Zell

Karriere: Eine Schlecker-Frau wird Erzieherin

Der Korb blieb für viele ehemalige Schlecker-Beschäftigte nach dem Ausverkauf des Drogerieriesen leer: Nur ein kleiner Teil der Schlecker-Frauen hat eine neue Karriere begonnen.
Der Korb blieb für viele ehemalige Schlecker-Beschäftigte nach dem Ausverkauf des Drogerieriesen leer: Nur ein kleiner Teil der Schlecker-Frauen hat eine neue Karriere begonnen. Foto: dpa

Ihre zweite Karriere beginnt mit einem Niedergang: Als im Juni 2012 bei der Drogeriemarktkette Schlecker der letzte Ausverkauf einsetzt, steht Bettina Baumanns Entschluss fest: Nach Jahren als sogenannte Schlecker-Frau an der Kasse und zwischen den Regalen will sie Erzieherin werden.

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Die 47-Jährige aus Zell an der Mosel und ihre Kolleginnen sind da längst Gegenstand einer politischen Debatte. 25 000 Menschen – die meisten von ihnen Frauen – sollen nach der Entlassungswelle bei Schlecker auf der Straße stehen. Ein Teil könnte doch, so die Idee der Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), in sogenannte Mangelberufe gehen und sich zum Beispiel zu Erziehern umschulen lassen. Wegen des Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz für Kinder ab dem ersten Lebensjahr, der am 1. August 2013 in Kraft tritt, würden die schließlich dringend gebraucht.

Ein Aufschrei geht daraufhin durch die Republik. Verkäuferinnen die Erziehung kleiner Kinder anzuvertrauen, das geht vielen zu weit. Sozialberufe dürften nicht zum Auffangbecken werden, kritisiert die Arbeiterwohlfahrt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft warnt, der Ausbau der Kinderbetreuung dürfe „nicht zulasten der Qualität gehen“.

Bettina Baumanns Entscheidung bleibt von alldem unberührt – vielleicht auch, weil die Ausbildung zur Erzieherin für sie die logische Fortsetzung ihres bisherigen Weges ist. Denn natürlich hat sie im Einzelhandel gelernt. Sie hat sogar kurz einen Supermarkt geleitet und ist dann „bei Schlecker hängen geblieben“. Doch parallel dazu hat die 47-Jährige immer auch mit Kindern gearbeitet. Sie ließ sich zur Ernährungsberaterin ausbilden, gab Kochkurse für Kinder, betreute in ihrer Schlecker-freien Zeit Schüler einer Grundschule am Nachmittag.

„Irgendwie habe ich mir schon immer gedacht, dass es auch gut wäre, dafür pädagogisches Hintergrundwissen zu haben“, sagt die 47-Jährige heute. Das Aus für Schlecker ist für sie „der Schubs, den ich gebraucht habe“. Doch trotz hoher Motivation läuft sie erst einmal gegen die Wand. Weil sie zuletzt für Schlecker in Morbach im Hunsrück gearbeitet hat, meldet sie sich zunächst bei der Agentur für Arbeit in Trier.

Dort kann man ihr nicht helfen. Erst die Agentur in Cochem besorgt ihr einen Platz an der staatlichen Schule für Sozialwesen in Trier. Bettina Baumann ist dort Teil eines Pilotprojekts: Ohne abgeschlossene Berufsausbildung dauert die Ausbildung zum Erzieher fünf Jahre. Für sie verkürzt sie sich auf drei. Zugleich arbeitet Bettina Baumann in Teilzeit in einem Mutter- Kind-Haus in Morbach.

Bis zu sechs junge Mütter und ihre Kinder können dort wohnen. „Die Frauen kommen oft aus schwierigen Verhältnissen“, sagt Bettina Baumann. „Unsere Aufgabe ist es, sie stark zu machen, damit sie irgendwann selbst die Erziehungsverantwortung übernehmen können.“ Den Alltag meistern, gemeinsam kochen, spielen, lachen – Bettina Baumann arbeitet gern in Morbach.

„Ich hatte wirklich Glück“, sagt sie. Was sie nicht sagt: Sie ist auch eine echte Ausnahme. Denn in ihrer Schulklasse gibt es schon einige Frauen in mittleren Jahren, die als Erzieherin noch einmal neu anfangen wollen. Aber es gibt dort keine weitere Schlecker-Frau. Und auch im Land ist Bettina Baumann ein Einzelfall. Genaue Zahlen gibt es zwar nicht. Die Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) deuten aber darauf hin, dass es nur ein kleiner Teil sein kann, der sich zu Erzieherinnen ausbilden lässt.

„Wir erfassen das aus Datenschutzgründen nicht, gehen aber davon aus, dass nur ein Bruchteil der Schlecker- Frauen diesen Weg gewählt hat“, sagt ein Sprecher der rheinland- pfälzischen Agentur für Arbeit. Bettina Baumann steckt gerade mitten in den Abschlussprüfungen des ersten Lehrjahres. „Es läuft gut, ich stehe fast in allen Fächern zwischen Eins und Zwei“, sagt sie. Der Stolz, noch einmal neu angefangen zu haben, schwingt mit.

Von unserer Redakteurin Angela Kauer