allzu oft verwechseln die Menschen das Glück mit einmaligen außerordentlichen Ereignissen, die gleich einem Wunder das eigene Leben in die Sphären nahezu paradiesischer Wonnen katapultieren. Ebenso alt wie die Frage nach dem Glück dürfte auch die Erkenntnis sein, dass sich solche fulminanten Umbrüche in ein vermeintlich sorgenfreies Leben eher selten ereignen.

Um was geht es also im Schulfach „Glück“? Unterrichtsinhalte sind etwa die Themen „Freude am Leben“, „Freude an der eigenen Persönlichkeit“, „Glück des Augenblicks und auf Dauer“. Es geht immer darum, die Sinne und Aufmerksamkeit der Jugendlichen für das oft übersehene und unterschätzte Glück im Alltag zu schärfen: Dazu gehören sinnliche Eindrücke, etwa von Farben, Formen, Lauten und Gerüchen, ebenso wie die Erfahrungen sozialer Nähe: „Was gibt es Beglückenderes und Stärkenderes als eine funktionierende Freundschaft, als das Gefühl von Nähe und Geborgenheit?“, fragt Helen Saal im Unterricht. „Es kommt darauf an zu ergründen, was ich brauche, um dauerhaft glücklich zu sein. Und ich muss bereit sein, dieses zuzulassen“, ergänzt Lynn Valler.

In den Kursen geht es grundsätzlich um die Fragen „Wer bin ich?“, „Was kann ich?“, „Was möchte ich erreichen?“ und „Wie kann ich meine Ziele mit meinen Stärken erreichen?“ Dabei werden die beiden Lehrerinnen nicht müde, ihre Schützlinge für die Bedeutung von Glückserfahrungen zu sensibilisieren. „Menschen mit gesicherter Glückserfahrung sind emotional starke Menschen und können sich so zu charakterstarken Persönlichkeiten entwickeln, die ihr Glück aktiv wahrnehmen und damit auch achtsam und sorgsam mit sich und ihren Mitmenschen umgehen“, zeigen sich Saal und Valler überzeugt.

Tag der Achtsamkeit im Klostergut

Für ihre besondere Mission scheuen beide auch nicht besondere Maßnahmen: So organisierten sie im Herbst zusammen mit dem Glückscoach Dirk Gemein einen erlebnisorientierten „Tag der Achtsamkeit“ im Koblenzer Klostergut Besselich. Dorthin lud sie Gemein in seinen stil- und stimmungsvoll eingerichteten Gewölbekeller ein, der ihm als Glücksatelier dient. Stehend, sitzend, liegend erfuhren die Jugendlichen anschaulich und am eigenen Leibe, wie man sich für Glückserfahrungen öffnen kann: Dies funktioniert zum Beispiel über die angenehmen und beruhigenden Töne der Klangschale oder darüber, dass sich die Menschen auf Meditation und Entspannungsübungen einlassen.

„Das Glück findet ihr nicht in all dem, was ihr euch kaufen könnt“, führt Gemein aus. „Natürlich benötigt ihr wie alle Menschen Geld, um die Grundbedürfnisse nach Essen, Wohnung, Kleidung, Wasser, Heizung et cetera zu befriedigen. Wenn all das aber gesichert ist, finde ich das Glück nicht im Konsum. Das schafft nur kurzfristige Ersatzbefriedigung, und es hat einen Haken: Was macht ihr, wenn ihr kein Geld mehr für Handys, Kleider, Autos und Freizeitaktivitäten habt?“ Diese Leitfrage stand den ganzen Tag im Mittelpunkt des Workshops, der für die meisten Jugendlichen eine großartige Erfahrung war.

Trotz vorgerückter Nachmittagsstunde wollte kaum einer so richtig nach Hause. Die Suche nach dem Glück hatte alle gepackt. Inspiriert vom Ausflug in das Glücksatelier Dirk Gemeins präsentierten Saal und Valler im Rahmen der Europa- und Demokratiewoche an der BBS Boppard ihre eigene Glücksfabrik.

„Hier geht es darum, sich auf die Frage einzulassen, was mich dauerhaft und wirksam glücklich macht“, erläutert Helen Saal das Ansinnen ihrer Glücksfabrik. Dazu dienten Reflexionsimpulse zu den eigenen Stärken ebenso wie das „Glückskreuz“ und das Erstellen eigener Glücksbringer – eine Tätigkeit, die viele Besucher und Besucherinnen magisch anzog. Demokratie, so lernen wir, ist mitnichten Glückssache, sie braucht starke Persönlichkeiten, die ihr Glück nicht auf Kosten anderer suchen.

Die Inhalte des Faches „Glück“ basieren übrigens auf den Konzepten des Heidelberger Schuldirektors Ernst Fritz-Schubert. Seit seiner Pionierleistung im Jahre 2007 findet sich das Fach auf dem Stundenplan von mehr als 100 Schulen in Deutschland, Österreich, Südtirol und der Schweiz – nun auch an der BBS Boppard, an der bereits darüber nachgedacht wird, das unterrichtliche Glücksangebot auf weitere Klassen und Bildungsgänge auszuweiten. red