„Wir sind so eine Art Helfer-Guerilla“, beschreibt Ulrich das Engagement mit einem verschmitzten Lächeln, als sich gegen Mittag die Masse der heranströmenden Menschen zu lichten beginnt. Es sind überwiegend jüngere Leute, die geduldig in der Sonne auf einen der Kleinbusse und Privatwagen warten. Sie haben Schaufeln und Besen dabei, können sich aber bei Bedarf auch hier noch mit Gummistiefeln, Eimern und Schippen ausrüsten. Getränke, Sonnenmilch oder von Haribo gespendete Gummibärchen gibt es ebenfalls kostenlos für die Helfer. Dann klettern sie in nummerierte Kleinbusse, Privatautos oder sogar Anhänger und werden auf oftmals abenteuerlichen Routen zu den zerstörten Orten unten im Ahrtal gebracht.
Aus der anfangs argwöhnisch von den Behörden und offiziellen Stellen beäugten Privatinitiative ist mittlerweile ein ernst genommener Pfeiler der Soforthilfe im Krisengebiet geworden. „Vor ein paar Tagen rief zum ersten Mal die Polizei aus Altenahr an: Was wir denn hier eigentlich machen, und wie viele Autos hier stehen, wollte der Beamte wissen“, berichtet Ulrich. „Als ich antwortete, dass hier etwa 600 Autos stehen, war am anderen Ende erst einmal kurz Stille.“ Inzwischen werden die privaten Helfer von den Behörden nicht nur geduldet, sondern auch tatkräftig unterstützt.
„Ein Wagen zur Piusbrücke“, gibt Thomas Pütz wieder Anweisungen. „Und ihr fahrt in die Kalvarienbergstraße 6, da räumt ihr dann vier Häuser die Straße hoch, und vier Häuser die Straße runter auf – alles klar?“ Es gibt auch eindrückliche Hinweise zu den Gefahren: „Und bitte: Niemals einfach so in die Häuser rein, erst jemanden dort fragen, ob die Gebäude noch standsicher sind. Im Zweifel draußen bleiben!“
Aus der ganzen Bundesrepublik kommen die Helfer, aber auch aus dem benachbarten Ausland. „Es ist verrückt: Vor ein paar Tagen meldete sich hier ein Norweger: Der hatte zu Hause gleich seinen Kleinbagger auf einen Hänger geladen und ist hergekommen“, sagt Ulrich mit einem Lachen im Gesicht. Und überhaupt: Trotz des Stresses und der Anspannung schaut man in viele lächelnde Gesichter. Beinahe hat die Stimmung trotz allen Ernstes der Situation ein wenig Festivalcharakter.
Da kommt Thomas – auf Nachnamen verzichten die Helfer untereinander – noch einmal angelaufen: „Haben wir noch einen Wagen frei? Wir müssen unbedingt nach Mayschoss.“ „Aber da ist doch jetzt die Straße gesperrt“, weiß einer der Fahrer. „Wir kennen da noch eine nicht ganz offizielle Zufahrtsmöglichkeit“, antwortet Thomas mit einem verschmitzten Lachen. „Die Wachposten an den Wegen wissen Bescheid, dass wir kommen. Da sollte bloß ein guter Fahrer am Steuer sitzen – ist etwas eng.“ Und dann berichtet er Marc, dass ein Einwohner aus Mayschoss vorhin vor Glück geweint habe, als am Morgen der Shuttlebus mit den Helfern doch noch in den Ort durchgekommen ist.
Am Einsatzzelt hat man den Überblick über das Gewusel. Dort stehen Tafeln auf denen aufgelistet ist, welcher Bus mit wie vielen Helfern in welchen Ort unterwegs ist. Denn am Nachmittag und Abend müssen die dann erschöpften Aufräumtrupps wieder eingesammelt und zurück in den Innovationspark gebracht werden. Inzwischen hat man grob überschlagen, wie viele Menschen an diesem Freitag, gut eine Woche nach der Katastrophe, in das zerstörte Ahrtal gebracht wurden. Und Thomas fällt einem ungläubigen Marc überglücklich in die Arme: „3000,“ raunt er ihm ins Ohr.