Helferfest im Weindorf - "Bürgerhilfe" gibt auf
Helferfest im Weindorf: Heimersheim vergisst für einen Moment die Flut
Frank Bugge

Heimersheim. Es ist ein Schnitt bei der Überwindung der Katastrophe im Weindorf Heimersheim: Mit einem Fest für Helfer und Flutopfer hat gleichzeitig die selbst gegründete „Bürgerhilfe Heimersheim am Markt“ nach 16 Tagen ihre Koordinierungs- und Versorgungsarbeit eingestellt. Die Gründe: Die „Macher“ an der Spitze müssen zurück in den bürgerlichen Job. Und: Bei ihnen haben sich Kritik und Frust festgesetzt; sie vermissen die öffentliche Unterstützung ihrer Arbeit für das Dorf und seine Menschen.

Frank Bugge
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„Ohne den freiwilligen Einsatz von anderen Bürgern, Betrieben und Geschäftsleuten wären wir hier ersoffen“, bilanziert Karl-Heinz Kettel ein wenig müde in den Räumen der Fahrschule am Marktplatz. Der ist Ankerpunkt der Fluthilfe in Heimersheim. Hier gibt es Wasser und Ausrüstung, hier gibt es Informationen, und hier werden Hilfsanfragen und Hilfsangebote koordiniert. Hier gibt es regelmäßig warmes Essen für Helfer und die Heimersheimer, die lange Zeit keinen Strom hatten oder ohnehin in ihren leer geräumten Wohnungen nicht mehr kochen und leben können.

Aus der Metzgerei Effert, der Freiwillige beistehen, kommen täglich bis zu 300 Essen. Das alles funktioniert seit 16 Tagen auf Grundlage von Eigeninitiative und Freiwilligkeit. „Doch wir sind ja mit den Problemen noch nicht am Ende“, sagt Kettel, und meint nicht nur die Familien, deren Wohnungen, Häuser und Betriebe demoliert wurden. In der Landskroner Festhalle, so seine Aussage, leben noch 50 Evakuierte. Die bräuchten dringend Wohnungen.

Der Akku der Koordinatoren ist leer, wenn etwas nicht funktioniert, dann raubt es die Nerven. Das wird bei Kettel deutlich: „Wir warten dringend auf eine Kehrmaschine. Der Staub muss aus den Straßen. Die Menschen bekommen Atembeschwerden, und die Augen entzünden sich.“ „Offiziell“ komme wohl nichts. Deshalb hat er bei den Abfallwirtschaftsbetrieben Köln angefragt, ob die mal eine Kolonne entbehren und nach Heimersheim schicken können. Netzwerke und Kontakte sind in der Katastrophe sehr wichtig. Der Heimersheimer Ralf Schäfer ist Hauptfeldwebel bei der Bundeswehr in Büchel. „Der hat es geschafft, dass immer wieder Trupps zu uns gekommen sind, die helfen“, lobt Kettel. Fürs erste ist im Dorf das Gröbste weitgehend getan.

Unter dem Motto „Durchatmen, durchschnaufen, zusammenkommen und durchaus mal feiern“ hat die „Bürgerhilfe“ eine letzte Großaktion gestartet. Ein Helferfest im Biergarten das Hotels „Zum Stern“, sonst einer der Hotspots beim mittelalterlichen Weinfest. 600 Liter Bier plus Bierstand und Zapfanlagen hat eine hessische Brauerei spendiert. Das Thekenteam hat sich irgendwie selbst gefunden. Dazu kommen 500 Bratwürstchen. „Wir haben noch Frikadellen und Schweinerückensteaks sowie Pommes dazu gepackt,“ ruft Nurcan Plich, die mit Ehemann Thomas den „Stern“ betreibt und beim Helferabend in der Restaurantküche die Grills und die Fritteusen glühen lässt. „Nadja“, wie sie alle nennen, hat alle Hände voll zu tun. Die Schlange der Hungrigen am Essensstand wird lange Zeit nicht kürzer werden. „Geduld mitbringen“, steht unter der Speisekarte. Zwischendurch werden noch Tabletts mit belegten Brötchen über den Hof gereicht.

Kurz nach 20 Uhr ist der proppenvoll. Helfer und Betroffene sitzen an Biergarnituren oder treffen sich an Stehtischen. Einige haben sich für den Abend erstmals seit Tagen regelrecht schick gemacht. Andere kommen noch in Arbeitsklamotten, verstaubt und verschlammt. Es gibt sehr viel zu reden. Schadensbilder werden ausgetauscht, tragische und oder auch lustige Erlebnisse erzählt. Wer hat die richtige Versicherung? Wo gibt es noch Bautrockner? Was alle immer wieder betonen: die gegenseitige Hilfsbereitschaft und auch die überwältigende Hilfe von „Fremden“, die von irgendwo zum Helfen in das Weindorf kommen. Eines ist beim Helferfest kein Thema: Corona. Zwar haben die Veranstalter den QR-Code der Luca- App zum Anmelden auf die Tische geklebt, aber darauf wird ebenso wenig geachtet wie auf die Abstandsregel in der Essen-Schlange oder an den Bier- und Stehtischen. Maske trägt hier fast keiner.

Dann wird es sehr emotional. Udo Heimermann greift zum Mikro. Der Architekt, ausgebildeter Schadensgutachter und Sachverständiger für Hochbau, ist in den vergangenen Einsatztagen zum Kopf der „Bürgerhilfe“ geworden. Er habe immer geglaubt, unsere Gesellschaft sei vom Egoismus geprägt, sagt er in seinem Dank an die Helfer. Die Arbeit nach der Katastrophe habe ihn vom Gegenteil überzeugt, berichtet er mit stockender Stimme und unter lautem Applaus. „Wir kennen uns hier alle“, stellt er fest. Mit der Hilfe von außen sei es geschafft worden, dass Heimersheim „relativ gut dasteht“. Die Katastrophe habe zudem Menschen im Dorf, die miteinander Krach hatten, wieder zusammengeführt. Es gebe jetzt „eine große Familie Heimersheim. Wenn wir das die nächsten Jahre so durchziehen, dann kriegen wir Heimersheim und Ehlingen wieder so hin, wie es vorher war.“ An dieser Stelle hat nicht nur „der Udo“ mit den Tränen zu kämpfen; auch in der vielköpfigen Gästeschar müssen Tränen getrocknet werden.

Von unserem Mitarbeiter Frank Bugge

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