Washington

Bündnistreffen

Ein Nato-Gipfel im Schatten von Putin und Trump

Von dpa
Der Unantastbare? Das Phänomen Donald Trump
Wladimir Putin (l), Präsident von Russland, und Donald Trump, damals Präsident der USA, unterhalten sich auf dem G20-Gipfel. (zu dpa: «Ein Nato-Gipfel im Schatten von Putin und Trump») Foto: Evan Vucci/DPA

Russlands Krieg gegen die Ukraine hat der Nato einen immensen Bedeutungszuwachs verschafft. Die Laune beim Jubiläumsgipfel könnte dennoch besser sein – nicht nur, weil der Krieg nicht enden will.

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Washington (dpa). Wenn an diesem Mittwoch nach dem großen Festakt zum 75. jährigen Bestehen der Nato für Bundeskanzler Olaf Scholz und die anderen Staats- und Regierungschefs die eigentliche Arbeit beginnt, werden zwei Personen das Geschehen mitbestimmen, die gar nicht anwesend sind. Die eine heißt Wladimir Putin und hat dem westlichen Verteidigungsbündnis mit seiner militärischen Aggression gegen die Ukraine einen zweiten Frühling beschert. Die andere heißt Donald Trump und steht für die Ungewissheit und die Sorgen, vor denen das Bündnis trotz der neuen Bedeutung wegen des brutalen Kriegs inmitten Europas steht.

Würde es die Verteidigungsallianz überleben, wenn Trump nach vierjähriger Pause wieder US-Präsident werden sollte? Und wenn nicht, wie würde die Welt danach aussehen?

Vor Nato-Gipfel in Washington – Stoltenberg trifft Austin
Lloyd Austin (r), Verteidigungsminister der USA, empfängt Jens Stoltenberg, im Pentagon. Der Nato-Gipfel zum 75-jährigen Bestehen des Verteidigungsbündnisses findet vom 9. bis 11. Juli in Washington statt. (zu dpa: «Ein Nato-Gipfel im Schatten von Putin und Trump»)
Foto: Kevin Wolf/DPA

Auf all diese Frage wird es beim Nato-Gipfel keine Antwort geben. Fest steht aber, dass sich Trumps Chancen, die US-Präsidentenwahl im November zu gewinnen, in den vergangenen Tagen vergrößert haben. Nach dem desaströsen Auftritt seines demokratischen Kontrahenten Joe Biden bei einer TV-Debatte Ende vor einigen Tagen legte Trump in Umfragen zu. Der Republikaner, der von 2017 bis 2021 Präsident war, konnte seinen Vorsprung vor Biden ausbauen. Sollte Biden beim Gipfel eine schlechte Figur machen, könnte dies Trump weiter Rückenwind verschaffen.

Über den Kopf der Ukraine hinweg mit Russland verhandeln

Joe Biden, Jens Stoltenberg und Wolodymyr Selenskyj (l-r)
Joe Biden (l-r), Präsident der USA, und Jens Stoltenberg, Nato-Generalsekretär, begrüßen Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine, beim Nato-Ukraine-Treffen während eines Nato-Gipfels in Litauen. (zu dpa: «Ein Nato-Gipfel im Schatten von Putin und Trump»)
Foto: Kay Nietfeld/DPA

Sorgen bereitet eine mögliche Wiederwahl von Trump zum einen wegen der Ukraine. Der Republikaner behauptete im US-Wahlkampf mehrfach, den russischen Angriffskrieg in 24 Stunden beenden zu können. Klar ist allerdings, dass er der Ukraine nicht mit zusätzlicher militärischer Unterstützung zum Sieg gegen Russland verhelfen will.

Das Online-Portal «Politico» berichtete unter Berufung auf das Umfeld des Republikaners, Trump denke über eine Art Deal nach, bei dem sich die Nato verpflichte, nicht weiter nach Osten zu expandieren. Gleichzeitig wolle er mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin darüber zu verhandeln, wie viel ukrainisches Territorium Moskau behalten könne. Aus Sicht der meisten europäischen Staaten wäre ein solches Vorgehen ein ungeheuerlicher und zugleich brandgefährlicher Tabu-Bruch. Putin könnte dann nämlich seinen Krieg als Erfolg verbuchen und zu weiteren Aggressionen verleitet werden.

Infragestellen der Beistandsverpflichtung

Weiterer Anlass zur Sorge sind für viele die Erfahrungen mit dem Republikaner in dessen Amtszeit von 2017 bis 2021 und die jüngsten Äußerungen aus dem Wahlkampf. In seiner ersten Amtszeit wetterte Trump immer wieder über die seiner Ansicht nach zu niedrigen Verteidigungsausgaben von europäischen Alliierten und drohte zeitweise sogar mit einem Austritt der USA aus dem Bündnis. Im jüngsten Wahlkampf wiederholt er diese Vorwürfe und stellt die USA unter Biden als ein Land dar, das sich von europäischen Abzockern ausnehmen lasse.

Anfang des Jahres drohte Trump Nato-Ländern, die ihren finanziellen Verpflichtungen nicht nachkämen, keinen amerikanischen Schutz mehr zu gewährleisten – und ermutige Russland geradezu, mit ihnen zu tun, was immer es wolle. Und in einem Interview mahnte er: Man dürfe nicht vergessen, dass die Nato wichtiger für Europa sei als für die USA, denn es liege ein Ozean, «ein schöner, großer, herrlicher Ozean» zwischen den USA und «einigen Problemen» in Europa.

Problematisch ist all dies, weil die Nato als Verteidigungsbündnis auf das Prinzip Abschreckung setzt. Für dieses ist Artikel 5 des Nordatlantikvertrags relevant. Er regelt die Beistandsverpflichtung in der Allianz und besagt, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere Alliierte als ein Angriff gegen alle angesehen wird.

Nato will Trump-sicher werden

Wie groß die Nervosität ist, zeigen die aktuellen Bemühungen, zumindest die Ukraine-Unterstützung ein Stück weit Trump-sicher zu machen. So will die Nato künftig die internationale Koordinierung von Waffenlieferungen und Ausbildung für die ukrainischen Streitkräfte übernehmen – für den Fall, dass die Amerikaner, die diese Aufgabe bislang wahrnehmen, unter Trump ihr Engagement zurückfahren sollten.

Zugleich ist man sich im Bündnis bewusst darüber, dass ein Totalausfall des Bündnispartners USA nicht zu kompensieren wäre. So werden die Vereinigten Staaten nach aktuellen Nato-Zahlen in diesem Jahr rund 968 Milliarden US-Dollar für Verteidigung ausgeben und damit fast doppelt so viel wie die europäischen Alliierten und Kanada zusammen.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg gibt sich allerdings dennoch zuversichtlich und verweist auf die positiven Entwicklungen in den vergangenen Jahren. «Ich erwarte, dass die USA ein starker Verbündeter bleiben, unabhängig vom Ausgang der US-Wahlen», sagte er der Deutschen Presse-Agentur kurz vor dem Gipfel. Ein Grund sei, dass die Nato auch die USA stärker und sicherer mache. Zudem gebe es eine starke parteiübergreifende Unterstützung für die Nato im US-Kongress und in der US-Öffentlichkeit und europäische Alliierte hätten zuletzt viel getan. «Heute ist es so, dass 23 Alliierte zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben – im Vergleich zu dreien im Jahr 2014, als wir das Zwei-Prozent-Ziel vereinbart haben», sagte er. «Dies zeigt, dass die USA die Last nicht allein tragen.»

© dpa-infocom, dpa:240709-930-168055/3