Wegen bestreikter Stellwerke können Züge anderer Bahngesellschaften nicht fahren : Leere Gleise – erboste Reisende
Viele Pendler beispielsweise aus dem Kreis Bad Kreuznach wurden durch den Warnstreik komplett ausgebremst. Selbst die Vlexx-Züge fuhren nicht – dabei hatten sie mit dem Streik nichts zu tun. Weil die EVG aber die Stellwerke bestreikte, war auch die von Vlexx bediente Nahestrecke blockiert. Als der Ausstand um 6 Uhr begann, blieb aber zumindest kein Zug auf offener Strecke stehen: „Darauf haben wir geachtet, weil wir das den Fahrgästen nicht zumuten wollten“, sagte Lars Kreer, Leiter der EVG-Geschäftsstelle in Mainz. „Wenn man selbst Nachteile hat, ist die Akzeptanz für einen Streik ohnehin schon gering“, weiß der Gewerkschafter. Er zeigt sich sehr zufrieden mit der Resonanz bei den Arbeitnehmern: „Das zeigt, dass die Belegschaft voll hinter unseren Forderungen steht.“
„Wir haben den Leuten diesmal relativ freie Hand gelassen“, sagte EVG-Sprecher Oliver Kaufhold zur Streikplanung. Die Motivation sei nach den ersten drei Tarifrunden groß gewesen, das sei bei vielen Aktionen in den Betrieben deutlich geworden. Das Chaos komplett machte die Tatsache, dass auch Mitarbeiter von Reisezentren und an den Durchsageplätzen in mehreren großen Bahnhöfen sich an dem Ausstand beteiligten. So waren teilweise die Infoschalter nicht besetzt. Auch die Angaben im Internet waren sehr ungenau. Das erboste viele Fahrgäste zusätzlich. Beispiel Koblenz: Schon seit Stunden war ein Ehepaar unterwegs und dabei gerade mal von Andernach nach Koblenz gekommen. Der 68-Jährige schimpfte: „Mehr als eine Stunde haben wir auf eine Regionalbahn gewartet. Wie es jetzt weitergeht, ist offen.“ Zu ihrem Zug hieß es auf der Anzeigetafel: „Auf unbestimmte Zeit verspätet.“ Aktuelle Informationen fehlten. „Die Angaben im Internet sind überholt, die Durchsagen kaum zu verstehen, und an der Information haben wir es wegen der langen Schlange gar nicht erst versucht“, empörte sich seine Frau.
Es ist der erste Streik bei der Bahn seit Mai 2015. Damals hatte die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) Lokführer und Zugbegleiter aufgerufen. Der jetzige Warnstreik kam überraschend, denn bis zum Abbruch der Gespräche durch die EVG am Samstag verliefen die Verhandlungen seit zwei Monaten fast geräuschlos. Auf eine Fülle von Details hatte man sich geeinigt, zum Schluss sogar über zwei Kernforderungen der EVG: Ein 1,1 Prozent höherer Anteil des Arbeitgeberanteils zur Altersvorsorge und die Ausweitung des Wahlmodells Geld oder Freizeit. Demnach sollte die zweite Stufe der Lohnerhöhung ab 2021 für die Mitarbeiter in Freizeit wandelbar sein. Selbst bei Mitgliedern der EVG-Tarifkommission herrschte noch am Samstagmorgen Zuversicht, dass man mit einem Abschluss nach Hause fahren würde. Am Ende ging es ums Geld, letztlich kamen beide Seiten bei Lohnhöhe und Vertragslaufzeit nicht zusammen. Der eine Prozentpunkt, den die EVG mehr fordert als die Bahn zahlen will, würde nach Bahn-Berechnung jährlich 90 Millionen Euro zusätzliche Lohnkosten bedeuten. Der Konzern hat schon jetzt Finanzsorgen. Beinahe fürsorglich wies GDL-Chef Claus Weselsky darauf hin, dass die Bahn schon sehr geschwächt sei. Es fehlten Züge und Personal. „Da muss man als Gewerkschaft auch ein bisschen Rücksicht nehmen“, sagte er mit Blick auf den EVG-Streik. Die EVG will die Situation auch nicht weiter eskalieren lassen. Sie kehrt heute in Berlin an den Verhandlungstisch zurück.
dpa/ Kurt Knaudt/Katharina Demleitner