Biersdorf

Das evangelische Vereinshaus Biersdorf: Ein Novum wird 150 Jahre alt

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Das obere Bild zeigt das evangelische Vereinshaus in Biersdorf im Jahr 1907. Auf dem unteren Bild ist das Gebäude in seinem heutigen Zustand zu sehen. Fotos: Ulrich Meyer Foto: Ulrich Meyer

Das evangelische Vereinshaus Biersdorf besteht seit 150 Jahren. Am 4. Oktober 1874 wurde das Vereinshaus der Evangelischen Gesellschaft für Deutschland eingeweiht – ein Novum in der damaligen Zeit, entstand doch damit erstmals ein christliches Versammlungshaus im Westerwald, das nicht der Landeskirche gehörte. Es ist das älteste Gemeindehaus aller Gemeinschaften und Freikirchen im Kreis Altenkirchen und im oberen Westerwald.

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Die Anfänge der evangelischen Gemeinschaft reichen zurück bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts, als das geistliche Leben in Deutschland vom Liberalismus einerseits und einer totalen Rechtgläubigkeit andererseits geprägt war. In dieser Zeit fasste die aus England kommende Erweckungsbewegung in Deutschland Fuß, und es entstand neues geistliches Leben. Ihre Anhänger wollten frei und ohne Beschränkungen zusammenkommen, um die Bibel auszulegen und gemeinsam zu beten.

Bibelboten im Westerwald

1850 fand in Biersdorf die erste Bibelstunde statt. Drei Jahre später ist im Synodalbericht des Kirchenkreises Altenkirchen die Rede von einem „neuen Conventikel in der Gemeinde Daaden“ (Conventikel war die damalige Bezeichnung für die von Laien gehaltenen christlichen Zusammenkünfte neben oder außerhalb der verfassten Kirche). Seit 1858 waren im hiesigen Raum sogenannte Bibelboten der Evangelischen Gesellschaft für Deutschland mit Sitz in Elberfeld tätig, die Bibelstunden hielten und von Haus zu Haus gingen, um die Menschen mit Bibeln und christlichen Schriften zu versorgen.

Die ersten 20 Jahre der Gemeinschaft, die sich der Evangelischen Gesellschaft als Zweigverein anschloss, waren geprägt von großem Wachstum. Man traf sich zunächst in Privathäusern zur Auslegung der Bibel und zum Gebet. Als die Versammlungen im Laufe der Zeit immer größer wurden, kam 1870 der Wunsch nach einem eigenen Gebäude auf. Am 17. März 1873 wurde der Beschluss gefasst, zwischen Daaden und Biersdorf ein Vereinshaus zu bauen. Der Bauplatz „Vor dem Stahlhammer“ wurde noch im gleichen Jahr für 240 Taler erworben. Nach kurzer Bauzeit wurde das Haus mit Predigerwohnung dank der Hilfe und Opferbereitschaft der Gemeinschaftsleute vor 150 Jahren in Dienst genommen. Nun fand hier jeden Sonntagnachmittag die Gemeinschaftsstunde statt, in der Gottes Wort meist von Laien ausgelegt und in Daadener Platt verkündigt wurde.

Gemeinschaft wächst

Zwei Jahre später wurde mit Friedrich-Wilhelm Pietzsch der erste Prediger der Evangelischen Gemeinschaft in Biersdorf stationiert, da hier auch eine Dienstwohnung vorhanden war. Pietzsch hatte nicht nur die Gemeinschaften im Daadener Land zu betreuen, vielmehr wurde das Vereinshaus Biersdorf/Daaden Stützpunkt der Gemeinschaftsarbeit der Evangelischen Gesellschaft für Deutschland im gesamten oberen Westerwald.

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So sah das evangelische Vereinshaus in Biersdorf im Jahr 1907 aus.
Foto: Archiv Ulrich Meyer

Zugleich weitete sich auch die Arbeit im Vereinshaus selbst aus. Neben der bereits bestehenden Sonntagsschule, der ersten Veranstaltung für Kinder überhaupt, gründete Pietzsch 1877 den Männer- und Jünglingsverein (heute CVJM), der mit Veranstaltungen am Sonntagabend und während der Woche besonders die jungen Männer erreichen wollte. Der Frauen und Mädchen nahm sich der 1879 gegründete Frauenverein an. Männer-, Frauen- und Posaunenchor ergänzten die Gemeinschaftsarbeit in musikalischer Hinsicht.

Gemeindehaus mehrfach ausgebaut

Schon bald war das Vereinshaus zu klein geworden. Die Gemeinschaft wuchs weiter stark, sodass 1883 der große Saal in Richtung Daaden erweitert und weitere sieben Jahre später der kleine Saal angebaut wurde.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die Gemeinschaft eine weitere geistliche Erweckung, in deren Folge ein drittes Mal angebaut und mit einer Jugendstunde sowie Jungschargruppen für Jungen und Mädchen begonnen wurde. Größere Renovierungen am und im Haus wurden 1968/69 und 1998 durchgeführt. Vor einigen Jahren erfolgte die Umgestaltung der früheren Predigerwohnung zu Gruppenräumen, und im großen Saal wurden ein Eltern-Kind-Raum und eine moderne Technikanlage eingebaut.

Veränderungen im Laufe der Zeit

Vieles hat sich in den vergangenen 150 Jahren geändert. Politische Systeme und Überzeugungen sind gekommen und gegangen, aber der Inhalt im evangelischen Vereinshaus ist derselbe geblieben. Es geht nach wie vor um den Glauben an Jesus Christus, der durch die Verkündigung der biblischen Botschaft bezeugt, geweckt, gefördert und vertieft werden soll. Geändert haben sich manche Strukturen. So hat sich die frühere landeskirchliche Gemeinschaft zu einer selbstständigen Gemeinde im Bereich der Gemeinschaftsbewegung weiterentwickelt.

Aus Gemeinschafts- und Bibelstunden am Sonntagnachmittag und -abend wurden Gottesdienste am Sonntagvormittag. Die klassischen Chöre bestehen nicht mehr, auch die Jugendarbeit erfuhr eine Konsolidierung. Infolge der Umstrukturierungen gibt es aktuell einen Zuwachs an jüngeren Menschen und Familien. Daher ist der Raum im Vereinshaus sonntags zu klein geworden, sodass die Gottesdienste derzeit in Friedewald in einer von Bernd Mudersbach zur Verfügung gestellten Halle stattfinden. Die Gemeinde befasst sich mit Plänen zum Neubau eines Gemeindezentrums auf dem Gelände des früheren Biersdorfer Bahnhofs.