Ahrtal

Überlegungen nach der Flut: „Ein Fluss braucht seinen Raum“

Von Anke Mersmann
Im Ahrtal wurde in den vergangenen Wochen in erheblichem Maße gebaggert, zugeschüttet und modelliert.
Im Ahrtal wurde in den vergangenen Wochen in erheblichem Maße gebaggert, zugeschüttet und modelliert. Foto: privat

Nach der verheerenden Flutkatastrophe vom Juli war eigentlich klar: Die Ahr hat sich mit brutaler Gewalt den Raum zurückgeholt, den sie für sich beansprucht. Das sollte auch Grundlage aller Pläne sein, wie man das Ahrtal künftig sicherer machen kann. Deshalb warnen Fachleute wie der Ahrexperte Professor Wolfgang Büchs vor den fatalen Folgen übereilter Reparaturmaßnahmen am Flussbett:

Lesezeit: 8 Minuten
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Herr Professor Büchs, Sie erforschen das Ahrtal seit mehr als 40 Jahren und waren auch nach der Flutkatastrophe viele Tage dort unterwegs. Wie bewerten Sie den Zustand des Flussbetts nach der Flutwelle? Hat sich die Ahr einfach ihren ursprünglichen Raum von dem Menschen zurückgeholt?

Ja, das kann man sagen. Die Ahr und ihre Nebenflüsse haben sich jetzt den Raum zurückgeholt, den sie für ihr Fließverhalten eben brauchen, auch bei Hochwasser. Das ist ganz eindeutig zu sehen. Und das ist auch das, was alle fordern: Gebt der Ahr und ihren Zuflüssen mehr Raum. Das passiert aber leider nicht. Das ist genau das Problem.

An der Ahr wird sehr viel gebaggert und aufgeschüttet. Macht das denn aus Ihrer Sicht auch alles Sinn?

Das ist sehr schwer nachzuvollziehen. Sowohl die Ahr als auch einige ihrer Zuflüsse, insbesondere der Sahrbach, werden zurzeit förmlich kanalisiert. Das ist insofern verständlich, da der Paragraf 9 des Landeswassergesetzes von Rheinland-Pfalz den Besitzern der Gewässergrundstücke die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes ermöglicht. Aber aus ökologischen Gründen ist es nicht nachzuvollziehen. Denn wie gesagt: Ein Fluss oder ein Bach braucht seinen Raum. Hier sind jetzt natürliche Strukturen geschaffen worden. Und jetzt musste überlegt werden, wie man weiter verfahren kann, um diese möglichst zu erhalten.

Was empfehlen Sie?

Der Paragraf 9 sieht auch Möglichkeiten vor, wie man mit solchen Fällen umgehen kann. Da heißt es zum Beispiel: Für den Fall, dass das Wohl der Allgemeinheit der Wiederherstellung des früheren Zustands entgegensteht, kann der Eigentümer des neuen Gewässerbettes von dem Unterhaltspflichtigen des Gewässers verlangen, dass dieser das Eigentum an dem neuen Gewässerbett oder Nebenarm erwirbt. Das wäre meines Erachtens die Maßnahme der Stunde, denn das Wohl der Allgemeinheit wird auch definiert im Zusammenhang mit Hochwasserschutz und Hochwasservorsorge.

Das klingt jetzt etwas juristisch. Können Sie das übersetzen?

Träger der Unterhaltslast für die Ahr ist derzeit der Kreis Ahrweiler, weil es sich um ein Gewässer zweiter Ordnung handelt. Darüber sollte man allerdings nachdenken. Wir haben zum Beispiel mit dem Glan im Süden von Rheinland-Pfalz einen Fluss von ähnlicher Länge und Struktur wie die Ahr. Der ist aber in großen Teilen ein Gewässer erster Ordnung. Damit ist das Land Eigentümer und unterhaltspflichtig. Bei Gewässern zweiter Ordnung gehört das Gewässer den jeweiligen Grundstückseigentümern der Uferbereiche.

Würden Sie also vorschlagen, dass jetzt in aller Konsequenz die Zuständigkeit für die Ahr komplett an das Land gehen müsste?

Im Prinzip, ja. Natürlich muss man aber über Entschädigungsregelungen nachdenken. Denn das liefe sonst auf eine Art Enteignung hinaus. Allerdings: Ein Gewässer erster Ordnung definiert sich auch in Fragen des Hochwasserschutzes und nicht nur in Fragen der Wasserwirtschaftlichkeit. An der Ahr werden jetzt 15 Milliarden Euro investiert. Insofern hat die Ahr einen Rang erhalten, der es meines Erachtens rechtfertigt, sie als Gewässer erster Ordnung einzustufen. Im Einzelnen kann ich jetzt nicht sagen, wie das geregelt werden soll. Allerdings sehe ich durchaus Notwendigkeiten, den Zustand zu ändern und seitens der Behörden vor allem auf die Anrainer zuzugehen und Grundstücke auszulösen, sodass sich der Fluss tatsächlich ausbreiten kann.

Ginge das auch, wenn die Ahr ein Gewässer zweiter Ordnung bliebe?

Das ist grundsätzlich auch bei einem Gewässer zweiter Ordnung möglich. Man kann natürlich auch dann Hochwasserschutz betreiben. Dann müsste der Kreis Ahrweiler auf die Anlieger zugehen und sagen: Wir kaufen dir jetzt den Grundstücksanteil ab, damit das Gewässer sich ausbreiten kann.

Der Kreis Ahrweiler hat bereits angekündigt, flussnahe Grundstücke verstärkt anzukaufen. Müsste das alles schneller passieren?

Ja. Im Augenblick wird der Eindruck vermittelt, es wird an der einen Seite zugeschüttet und auf der anderen Seite wieder aufgebaggert. Ich nehme ein Beispiel aus Insul. Da wird offensichtlich eine Art Naturschutzmaßnahme umgesetzt, bei der Uferbereiche der Ahr ausgeweitet und vertieft werden. Dafür werden offenbar erst vor Kurzem zugeschüttete Bereiche wieder aufgegraben und das Ganze wieder umgestaltet. Das ist aber der Weg, der an vielen Stellen der Ahr und an ihren Zuflüssen jetzt fast nur noch übrig bleibt, weil in verschiedenen Bereichen schon so viel passiert ist. Schauen Sie sich das Sahrbachtal an! Das ist über große Strecken schon wieder zu einem kanalartigen Rinnsal zugebaggert worden. Möchte man einen halbwegs naturnahen Zustand haben, bleibt gar nichts anderes übrig, als das Ganze durch entsprechend aufwendige Maßnahmen wieder rückgängig zu machen. Das wird auch von der Bevölkerung so gesehen. Ich habe genau diesen Eindruck auch von Anwohnern vermittelt bekommen, dass erst zugeschüttet und dann wieder aufgebaggert wird. Man hat den Eindruck, es steht kein schlüssiges, stringentes Konzept dahinter.

Im Ahrtal wurde in den vergangenen Wochen in erheblichem Maße gebaggert, zugeschüttet und modelliert.

privat

Vieles diente notwendigen Sicherungsmaßnahmen. Aber Beispiele wie bei Fuchshofen, wo die Ahr in ein schmales Bett zurückgezwängt wurde,...

Büchs

... die trapezförmige Uferbefestigung bei Mayschoß oder die Kanalisierung des Sahrbachs werden von Experten mit Sorge beobachtet.

A. Mersmann/M. Ruch/W. Büchs

Wie nachhaltig sind denn überhaupt Aufschüttungen ohne Büsche und Bäume, die die Erde festhalten können? Das ist doch irgendwann ganz schnell alles wieder weg.

Das ist zu befürchten, sofern in Kürze wieder ein Hochwasser auch von geringerem Ausmaß als das im Juli auftreten wird.

Es sind extrem viele Bagger im Ahrtal unterwegs. Dass in den Ortslagen aufgeschüttet und befestigt wird, ist nachvollziehbar. Aber gebaggert wird auch auf Wiesen, Weiden und Auen. Hätte man da nicht besser abwarten sollen, bis ein Gesamtplan für Hochwasserschutz vorliegt?

Ja, auf jeden Fall. Ich kann auch nachvollziehen, dass in den Ortslagen bestimmte siedlungsnahe Strukturen wieder geschaffen werden. Das ist das Dilemma, dass die Menschen auf der einen Seite völlig verständlicherweise so schnell wie möglich wieder Normalität möchten, dass man auf der anderen Seite aber für eine Planung unter dem Gesichtspunkt von Nachhaltigkeit und ökologischen Aspekten eine gewisse Zeit braucht. Dieses Dilemma muss man versuchen, in den Griff zu bekommen.

Ein länderübergreifendes Hochwasserschutzkonzept für das gesamte Ahrtal ist bereits in Arbeit. Doch das dauert. Müsste es nicht im Interesse aller sein, erst mal die Maschinen anzuhalten und abzuwarten – zumindest dort, wo man nicht zur Sicherung von Infrastruktur graben und baggern muss? Der Fluss braucht doch letztlich viel mehr Retentionsräume als vorher.

Ja. Gerade zwischen den Ortschaften muss es zu einer erheblichen Ausweitung des Flusses kommen. Wenn uns dort eine deutliche Aufweitung gelingt, dann haben wir dort auch die Möglichkeit, Strukturen zu schaffen, um Schwemmgut wie Gehölze und anderes herauszufiltern, und zwar ziemlich effektiv. Bei einer Aufweitung senkt sich die Geschwindigkeit des Wassers. Auch das Mäandrieren des Flusses hat ähnliche Effekte. Das konnte man sehr gut an einigen Nebenbächen der Ahr beobachten. Und das lässt sich auch an der oberen Ahr realisieren. An der unteren Ahr wird es dann etwas schwieriger, weil der Druck und die Geschwindigkeit durch die vielen Zuflüsse im Falle eines solchen Hochwassers nur noch schwer zu handhaben sind. Man muss versuchen, das vorher in den Griff zu bekommen. Je früher man an einem Flusslauf und im Oberlauf der Zuflüsse anfängt, Hochwasserschutzmaßnahmen durchzuführen, umso effektiver ist das Ganze.

Sie sagten in einem früheren Gespräch mit unserer Zeitung, dass es wohl ohne größere Regenrückhaltebecken an den Zuflüssen der Ahr nicht gehen wird. Wie sind denn zu dieser Frage die Signale aus Politik und Fachbehörden?

Ich habe das Gefühl, es wird verstärkt darüber nachgedacht, insbesondere über ein Hochwasserrückhaltebecken am Trierbach. Um Missverständnissen vorzubeugen: Es soll kein Stausee geschaffen werden. Es soll nur ein Hochwasserschutzwall sein, der durchaus in Erdbauweise geschaffen werden kann – mit einer Anlage, die im Falle eines Hochwassers verschlossen werden kann, sonst aber für alles voll durchlässig ist. Es ist eine Anlage, die im Notfall temporär ein durchaus beachtliches Hochwasserrückhaltereservoir zur Verfügung stellt. Damit allein kann man natürlich ein Hochwasser des Ausmaßes wie im Juli nicht komplett verhindern, aber man erhält einen Zeitvorsprung und man kann Dinge managen, etwa Wasser kontrolliert ablassen. Das kann helfen, um die katastrophalen Ausmaße eines solchen Hochwassers wie im Juli zu vermindern – und damit Leben retten.

Auch im Hochwasservorsorgekonzept für die Ahr sollen die Räume definiert werden, wo Rückhaltebecken hinkommen könnten, wie die SGD Nord bestätigte. Wo sehen Sie weitere Möglichkeiten?

Ich habe mir alle größeren Zuflüsse der Ahr angesehen. Es gibt dort sehr viele Möglichkeiten zum Beispiel für Flutmulden. Da braucht man in geeigneten Wiesenauen neben den Fließgewässern nur einige Erdwälle zu errichten sowie fallweise etwas einzutiefen, damit diese Talbereiche vorübergehend überschüssiges Wasser aufnehmen und zurückhalten können. Damit kann man auch schon eine ganze Menge erreichen, was das „Durchschießen“ des Wassers betrifft. Wir wollen das Wasser verlangsamen, den Zeitverlauf des Hochwassers strecken und dafür sorgen, dass sich das Wasser stärker im Raum verteilt, damit der Hochwasserscheitel abgesenkt wird und man mehr Zeit hat, um zu reagieren.

Haben Sie denn den Eindruck, dass die Kommunen hier aufeinander abgestimmt vorgehen? Oder andersherum gefragt: Wer soll das Heft des Handelns in die Hand nehmen? Muss die SGD Nord klarer sagen, wo es langgeht?

Eigentlich schon. Die SGD Nord ist nach meiner Kenntnis die vom Land autorisierte Behörde, um dort die Entwicklung in der Ahrregion zu koordinieren. Und das müsste meines Erachtens transparenter passieren als bisher – auch unter Bildung runder Tische, unter Einbindung der Ortsbürgermeister, verschiedener lokaler Experten und von Mitgliedern vom Land anerkannter Umwelt- und Naturschutzvereinigungen, die vom Gesetz her in die Bewertung von naturschutzrelevanten Fragen mit eingebunden werden. Das sind nicht nur die klassischen Naturschutzverbände, sondern zum Beispiel auch Imker, Jäger, Fischereiverbände und andere Naturnutzer wie Land- und Forstwirte oder Winzer. Mit einer solchen Runde muss das alles abgestimmt werden, um zu einer gemeinsamen Lösung zu kommen. Im Augenblick habe ich den Eindruck, dass es durcheinandergeht und dass es nicht so ist, wie man sich das wünschen würde.

Welche Sorge umtreibt Sie denn, wenn es an der Ahr so unkoordiniert weitergehen würde, wie es derzeit erscheint?

Dass wir die Chance verlieren, das Ahrtal zu einer Modellregion zu machen, sondern dass dieser Begriff zum Papiertiger wird und man sich nur auf solche Dinge wie Pelletheizungen oder sonstige technischen Einrichtungen beschränkt. Es besteht die große Gefahr, dass der gesamte nachhaltige, ökologische Ansatz, der natürlich auch vom Flussbett und der Gestaltung der Zuflüsse ausgehen muss, verloren geht. Oder dass man die Sache zweimal bezahlen muss – dass man erst zuschüttet und dann für die Umsetzung teurer Naturschutzprojekte das Ganze wieder aufgräbt und umgestaltet. Ich würde mir wünschen, dass das Ganze von Anfang an koordinierter läuft. Aber ich gebe zu: Es ist schwierig. Es ist ein unheimlicher Zeitdruck da, etwa mit den Heizungen. Die Menschen wollen natürlich über Winter dort beheizt wohnen. Es sind so viele Dinge vordringlich zu erledigen, dass ich auch ein gewisses Verständnis dafür habe, wenn alles nicht so funktioniert, wie es sein sollte. Aber trotzdem muss man auf die Missstände aufmerksam machen. Nachhaltigkeitsprinzipien und ökologische Ansätze gehen sonst zu leicht unter im gesamten Getriebe.

Nun geht es nicht nur um den Naturschutz: Was bedeutet denn das alles für die Menschen und für künftige Hochwasser im Ahrtal?

Wenn ich den Fluss einenge, dann fließt er schneller. Die Geschwindigkeit erhöht den Düseneffekt – mit entsprechend katastrophalen Auswirkungen auf die zurzeit weiterhin besiedelten Uferbereiche. Insgesamt muss man das allerdings als ganzheitlichen Aspekt sehen. Wir haben nicht nur den Fluss. Wir haben den Maisanbau, der im Wassereinzugsgebiet der Ahr erheblich zugenommen hat, und drohende Kahlschläge in absterbenden Fichtenkulturen, wir haben die Versiegelung, wir haben die Weinberge, die immer noch in Falllinie angebaut und entwässert werden, obwohl es eine gute Förderung gibt für Querterrassierungen, und so weiter und so fort. Man muss das ganze Kaleidoskop an möglichen Maßnahmen anpacken – siehe auch Stichwort „Schwammstadt“ – und damit ein ganzheitliches Konzept für den Hochwasserschutz schaffen. Und natürlich muss man über die Besiedlung bestimmter Standorte nachdenken. Dass nur 34 Häuser nicht mehr aufgebaut werden dürfen, wie bisher bekannt, das kann meines Erachtens auch so nicht stehen bleiben.

Die Fragen stellten Anke Mersmann und Manfred Ruch

Zur Person: Professor Wolfgang Büchs

Der Biologe Wolfgang Büchs, Gastprofessor an der Universität Hildesheim und früherer wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Pflanzenbau und Bodenkunde des Julius-Kühn-Instituts, kennt das Ahrtal gut. Er hat dort wissenschaftlich gearbeitet und ist unter anderem Hauptautor einer dreibändigen Monografie, die 2003 im Auftrag des Landesamts für Umwelt Rheinland-Pfalz entstanden ist. „Es wurde sehr viel falsch gemacht“, sagt der Biologe.

Büchs hat auch familiäre Beziehungen in die Region. Seine Schwester arbeitet im Ahrtal in einer Apotheke, die von der verheerenden Flutkatastrophe am 14. und 15. Juli total zerstört wurde.

Flutkatastrophe im Ahrtal
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