Für die Natur geht der Kampf weiter Deepwater Horizon

New Orleans – Die Explosion der „Deepwater Horizon“ im Golf von Mexiko und die verheerende Ölpest haben die Welt wochenlang in Atem gehalten. An der amerikanischen Golfküste sind die Folgen des Öllecks immer noch überall gegenwärtig. Die Natur kämpft weiter ums Überleben,das Ökogleichgewicht ist gestört.

Lesezeit: 7 Minuten
Anzeige

New Orleans – Dave Marino geht in die Kurve, als wäre der Wilkinson Canal eine Rennstrecke. In eleganter Schräglage tanzt sein Boot über die Wellen, das Wasser schimmert grünblau, das dichte Gras am Ufer sieht aus wie gemalt. Das Leben ist schön im Mississippi-Delta.

Ölverschmierte Greenpeace-Aktivisten demonstrieren in Brüssel gegen Tiefseebohrungen.

dpa

Vorher und nachher: Der Strand in Gulf Shores am 12. Juni 2010 (oben) und am 17. April 2011 (unten).

DPA

Das Ausmaß der Ölkatastrophe im Golf von Mexiko wird immer dramatischer.

dpa

Nach offiziellen Messungen ist wesentlich mehr Öl ins Meer geflossen als bislang angenommen. Von der US-Regierung beauftragte Forscher korrigierten ihre Schätzungen deutlich nach oben.

dpa

Brennende Bohranlage „Deepwater Horizon“: Das Alarmsystem auf der Ölplattform war nach Angaben eines leitenden Technikers teilweise abgeschaltet.

dpa

Der ölverschmierte Handschuh eines an den Säuberungsarbeiten am Strand eingesetzten Helfers.

DPA

Sie rechnen jetzt im Maximum mit rund 5400 Tonnen pro Tag, die aus der defekten Ölquelle in 1500 Metern Tiefe schießen, teilte die US-Geologiebehörde am Donnerstag (Ortszeit) mit. Bisher lagen die angenommenen Höchstwerte bei 3400 Tonnen.

dpa

In den vergangenen sieben Wochen seit Beginn der Ölpest könnte demnach fast sechsmal so viel Öl ins Wasser geraten sein...

dpa

...wie nach dem Unglück des Tankers «Exxon Valdez» 1989 vor der Küste Alaskas, schreibt die «Washington Post» (Freitag). Das war bis zum Untergang der BP-Bohrinsel «Deepwater Horizon» am 22. April die größte Ölpest in der Geschichte der USA.

dpa

Das untere Ende der neuen Experten-Schätzung liegt bei 2700 Tonnen Öl täglich – dieser Wert stieg von 1600 Tonnen. Die Zahlen gelten für die Zeit, bevor der Ölkonzern BP einen Auffangbehälter über der sprudelnden Quelle installierte. Seitdem leitet er nach eigenen Angaben mehr als 2150 Tonnen Öl pro Tag auf ein Schiff ab.

dpa

Angesichts der erneuten schlechten Nachrichten erhöhte die USA nochmals massiv den Druck auf den britischen Konzern.

dpa

Hochrangige Politiker wie die Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi (links von Obama) legten BP nahe, die Ende Juli fällige Dividende für Aktionäre auszusetzen.

dpa

BP-Chef Tony Hayward sagte dem «Wall Street Journal» (Freitag), dass der Konzern mittlerweile «alle Optionen bezüglich der Dividende» erwäge. «Es ist aber noch keine Entscheidung gefallen.» Die US-Regierung lud derweil ranghohe BP-Offizielle zu einem Treffen im Weißen Haus in der kommenden Woche ein, an dem auch Präsident Barack Obama teilnehmen wird. Nach US-Medienberichten erwartet die Regierung, dass auch Hayward bei dem Treffen erscheint.

dpa

Am Wochenende wollen Obama und der britische Premier David Cameron über die Katastrophe sprechen. Es wird befürchtet, dass die Ölpest das Verhältnis der beiden Länder belastet. Cameron habe «volles Verständnis für die Frustration,...

dpa

...die die Umweltkatastrophe in den USA ausgelöst hat», sagte seine Sprecherin. Der stellvertretende britische Regierungschef Nick Clegg warnte unterdessen vor diplomatischem Zank beider Staaten.

dpa

Nach der Talfahrt an der Börse haben sich die Aktien des Ölkonzerns BP am Freitag wieder erholt. Seit dem Unfall auf der Bohrinsel hat BP damit aber immer noch knapp 40 Prozent an Wert verloren. Der Konzern sicherte zu, Schadensersatz an betroffene Fischer und Firmen künftig schneller auszuzahlen.

dpa

Opfer der Ölpest beklagten, dass BP zu lange brauche, die Forderungen zu begleichen.

dpa

Kurve links, Kurve rechts, nach sieben Meilen hat Marino den Kanal verlassen und pflügt die Wellen der Barataria Bay. Er kennt hier jeden Steg, jede Boje, jede Ölförderpumpe, jede Pipeline. Mit seiner Ray-Ban-Sonnenbrille erinnert Marino selbst an die Hobbyangler aus New York oder Chicago, die er aufs Meer fährt, damit sie sich bei der Jagd nach armlangen Prachtexemplaren fühlen können wie Ernest Hemingway. Nichts deutet darauf hin, dass BP in der Nähe eine verheerende Umweltkatastrophe auslöste. „Abwarten“, sagt Marino. „Gleich kommt Bay Jimmy.“

In Venice, wo Louisiana endet und die Ölpest zuerst das Festland erreichte, kann man das Desaster riechen: Ein Gestank wie an einer Tankstelle weht vom Wasser herüber.

Am Sonntag hatten sich weitere dünne Ausläufer des Ölteppichs in die Kanäle zwischen kleinen Inseln vor der Küste Louisianas geschlichen.

Die Hauptgefahr geht aber von den schweren verklumpten Ölflecken aus, die noch Kilometer entfernt draußen auf dem Meer schwimmen.

Satellitenbilder zeigen laut Experten, dass sich der Ölteppich von einer Fläche von rund 3000 Quadratkilometer auf bis zu 9800 vergrößert hat – etwa der halben Fläche Hessens.

Als Vorboten der Verschmutzung der Küste mussten Helfer bereits viele hunderte Meeresvögel mit schwarzgeteertem Gefieder aus dem Wasser bergen.

Betroffen sind vier US-Bundesstaaten: Florida, Louisiana, Alabama und Mississippi. Nicht nur, dass die Golfküste Amerikas reichste Ausbeute an Shrimps und Austern bietet –

Viele Menschen in den bedrohten Anliegerstaaten von Texas bis Florida leben vom Tourismus.

Überall wurde der Notstand ausgerufen.

Bay Jimmy, eine der zahllosen Nebenbuchten der Barataria. Es riecht nach Teer. Am Ufer ein schwarzer Schlammstreifen, mal zwei, mal fünf Meter breit. Dahinter wuchert Unkraut, erst dann beginnt das Schilf, das früher alles bedeckte. Silbrige Folienfetzen an mannshohen Stangen sollen Vögel abschrecken. Gaskanonen, wie Fernrohre montiert auf Metallgestelle, feuern alle dreißig Sekunden, damit sich kein Schwarm nähert. Im ölverschmierten Marschland der Jimmy-Bucht soll kein gefiedertes Lebewesen mehr landen. Doch die kleinen Strandammern, die über den Schlamm flitzen, machen sich offenbar nichts mehr aus den Kanonen.

„Reiner Aktionismus“, sagt Marino und fährt näher an einen Schwimmkran heran. Den Käpt’n überzeugt das alles nicht. „Alle paar Wochen probieren sie was Neues. Ob sie wissen, was sie tun?“

Das Öl lässt sich nicht stoppen

Es sind die gleichen Szenen wie vor einem Jahr, als am 20. April vor Louisiana die Bohrinsel „Deepwater Horizon“ explodierte und ein paar Wochen darauf stinkendes Rohöl an die Strände schwappte. Es ist die Katastrophe im Miniformat. Eine blasse Erinnerung an das Heer der Helfer, das Teerklumpen in Säcke schaufelte und draußen kilometerweise Kunststoffschlangen auslegte, um das Öl zu stoppen.

An der Bay Jimmy drückt eine starke Strömung das Wasser vom offenen Meer ins zerklüftete Delta. Dort landete das Öl tatsächlich in Form eines klebrigen Teppichs, nicht in rostfarbenen Kügelchen wie an den meisten Küstenabschnitten. Der Teppich ist abgetragen, doch für Fischer und Umweltschützer bedeutet es keine Entwarnung. Bis tief in die Sümpfe haben sich Klümpchen abgelagert, winzige Zeitbomben.

Wenn ab Mai die sengende Sonne das Delta aufheizt, verwandeln sie sich in eine flüssige Masse. Breiten sich aus. „Dann sehen wir ein zweites Mal verschmierte Vögel“, prophezeit Melanie Driscoll, Biologin der Louisiana Coastal Initiative, einer Tierschutzinitiative. „Es wird weniger schlimm, viele werden noch fliegen können. Sie werden das Öl in ihre Nester tragen. Vielleicht wachsen ihre Küken langsamer heran, vielleicht deformiert.“ Niemand wisse genau, was passiere, wenn man an einem Faden eines komplexen Ökoknäuels ziehe.

„I fish for fun“ steht auf dem Filzbecher, in den James Kieff seine Budweiser-Büchsen stellt, damit sie zwischen schweißnassen Fingern nicht abrutschen. Fischen zum Spaß war es nie, Austern zu ernten, ist Knochenarbeit. Die Männer, die die schweren Kisten mit den scharfkantigen Schalen in die Boote hieven, haben Oberarme wie Gewichtheber. Einen Knochenjob macht Kieff auch jetzt, nur bringt der erst mal nichts ein. Im Hafen von Hopedale schippt er nach und nach 500 Tonnen Kies auf sein Boot, um die verwaisten Austernbänke auszubetten, in der Hoffnung, dass sich neue Larven an den Kies krallen.

Dass nachwächst, was vom Öl zerstört wurde. Vom Öl und vom Süßwasser. Um die zähflüssige Gefahr zurück ins Meer zu spülen, öffnete der Staat Louisiana seine Fluss-Schleusen. Es war Gift für die Austern, die eine bestimmte Mischung aus Süß- und Salzwasser brauchen. Nun wälzt BP die Schuld auf die Lokalpolitik und weigert sich, eine Entschädigung zu zahlen.

Zwei, drei Jahre dauert es, bis Kieff wieder ernten kann. Bis dahin verdient er nichts. Allein die Kiesladung kostet ihn 40 000 Dollar, der Anwalt, den er gegen BP klagen lässt, will sein Honorar sehen. Und selbst wenn sich die Zucht irgendwann erholt: Wann Feinschmecker wieder Austern aus Louisiana schlürfen, steht in den Sternen. Es gibt einfach zu viele Unbekannte. Welchen Schaden hat Corexit angerichtet? BP ließ rund sechs Millionen Liter des Dispersionsmittels versprühen, um den Ölteppich aufzuspalten und auf den Meeresboden sinken zu lassen. Kieff macht sich keine Illusionen. „Ich hab‘ es damals sofort gewusst: Jetzt sitzen wir tief in der Scheiße.“

Ökogleichgewicht ist gestört

Billy Nungesser, der rundliche Präsident des Gemeindeverbands Plaquemines Parish, vergleicht sich mit einem Hochseilakrobaten bei einem schwierigen Balanceakt. Einerseits möchte er gern das Ende der Krise verkünden, die überraschend schnelle Wiederauferstehung nach den Weltuntergangsprognosen: „Unsere Meeresfrüchte sind sauber, Fisch gibt es im Überfluss.“ Andererseits gibt es beunruhigende Anzeichen. Seit Januar sind mehr als 150 tote Delfine an den Strand gespült worden, zur Hälfte Jungtiere. Bei etlichen fand man Spuren des Öls aus dem Macondo-Feld, der BP-Quelle. Auf dem Meeresgrund entdeckte man Teermatten, die Shrimp-Fischer fürchten lassen, dass die Garnelenbrut im Sand leidet und die Population massiv zurückgeht. Was die Forscher analysieren, wird oft zur Geheimsache erklärt. Nungesser treibt es den Zorn ins Gesicht. „Was machen wir eigentlich? Vertuschen wir ein Desaster?“

Von unserem USA-Korrespondenten Frank Herrmann