Sinzig

Nach Tragödie im Sinziger Lebenshilfehaus: Zahl der Toten steigt auf 14 Personen

Von ith/sm
Im Lebenshilfehaus in der Pestalozzistraße hat sich in der Flutnacht eine Tragödie abgespielt. Zwölf Bewohner sind dort ertrunken.
Im Lebenshilfehaus in der Pestalozzistraße hat sich in der Flutnacht eine Tragödie abgespielt. Zwölf Bewohner sind dort ertrunken. Foto: Judith Schumacher

Der Schock nach dem verheerenden Ausmaß der Flutkatastrophe in Sinzig sitzt tief. Und die Zahl der Opfer ist nach einer Tragödie, die sich im Lebenshilfehaus in der Pestalozzistraße abgespielt hat, noch einmal gestiegen.

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14 Todesfälle sind Bürgermeister Andreas Geron zufolge bisher in der Stadt Sinzig bekannt. Besonders dramatisch ist das, was sich in der Nacht zum Donnerstag im Lebenshilfehaus ereignet hat. Von den insgesamt 35 Bewohnern sind zwölf ums Leben gekommen. Das berichtet der Vorsitzende der Lebenshilfe, Ulrich van Bebber. Die Opfer, im Alter zwischen 35 und 65 Jahren, waren von den schnell ansteigenden Fluten der Ahr im Erdgeschoss überrascht worden, konnten sich nicht mehr retten und auch nicht mehr in Sicherheit gebracht werden. Sie ertranken hilflos in diesem dunklen Gebäude, in dem – wie woanders auch – der Strom ausgefallen war. „Unfassbar. Wir sind alle entsetzt, fassungslos und unendlich traurig. Unsere Trauer und unser Mitgefühl gelten vor allem den Eltern, Familien, Freunden und Angehörigen“, kommentiert der bis ins Mark erschütterte Vorsitzende der Lebenshilfe. „Es ist alles ganz schrecklich, man kann es sich gar nicht vorstellen, dass so etwas überhaupt passiert ist“, sagt van Bebber fassungslos. Der Vorsitzende berichtet zudem, dass weitere Bewohner über Stunden in der oberen Etage eingeschlossen waren. Sie wurden von der Feuerwehr über Boote versorgt, bis sie in Sicherheit gebracht werden konnten.

Jetzt sind die Überlebenden in einem Hotel in Neuwied von einer katholischen Hilfseinrichtung untergebracht, wo sie van Bebber zufolge auch erst einmal bleiben können. Leitung und Mitarbeiter des Lebenshilfehauses seien stark traumatisiert. „Sie werden von der Notfallseelsorge betreut“, informiert der Vorsitzende. Wie es mit dem Haus in Sinzig weitergeht, ob renoviert oder neu gebaut wird, steht derzeit noch nicht fest. „Erst gilt es, jetzt wieder Boden unter den Füßen zu bekommen“, so van Bebber. Sicher ist aber: Das Angebot soll fortgeführt werden.

Renate Lapo gehört zu den vielen Helfern, die mit dem Aufräumen beschäftigt sind .
Renate Lapo gehört zu den vielen Helfern, die mit dem Aufräumen beschäftigt sind .
Foto: Judith Schumacher

Martin Eggert wohnt in der Pestalozzistraße gegenüber dem Lebenshilfehaus. Er berichtet aus jener Nacht von einem, wie er sagt, jämmerlich schreienden jungen Mann, der wohl in einem Baum saß. „Ich nehme an, dass er sich aus dem Lebenshilfehaus retten konnte“, berichtet Eggert. Die Einsatzkräfte seien nicht an die Bewohner des Lebenshilfehauses herangekommen, hat er beobachtet.

Eggert selbst, so erzählt er, sei von der Nachbarin gegen 3 Uhr rausgeklingelt worden. „Da lief das Wasser schon ins Haus, und es dauerte keine halbe Stunde, bis es bis zum zweiten Obergeschoss vollgelaufen war“, erzählt er. Seine drei Mieterinnen, die alles verloren haben, hat er bei sich in seiner eigenen Wohnung im zweiten Stock aufgenommen.

Auch am Freitag ist das Chaos in Sinzig nach der Flutwelle noch sichtbar.
Auch am Freitag ist das Chaos in Sinzig nach der Flutwelle noch sichtbar.
Foto: Judith Schumacher

Auch das Ehepaar Lenk, beide älter als 70 Jahre und ebenfalls Anwohner der Pestalozzistraße, steht vor dem Nichts. Das Ehepaar hat Zuflucht bei seiner Vermieterin im Dachgeschoss erhalten. Am Freitagvormittag sind Renate Lapo und ihr Ehemann sowie Jürgen und Inge Fleischmann am Ort, um zu helfen. Heftig erwischt hat es auch die Anwohner der Straße „Grüner Weg“. „Es waren nur noch die Scheinwerfer vom Stadion zu sehen – so hoch stand das Wasser“, berichtet Hagen Hoppe aus jener Katastrophennacht. Markus Jüris, der selbst in der Hohenstaufenstraße wohnt, pendelt am Freitag die ganze Zeit zwischen seinem Zuhause und dem „Grünen Weg“. Dort befindet sich die Wohnung seiner Eltern, die ebenfalls vollgelaufen ist. Auch er steht noch unter Schock. Angesichts der nicht mehr passierbaren Ahrbrücke in der Kölner Straße findet er: „Die Bundeswehr muss kommen. Es muss eine Ersatzbrücke her – und zwar so schnell wie möglich.“

Für den Bürgermeister besteht zunächst nach wie vor die Hauptaufgabe darin, die Infrastruktur – also die Versorgung mit Strom und Wasser – in den überfluteten Bereichen wiederherzustellen. „Ein weiteres großes Thema sind die Verkehrswege. Es muss geprüft werden, welche Brücken noch belastbar sind“, erläutert Geron. An diesem Freitag ist die einzige Verbindung nach Bad Bodendorf über die Brücke in Heimersheim. Eine zentrale Anlaufstelle für die Verteilung von Hilfsgütern an Bedürftige hat die Stadt im Helenensaal eingerichtet. Geron berichtet in diesem Zusammenhang von einer sehr großen Spendenbereitschaft in der Bevölkerung. Deshalb seien zurzeit weitere Hilfsgüter nicht notwendig. Darüber hinaus ist im katholischen Pfarrsaal ein Seelsorgecafé eingerichtet worden. Maßlos verärgert ist Geron über die Schaulustigen. „Da steigen ganze Familien aus den Autos. Die Kinder bekommen noch einen Lolli geschenkt. Dann wird gesagt: ,Guck mal hier!' Und die Opfer werden beim Reinigen fotografiert“, echauffiert sich der Bürgermeister. Der Stadtchef bezeichnet es als ein Riesenproblem, als eine echte Katastrophe, dass zahlreiche Schaulustige die Rettungswege versperren würden. ith/sm

Weitere Informationen zur aktuellen Lage gibt es auf der Internetseite der Stadt Sinzig unter www.sinzig.de, die regelmäßig aktualisiert wird.