Integration: US-Muslime fühlen sich dauerbeobachtet

Fühlen sich dauerbeobachtet: In Brooklyn protestieren 2013 junge Muslime gegen die Bespitzelung von Moscheen, Cafés und Buchläden durch CIA und Polizei. "Das Ausspähen von New Yorker Muslimen vertieft das Misstrauen zwischen islamischen Gemeinschaften und den Sicherheitsbehörden", heißt es auf dem Plakat auf der rechten Seite.
Fühlen sich dauerbeobachtet: In Brooklyn protestieren 2013 junge Muslime gegen die Bespitzelung von Moscheen, Cafés und Buchläden durch CIA und Polizei. "Das Ausspähen von New Yorker Muslimen vertieft das Misstrauen zwischen islamischen Gemeinschaften und den Sicherheitsbehörden", heißt es auf dem Plakat auf der rechten Seite. Foto: dpa

New York. Manchmal könne es nerven, sagt Linda Sarsour. Ständig soll sie erklären, Stellung beziehen, zu etwas aufrufen. Kurz nach den Pariser Terrorattacken diskutierte sie bei Sky News, da war sie so etwas wie die Sprecherin der Muslime.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Von unserem USA-Korrespondenten Frank Herrmann

Allein gegen drei männliche Debattenteilnehmer, die alle versuchten, sie in eine Ecke zu drängen. „Komm schon, Linda“, sagte einer in einem Tonfall, als wolle sie etwas verbergen. Dann fragte er, was sie denn nun zu tun gedenke, damit die muslimische Gemeinde weltweit ihrer Verantwortung gerecht werde. „Als müsste ich meinen Kopf für alles hinhalten.“ In der Neuen Welt sind Muslime zwar oft besser integriert als im alten Europa. Das ändert aber nichts daran, dass sich viele nach dem 11. September unter Generalverdacht sehen.

Linda Sarsour ist New Yorkerin, geboren in Brooklyn, aufgewachsen in Brooklyn, dem bodenständigeren Zwilling der Wolkenkratzerinsel Manhattan. Sie redet, als gelte es, einen Wettbewerb im Schnellsprechen zu gewinnen, bisweilen hart an der Grenze des Ruppigen. Nur keine Zeit verlieren: Es ist der Stil ihrer Stadt. Die Tochter palästinensischer Einwanderer sitzt in einem bunt bestickten Kleid hinterm Laptop, als wollte sie für einen Folklorekalender fotografiert werden, aber nur, weil sie nachher zu einer Feier geht. Normalerweise trägt sie enge Jeans, was einen interessanten Kontrast bildet zu ihrem Hidschab, dem Kopftuch, das bis auf die Schultern fällt. Eine Frau mit Hidschab, die sich zu artikulieren weiß, noch dazu im Englisch New Yorks – bei manchem bringe so etwas das Weltbild durcheinander, beobachtet sie. Einmal bekam sie eine E-Mail, in der stand, dass es peinlich sei, jemanden von solcher Intelligenz mit diesem „Symbol der Frauenfeindlichkeit“ um die Haare zu sehen. Sie lacht, wenn sie davon erzählt.

Im neuen Leben zurechtfinden

Linda Sarsour leitet die Arab American Association, eine Organisation, die Migranten aus der arabischen Welt hilft, sich im neuen Leben zurechtzufinden. Ein paar Schritte weiter, im Supermarkt Balady, stapelt sich süßes Dattelgebäck. Ein China-Restaurant wirbt damit, dass es „halal“ kocht, ohne Schweinefleisch. Wäre nicht gleich um die Ecke die Subway, U-Bahn-Linie R, man könnte denken, man sei in Amman oder Ramallah. Knapp 50 000 Menschen mit arabischen Wurzeln leben in Bay Ridge, im Südwesten Brooklyns, nicht weit vom Atlantik. Von einem Armutsgetto kann keine Rede sein, was nur bestätigt, wie Statistiker die Lage sehen.

Laut einer Studie des Washingtoner Pew-Instituts kommen 14 Prozent der muslimischen Haushalte auf ein Jahreseinkommen von mehr als 100 000 Dollar, was ziemlich exakt dem US-Durchschnitt entspricht. Muslime mit Wurzeln in 77 Ländern leben in den USA. Anders als in Frankreich oder Großbritannien gibt es keine dominierende Gruppe, ob sie nun aus Algerien, Marokko oder Pakistan stammt, was das Leben in Parallelwelten erschwert und die Integration erleichtert. „Die amerikanische Gesellschaft ist offener, sie lässt einen leichter dazugehören“, doziert der Computeringenieur Mazen Mukhtar, geboren in der Mittelmeermetropole Alexandria, heute Direktor der Muslim American Society. Während das Kopftuchtragen an französischen Schulen verboten sei, sei es an denen in den USA nicht nur erlaubt, sondern gesetzlich geschützt.

Bensonhurst, ein Stadtteil von Brooklyn. In einer Moschee an der Bath Avenue versammelt man sich auf olivgrünem Teppich zum Freitagsgebet. Kein Muezzin ruft, es gibt kein Minarett, früher wurden im Hauptsaal des dreistöckigen Gebäudes Hochzeiten gefeiert. Draußen zieren chinesische, kyrillische, arabische Schriftzeichen die Ladenschilder, jeweils unter der englischen Zeile, vor allem wohl, um voller Stolz Flagge zu zeigen im Schmelztiegel New York.

Ahmad Hussein, 21, ein lustiger Typ, hat einen Plan. Nach dem Studium der Psychologie und der Politikwissenschaften will er zur Polizei, irgendwann wird er Bürgermeister, dann Präsident, der erste Muslim im Oval Office. Sein Bruder Mohammed, zwei Jahre älter, kann sich ein Grinsen nicht verkneifen, wenn Ahmad im Gedränge vor der Moschee davon erzählt. Auch er hat einen Lebensplan: Ingenieur werden, für eine große Firma arbeiten, schließlich eine eigene gründen, entweder ein Bauunternehmen oder einen Metallbetrieb. Die Eltern stammen aus Kairo, der Vater war Lehrer, er musste umsatteln, in Brooklyn handelt er mit Getränken. Beide Söhne am College, schon das ist eine Erfolgsgeschichte.

Sondereinheit rekrutiert Spitzel

Ja, sagt Linda Sarsour, für viele ihrer Glaubensgenossen laufe es gut, aber das ändere nichts daran, dass man sich fühle, als stehe man unter Dauerbeobachtung. An die Wand ihres fensterlosen Büros hat sie die Karikatur eines Polizisten gepinnt, vor den Augen ein Fernglas, das fast das gesamte Gesicht bedeckt – Big Brother beim Spionieren. Nach den Anschlägen des 11. September arbeiteten die New York Polizei und die CIA im Stillen zusammen, um arabisch-muslimische Gemeinden zu belauschen. Die Kooperation war verfassungswidrig, denn US-Bürger darf die CIA nicht überwachen. Eine Sondereinheit rekrutierte Spitzel, die „Crawlers“, die Kriecher, wie man sie in Bay Ridge nennt. In Moscheen und Cafés, Buchläden und Bars sollten sie Informationen sammeln. Als das Geheimprogramm 2011 publik wurde, kühlte sich Linda Sarsours Verhältnis zu Ray Kelly, dem damaligen Polizeichef der Stadt, auf Eisschranktemperatur ab.

Dabei hatte sie einmal sogar ein Spruchband bemalt, um ihn in ihrem Gotteshaus feierlich willkommen zu heißen. „Wow! Wir öffnen Ihnen die Vordertür, aber Sie haben sich durch die Hintertür längst Zugang verschafft“, beschreibt sie ihre Gefühle. „Ich fühlte mich persönlich verraten.“ Mit Bill Bratton, Kellys Nachfolger, hat sich Linda Sarsour im Laufe eines Jahres schon viermal getroffen. Ob das Bespitzeln aufgehört habe, wisse sie nicht. Aber es sei ein neuer Anfang.