Möglicherweise erste Fahrverbote im Land: Bremst Mainz alte Diesel aus?
Was hat das Gericht entschieden?
Die Stadt Mainz muss Dieselfahrverbote in einen neuen Luftreinhalteplan aufnehmen – zugleich aber gibt es eine Frist. Konkret hat die Stadt in dem neuen Plan, der bis zum 1. April 2019 vorliegen soll, auch die Erforderlichkeit von Fahrverboten einzubeziehen. Für Autofahrer ändert sich also zunächst nichts. Sollte in den ersten sechs Monaten 2019 der Mittelwert bei den Schadstoffgrenzwerten von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft aber nicht eingehalten werden, müssten zum 1. September 2019 weitere Maßnahmen für bessere Luft angeordnet werden, auch Fahrverbote – unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit. 2017 lag in Mainz die Belastung mit Stickstoffdioxid (NO2) laut Umweltbundesamt im Jahresmittel bei 48 Mikrogramm.
Wie viele Fahrzeughalter wären von einem möglichen Verbot betroffen?
Das ist schwer zu sagen, zumal auch noch unklar ist, für welche Fahrzeuge ein mögliches Verbot gelten würde. Der Stadt zufolge sind von rund 98.000 in Mainz angemeldeten Pkw etwa 33.000 Diesel – also ungefähr 34 Prozent. Darunter sind aber auch neuere Fahrzeuge mit der Euro-Norm 6. Nutzfahrzeuge sind in Mainz etwa 7700 zugelassen. Von ihnen dürfte der ganz überwiegende Teil einen Dieselmotor haben. Die Landesvereinigung der Unternehmerverbände Rheinland-Pfalz (LVU) rechnete vor, von in Mainz zugelassenen Dieselfahrzeugen hätten mehr als 11.000 die Euro-4-Norm. Diese wären aller Voraussicht nach von einem Verbot betroffen, so es denn 2019 tatsächlich kommt. Der Hauptgeschäftsführer des LVU, Werner Simon, forderte, Mainz müsse Berufung einlegen.
Mainz muss nach einer Gerichtsentscheidung ein Fahrverbot für ältere Dieselfahrzeuge erwägen. Was ist Ihre Meinung zu dem drohenden Verbot?
Wie reagierte die Politik?
Für den Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling (SPD) sind Fahrverbote noch keine ausgemachte Sache. Ein flächendeckendes Verbot sei nach der Gerichtsentscheidung „in weite Ferne gerückt“, sagte er. „Für mich ist das mehr Ansporn als Resignation“, sagte auch der Mainzer Bürgermeister Günter Beck (Grüne). Wenn Mainz Ende Juni den Nachweis erbringen könne, dass der Grenzwert eingehalten wird, müsse es ein flächendeckendes Fahrverbot nicht geben. Die Sperrung einzelner Straßen wollte Beck aber nicht ausschließen. Die Landesregierung sieht vor allem den Bund in der Pflicht. Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD), Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) und Umweltministerin Ulrike Höfken (Grüne) betonten gemeinsam: „Wir können vor Ort die Probleme des Abgasskandals nicht allein lösen und fordern weitreichende Maßnahmen auch durch die Automobilindustrie.“ Es sei unverständlich, warum das Dieselpaket der Bundesregierung Flächenländer wie Rheinland-Pfalz mit seinen ländlichen Pendlerregionen bei den Förderprogrammen für die Hardware-Nachrüstung und Umtauschprogrammen nahezu komplett außen vor lasse.
Wer ist eigentlich verantwortlich für die Luftqualität?
In Rheinland-Pfalz sind für die Luftreinhaltepläne die Kreise oder kreisfreien Städte zuständig. Das Messen der Schadstoffwerte übernimmt das Landesamt für Umwelt. Es betreibt ein Netz aus 27 Messstationen. Welche Kriterien für Standorte zu beachten sind, regelt eine EU-Luftqualitätsrichtlinie. Darin heißt es unter anderem: „Der Ort von Probenahmestellen ist im Allgemeinen so zu wählen, dass die Messung sehr kleinräumiger Umweltzustände in ihrer unmittelbaren Nähe vermieden wird.“
Kommt es in Mainz also nur auf die eine stark belastete Straße an?
Nein, sagt das Gericht ganz eindeutig. Die Anforderung an die Stadt sei, dass in ganz Mainz die Grenzwerte eingehalten werden müssen. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) hat darauf verwiesen, dass abseits der Messstelle nahe dem Hauptbahnhof sogenannte Passivsammler auch an anderen Orten in der Stadt eine Belastung jenseits des Grenzwerts ergeben hätten. Bei Passivsammlern werden in einer Art Reagenzglas Luftschadstoffe erfasst. Wie genau diese Werte sind, ist umstritten.
Die Vorsitzende Richterin am Mainzer Verwaltungsgericht, Stefanie Lang, sagte, selbst wenn sie eine gewisse Ungenauigkeit abziehe, seien die Werte der Passivsammler in Mainz bedenklich.
Warum reichen dem Gericht die bisherigen Maßnahmen der Stadt nicht?
Es geht dem Gericht schlicht nicht schnell genug. Richterin Lang betonte, der Grenzwert müsse kurzfristig und dauerhaft eingehalten werden. Und selbst wenn – wie von der Stadt in Aussicht gestellt – Ende 2019 der Grenzwert eingehalten werde, könne man das kaum mehr als schnell bezeichnen, denn der Grenzwert gelte schon seit 2010. „Es ist auf Kante genäht“, sagte Lang mit Blick auf die bisher ergriffenen Maßnahmen der Kommune. Und bei weiteren geplanten Schritten wie dem Ausbau der Radwege und der besseren digitalen Steuerung des Verkehrs habe die Stadt die Wirkung nicht unmittelbar in der Hand. „Es bedarf der Annahme durch die Verkehrsteilnehmer“, erklärte Lang.
Was plant die Stadt nun?
Sie hat schon vor dem Urteil an einer Fortschreibung des derzeit geltenden Luftreinhalteplans von März 2017 gearbeitet. Teil dessen soll der sogenannte Masterplan Green City werden. Dieser sieht unter anderem die Umstellung auf E- und Brennstoffzellenbusse vor, die Steigerung des Radverkehrs und eine verbesserte Verkehrssteuerung mithilfe digitaler Technik. Auch die geplante Citybahn zwischen Mainz und Wiesbaden kommt dort zur Sprache. Ein Fahrverbot sollte nicht enthalten sein, das muss nun geändert werden.
Beim Blick auf möglicherweise im September 2019 zu ergreifende Maßnahmen setzt die Stadt auf den Aspekt der Verhältnismäßigkeit. Angesichts sinkender NO2-Werte und der Aussicht, Ende 2019 den Grenzwert einzuhalten, halte er ein flächendeckendes Fahrverbot für nicht verhältnismäßig, sagte Oberbürgermeister Ebling.
Was bringen Fahrverbote?
Darüber gehen die Meinungen weit auseinander. Während die Umwelthilfe sie in Mainz und andernorts für nötig und sinnvoll hält, sieht beispielsweise der Mainzer OB Ebling darin keine Lösung. In Hamburg etwa habe sich der Verkehr durch die Sperrungen einzelner Straßenabschnitte verlagert. Herbert Engelmohr, Sprecher des Automobilklubs von Deutschland (AvD), hält die Umsetzung von Fahrverboten für problematisch. Er sieht auch eine „absurde Fokussierung“ auf den Verkehr als Luftverschmutzer. Pelletheizungen, Kamine oder der Schiffsverkehr erhöhten etwa Feinstaubwerte. Marion Jungbluth, Leiterin des Teams Mobilität beim Bundesverband der Verbraucherzentralen, gibt zu bedenken, dass unter dem Strich Menschen mit wenig Geld den größten Schaden hätten. Sie wohnen eher an stark befahrenen Straßen und haben oft auch nicht das Geld, sich neue Autos zu kaufen.
Christian Schultz/ Gisela Kirschstein