Obamas Zurückhaltung in der Welt entzweit die USA

Barack Obama
Barack Obama Foto: dpa

Washington. Larry Summers war einmal einer der wichtigsten Berater Barack Obamas. Als die Finanzkrise die USA in eine tiefe Rezession stürzte, leitete er den Rat der Wirtschaftsweisen im Weißen Haus.

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Von unserem USA-Korrespondenten Frank Herrmann

Zurückgekehrt auf den akademischen Olymp der Uni Harvard, legt er sich öffentlich an mit seinem Präsidenten. „Trainer wissen, dass es für eine Mannschaft nichts Gefährlicheres gibt, als sich aus Angst vor Fehlern in die Defensive zurückzuziehen“, schreibt Summers in einer Kolumne der „Washington Post“. Was für den Sport gelte, gelte auch fürs Weltgeschehen.

Übertriebene Vorsicht im Namen der Besonnenheit, ein solcher Ansatz drohe fatale Folgen zu haben, warnt der Professor. Komme Amerika der Wille abhanden, das globale System so zu prägen, wie es in den vergangenen 70 Jahren der Fall war, fühlten sich seine Gegner ermuntert, während alte Verbündete versuchten, ihre Rivalen zu beschwichtigen oder ihre Sicherheit selbst zu organisieren. Es ist die Warnung vor dem Vakuum, dem Chaos, wie sie in Washington heute fast zur Grundmelodie geopolitischer Aufsätze gehört.

Der ernüchterte Optimist

Der zweite Leitgedanke liest sich ungefähr so: Obama, der ernüchterte Optimist, hat das Interesse an einer Welt verloren, die sich nicht nach seinen Wünschen richtet. Speziell an einem Nahen Osten, der partout nicht der schönen Vision folgen will, wie er sie in seinen frühen Reden, in Kairo, in Istanbul, wunderbar philosophisch skizzierte.

Die Hoffnung, Ägyptens putschende Generäle würden ihr Land zurückführen auf den Pfad der Demokratie, hat sich als trügerisch erwiesen. Gleiches gilt für die naive Annahme, der Syrer Baschar al-Assad würde seine Macht freiwillig abgeben, wenn Amerikaner und Russen nur eine Friedenskonferenz zimmern. Beschwört Obama die Bildung eines ausbalancierten Kabinetts in Bagdad, den Interessenausgleich zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden, hat er in der Sache zwar recht, er wirkt dabei aber wie ein hilfloser Lehrer, dessen Mahnungen wirkungslos verpuffen angesichts der Realität eines drohenden Bürgerkriegs.

Israelis und Palästinenser wiederum hielten sich nicht an den US-Fahrplan, wonach zehn Monate Verhandlungen reichen sollten, um eine belastbare Zweistaatenlösung zu finden. Die Krise um die Ukraine schwelt weiter, in Scharmützeln um ostasiatische Inseln testet China seine Macht. Seit dem Ende des Kalten Krieges habe es zu keiner Zeit so viele Brandherde auf einmal gegeben, doziert Walter Russell Mead, ein Außenpolitikexperte der konservativen Mitte. „Das ist nicht das, wie sich Amerikaner die Welt in der dritten Dekade nach dem Fall der Berliner Mauer vorgestellt haben“, vielmehr sei es ein brutales Erwachen.

Und Obama, der muss sich nachsagen lassen, er wirke wie ein angewiderter Poet, nicht mehr willens, sich in die Niederungen zähen Verhandelns zu begeben, wenn bornierte Streithähne seine Ratschläge einfach in den Wind schlagen. Der gescheiterte Vermittlungsversuch in Nahost mag als Fallstudie gelten. Während sich Außenminister John Kerry aufrieb als Pendeldiplomat zwischen Jerusalem und Ramallah, schaltete sich der Staatschef nie so sichtbar in den Dialog ein, dass man echten Druck spürte. Bill Clinton hatte Ehud Barak und Jassir Arafat noch nach Camp David gebeten, in der (enttäuschten) Hoffnung, dass beide in der Ruhe des Waldidylls über ihren Schatten springen. Bei Obama deutete nichts darauf hin, dass er Ähnliches plante. Kein Wunder, dass Kritiker von Halbherzigkeit sprechen.

Wunsch vieler Amerikaner

Allein, Barack Obamas Zurückhaltung – wenn nicht in Worten, so doch in Taten – entspricht dem Wunsch der meisten Amerikaner, den Fokus stärker auf die eigenen Probleme zu richten. Zumal sich die Exzesse der Ära des Obama-Vorgängers George W. Bush, allen voran der Einsatz im Irak, finanziell als Fässer ohne Boden erwiesen. Und es ist bei Weitem nicht so, dass die komplette Riege außenpolitischer Fachleute Meads Sicht auf den „Tagträumer“ an der Pennsylvania Avenue teilt.

Es gebe keinen realistischen Ersatz für eine von den USA organisierte Weltordnung, er verstehe die ganze Aufregung nicht, meldet sich John Ikenberry, Politikwissenschaftler aus Princeton, in der Zeitschrift „Foreign Affairs“ zu Wort. „Weder China noch Russland haben große Visionen für eine alternative Ordnung.“ Beiden gehe es um Kommerz und Ressourcen und, wo möglich, um regionale Dominanz – nicht aber um den globalen Gegenentwurf.