In den Bus steigt auch ein Ehepaar von der Ahr. Ihr Haus ist vom Hochwasser betroffen, unbewohnbar. Das Gröbste haben sie gemeinsam mit Unterstützung vieler Helfer gereinigt, jetzt muss es trocknen, der Gutachter muss her. Das Ehepaar hat die Nacht in einem Koblenzer Hotel verbracht, kostenlos. „Wir fahren jetzt unseren Nachbarn helfen“, sagen die beiden. Dass sie am Abend wieder mit nach Koblenz fahren können, hier ein Bett und eine Dusche haben, macht sie glücklich und dankbar. Aus dieser Aktion ist der Busshuttle überhaupt entstanden, denn wenn die Busse ohnehin nach Bad Neuenahr-Ahrweiler fahren, um Einwohner dort abzuholen und sie am nächsten Tag wieder hinzubringen, dann kann man auch Helfer mitnehmen, war die Überlegung. Und sie funktioniert seit einigen Tagen, ist auch zunächst bis 31. Juli verlängert. Allerdings darf der Bus Montag nicht fahren, da private Helfer keinen Zugang bekommen, damit in großem Stil Müll abgefahren werden kann.
11 Uhr am Samstag, der Bus biegt an der Tankstelle in Ahrweiler ab. Viele der Helfer sind unsicher, was sie erwartet. Am Morgen liegt eine Smogwolke über der Stadt. Das ändert sich, als es am Mittag anfängt zu regnen. Aber zumindest in diesem Teil des Ahrtals bleiben Unwetter an diesem Tag aus. Viele bange Blicke der Anwohner gehen gen Himmel: Was, wenn es wieder viel regnet? Was, wenn wieder Wasser in die Häuser fließt, die gerade mühevoll gereinigt werden – und was, wenn sich die Katastrophe, die vor eineinhalb Wochen niemand hätte voraussagen können, wiederholt?
In einem großen Pulk sind die Koblenzer Helfer erst unterwegs, manche haben auch selbst auf der Fahrt auf der Seite ahrhelp.com oder anderen Facebook- oder Internetseiten Hilfegesuche gefunden, Adressen, die sie nun gezielt ansteuern. Und sonst fragt man. Denn während es in manchen Straßenzügen schon richtig gut aussieht, steht in vielen anderen noch Wasser. Und Matsch. Müllberge türmen sich. Und in den Dörfern oberhalb an der Ahr, muss es noch viel schlimmer aussehen.
Und wo viele zusammenkommen, da sind auch große Projekte möglich, erzählen Samira Schuh, Kim Sebastian Scherer und Mike Hohle später beim Warten auf die Rückfahrt. In einem Haus konnten sie helfen, den Keller leer zu räumen und im Erdgeschoss die Räume notdürftig zu reinigen – hier gab es noch weder Strom noch Wasser, das macht es schwierig. An einer anderen Stelle dann fanden sich in einem größeren Haus insgesamt rund 35 Helfer. Während das Wasser am Anfang noch kniehoch im Keller stand und alles verschlammt war, waren am Ende des Arbeitseinsatzes sogar schon die Böden rausgerissen, sodass das Haus jetzt so weit bereit zum Trocknen ist. „Der Mann stand draußen, fast ein bisschen apathisch“, berichten die Helfer. „Er hat gesagt, er hätte nie gedacht, dass das mal fertig wird.“
Edvinas Rommel war schon ein paar Mal zum Helfen an der Ahr, auch Xiang Wang ist nicht zum ersten Mal da. Überall wird noch Hilfe benötigt, ist ihre Beobachtung, auch wenn nun vor allem die Profihelfer rein müssen, um Schutt aufzuladen. „Je mehr Leute zusammen sind, umso mehr kann man schaffen“, sagt Xiang Wang. „Auch in China gibt es immer Naturkatastrophen, da ist es wichtig, dass man zusammenhält.“ Wie sehr die Menschen im Ahrtal die Unterstützung zu schätzen wissen, sieht man an vielen Stellen: Bettlaken sind an den Straßen gespannt, Zäune bemalt mit Dank an die Helfer.
Und auch den Helfern selbst wird geholfen: Überall findet man Essensstände oder Wasserflaschen. „Wir sind von Oldenburg gekommen, wollen warmes Essen anbieten“, sagt eine junge Frau, die vor der Realschule Würstchen grillt. Auch viele Organisationen aus der Region sind aktiv: Vor dem Bahnhof in Ahrweiler hat der Lions Club Sophie von La Roche aus Koblenz aufgebaut, was man benötigen könnte: Essen, Getränke, Tierfutter, Desinfektionsmittel, Schaufeln, Eimer. Hier gibt es auch einen Infopunkt, das improvisierte Impfzentrum, einen Arzt. Feuerwehrwagen aus der Region sind hier im Einsatz, Polizisten, Hilfsorganisationen. Und eben die Tausenden privaten Helfer.
Während die schaufeln und schuften, ergibt sich für viele Bewohner die Möglichkeit, neue Kraft zu schöpfen – und zu reden. Denn auch für viele, die die Unwetter unverletzt und ohne den Verlust von Freunden oder Angehörigen überstanden haben, haben sich die Erlebnisse eingebrannt. Eine junge Frau erzählt, wie sie mit ihren Eltern die ganze Nacht im ersten Stock des Hauses saß, das Wasser bis zur Decke des Erdgeschosses. Die Klingel wurde von dem schwappenden Wasser immer wieder berührt. „Ding Ding Ding Dong, die ganze Nacht. Da wirst du verrückt.“ Sie glaubt nicht, dass die Eltern wieder ins Haus zurückkehren. Das Vertrauen ist weg.
Am späten Nachmittag sammeln sich die Koblenzer an der Bushaltestelle. Viele sind groggy von der oft ungewohnten Arbeit, aber glücklich, etwas getan zu haben. Die Menschen, die sie unterstützen konnten, waren so dankbar, schöpften neuen Mut aus dem Wissen und Erleben, dass sie nicht allein sind, erzählen viele. Als der Bus am Zentralplatz hält, kommt einem die trubelig-bunte Großstadt schon nach den wenigen Stunden im grauen Matsch und allgegenwärtigen Martinshorn vor wie eine andere, heile Welt. Und das ist sie auch.