Berlin

Terror: Wie sicher können wir uns fühlen?

Von Rena Lehmann
Terror: Wie sicher können wir uns fühlen? Foto: dpa

Der Terrorverdacht während des Festivals Rock am Ring hallt nach. Der Musik- und Festivalsommer in Deutschland hat gerade erst begonnen, mehr als 1200 Veranstaltungen sind bundesweit geplant. Wie sicher kann man sich beim Besuch eines Konzerts noch fühlen?

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Ein Wissenschaftler rät, nicht aus Angst vor Terror auf den geplanten Besuch zu verzichten. Das Risiko, in Deutschland Opfer eines Terroranschlags zu werden, sei weiter gering. Auch das Bundesinnenministerium sieht wegen des Vorfalls bei Rock am Ring keine neue Bedrohungslage.

Die Gefahr eines Terroranschlags beschreibt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) seit Monaten mit den Worten „anhaltend hoch“. Eine Sprecherin des Ministeriums erklärt: „Die Gefährdung und die Bedrohungslage, mit der wir es zu tun haben, war vor den Ereignissen von London an diesem Wochenende ebenso hoch, wie sie es danach ist.“ Weitere zusätzliche Vorsichtsmaßnahmen vor Großveranstaltungen treffen die Behörden nicht. Vor größeren Veranstaltungen bewerten Behörden vor Ort und vom Bund gemeinsam, wie sie die Gefahr eines Angriffs einschätzen, lautet die inzwischen gängige Praxis. Dann würden „lageangepasste Maßnahmen“ ergriffen.

Die Bevölkerung hält Terrorangriffe in Deutschland unterdessen für immer wahrscheinlicher. Laut aktuellem ZDF-Politbarometer glauben 80 Prozent der Deutschen, dass es in den nächsten Wochen in Deutschland zu Terroranschlägen kommen wird, der Wert war noch nie zuvor so hoch. Mehr als die Hälfte der Befragten (52 Prozent) glaubt allerdings auch, dass die Behörden genug zur Vermeidung von Anschlägen tun.

In permanenter Angst davor zu leben, Opfer eines Anschlags zu werden, ist ohnehin kaum möglich, weiß der Risikoforscher Ortwin Renn vom Potsdamer Institut für Nachhaltigkeit. Er empfiehlt, sich zu vergegenwärtigen, dass Terroranschläge im Vergleich zu Ereignissen wie Unfällen im Straßenverkehr immer noch sehr selten sind. „Ich glaube schon, dass man weiter zu Festivals fahren sollte. Wenn man der Angst nachgibt, haben die Terroristen schon ihr Ziel erreicht“, sagt Renn.

Aber was tun, wenn die Angst zum ständigen Begleiter wird? Renn verweist da auf Erfahrungen aus Ländern, die seit Jahrzehnten mit einer ständigen Terrorgefahr leben. „Es gibt einen psychischen Gewöhnungsprozess. Man kann nicht leben, wenn man dauernd Angst hat“, erklärt der Risikoforscher. Er vergleicht den Prozess mit der Angst beim Fliegen. Zwei Drittel der Deutschen hätten zwar Angst vor dem Fliegen, würden es aber trotzdem regelmäßig tun. „Der Körper lernt dabei dazu: Er begreift irgendwann, dass es immer wieder gut geht.“ Nur mithilfe solcher Lernprozesse könnten Menschen, die permanenter Terrorgefahr ausgesetzt sind, überhaupt ihren Alltag meistern. „90 Prozent der Terrorangriffe weltweit passieren in fünf Ländern“, erläutert Renn. Auch die Menschen dort könnten noch ihren Alltag leben.

Mehr Sicherheitspersonal bei Großveranstaltungen muss indes nicht zwingend dazu beitragen, dass Menschen sich auch tatsächlich sicherer fühlen. „Das kann in beide Richtungen gehen. Für den einen ist es beruhigend, von Sicherheitspersonal umgeben zu sein. Sind die Beamten aber zu schwer bewaffnet, kann es Ängste auch verstärken, im Sinn von: Wenn die hier so aufmarschieren, muss es ja eine große Gefahr geben.“

Die Anschläge fanatischer Islamisten wie der auf ein Musikkonzert mit vielen Kindern in Manchester oder auf ein Ausgehviertel in London am Wochenende haben aus Sicht des Experten allerdings eine andere Zielsetzung als etwa die der Roten Armee Fraktion (RAF) in den 70er-Jahren in Deutschland – und machen deshalb auch der ganz normalen Bevölkerung mehr Angst. „Die RAF suchte sich politische Ziele aus, bestimmte Personen oder Behörden. Den islamistischen Tätern ist klar: Je willkürlicher die Auswahl ihrer Opfer ist, desto bedrohlicher ist für jeden anderen Bürger die Vorstellung, er selbst könnte der Nächste sein.“ Nichts ist laut Renn bedrohlicher als der Zufall. „Das ist das Perfide und Strategische an diesen Anschlägen“, sagt Renn. Die Wahrscheinlichkeit, zu ihrem Opfer zu werden, bleibt trotzdem gering.

Von unserer Berliner Korrespondentin Rena Lehmann