London

Boxset der Gitarrenlegende

Mehr als nur The Who: Konzertsammlung von Pete Townshend

Von dpa
Konzertsammlung von Pete Townshend
Gitarrist Pete Townshend von der britischen Band The Who tritt mit der Rockoper "Quadrophenia" im Ziggodome auf. Nur selten stand er ohne The-Who-Sänger Roger Datlrey auf der Bühne. Nun erscheint ein Boxset mit seinen Solokonzerten. (zu dpa: «Mehr als nur The Who: Konzertsammlung von Pete Townshend») Foto: Paul Bergen/DPA

Eine neue Box enthält lange vergriffene Live-Alben aus der Solokarriere von Pete Townshend. Im Interview verrät der Gitarrist von The Who, warum ihm Konzerte wenig bedeuten und er selten solo auftrat.

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London (dpa). Wenn er mit seiner Band The Who auf der Bühne steht, wird Pete Townshend für seine mitreißende Bühnenpräsenz bejubelt. Seine «Windmühle», das Gitarrenspiel mit rotierendem Arm, und das rituelle Zerschlagen von Instrumenten am Ende der Konzerte sind Kult. Nur selten stand er ohne seinen The-Who-Partner Roger Daltrey auf der Bühne, aber auch als Solokünstler blickt der 79-Jährige auf eine beachtliche Karriere zurück. Nun erscheint ein Boxset mit Konzerten aus allen Phasen seiner Solokarriere.

«Ich hatte damit überhaupt nichts zu tun», sagt Townshend gewohnt offen und ungefiltert im Interview der Deutschen Presse-Agentur in London. «Ich habe das Boxset erst gestern zum ersten Mal gesehen. Es sieht sehr hübsch aus. Ich bin mir nicht sicher, ob CDs in der modernen Welt noch sinnvoll sind, aber egal.»

Werkschau mit vergriffenen Live-Alben

Mehr als nur The Who: Konzertsammlung von Pete Townshend
Das Cover des Boxsets «Live In Concert 1985-2001» von Pete Townshend. Eine neue Box enthält lange vergriffene Live-Alben aus der Solokarriere von Pete Townshend. (zu dpa: «Mehr als nur The Who: Konzertsammlung von Pete Townshend»)
Foto: Universal Music/DPA

14 CDs enthält die Werkschau «Live In Concert 1985-2001», die auch digital erhältlich ist. Live-Alben, die der britische Musiker ursprünglich nur in streng limitierter Form über seine eigene Website veröffentlicht hatte und die seit Jahren vergriffen waren, wurden dafür remastert. Er sei von dem Projekt überrascht worden, sagt Townshend.

Seine Songrechte hatte er schon vor einiger Zeit an Universal verkauft. «Die haben darauf bestanden, auch all meine Online-Veröffentlichungen zu erwerben», erzählt er. «Es ist eine unterhaltsame Sammlung, aber es gibt keine Dringlichkeit dafür, keinen zeitlichen Anlass. Ich habe nichts zu verkaufen. Ich habe keine Live-Auftritte geplant. Ich arbeite an Solo-Projekten, aber ich bin mittendrin und will gar nicht so viel darüber reden.»

Townshend: «Ich bin nie gern aufgetreten»

Immerhin bei den Liner-Notes, den Begleittexten, war der Gitarrenvirtuose involviert. In einem gebundenen Buch, das in Zusammenarbeit mit The-Who-Archivar Matt Kent entstand und dem Boxset beiliegt, erläutert Townshend fast schon philosophisch seine eigenwillige Sicht auf seine Solokarriere und überrascht mit einer Aussage über seine Live-Auftritte.

«Ich hätte auch schon vor Jahren darüber sprechen können. Aber ich glaube, jetzt, wo ich alt bin, habe ich nichts mehr zu verlieren. Ich kann genauso gut die Wahrheit sagen», sagt Townshend im dpa-Gespräch. Und dann dieser Satz: «Ich bin nie gerne aufgetreten. Nie. Ich habe nie einen einzigen Moment der Freude oder Erhebung dabei empfunden.»

Während The-Who-Frontmann Daltrey stets von Live-Auftritten schwärmt, möchte Townshend nach eigener Aussage zwar dem Publikum seine Musik vorstellen, er brauche die Konzerte aber nicht als Bestätigung. «Ich verstehe einfach nicht, was andere Musiker dabei empfinden. Ich wünschte, ich könnte es. Ich liebe Musik und ich liebe es, Musik zu machen. Und ich bin gut im Performen, aber ich weiß nicht wie. Es passiert einfach. Es ist sehr, sehr merkwürdig.»

Konzerte mit David Gilmour

Wie gut er im Performen ist, zeigt das Live-Boxset, das einige Juwelen enthält. Bei den beiden Konzerten in der Londoner Brixton Academy etwa wurde Townshend 1985 von seiner Supergroup Deep End begleitet, der unter anderen Pink-Floyd-Gitarrist David Gilmour angehörte. Heute kaum zu glauben: Die Karten verkauften sich damals schlecht. Ein drittes Konzert wurde deshalb sogar abgesagt.

Townshend wundert sich noch heute darüber. «Das ist genauso seltsam wie, dass niemand die Soloalben von Mick Jagger haben wollte. Vielleicht mochten die Leute The Who einfach lieber, keine Ahnung. Ich fand, Deep End war wirklich eine exzellente Band.» Die Setlist aus Brixton enthält im Übrigen viele Klassiker von The Who, darunter «Pinball Wizard» und «Behind Blue Eyes».

Die Konzerte des Boxsets – dazu gehören auch New York 1993, San Francisco 1996, London 1998, London 2000 und San Diego 2001 – enthalten neben vielen The-Who-Songs (allein acht Versionen von «Won't Get Fooled Again») mitreißende Versionen von Klassikern aus Townshends Solokarriere (zum Beispiel «Let My Love Open The Door»), Coverversionen und eine komplette Live-Performance seines 1999er-Konzeptalbums «Psychoderelict».

Solokarriere als Hauptberuf kam nie infrage

Begonnen hatte seine Solokarriere einst aus Unzufriedenheit mit The Who. «Die Wahrheit ist, dass ich tatsächlich psychische und mentale Probleme hatte», sagt Townshend rückblickend. «Aber ich habe so viel Alkohol getrunken, dass ich nie wirklich gemerkt habe, was los war.» Manager, Agenten und Freunde hätten ihm schließlich geraten, als Solokünstler kreativ zu werden, weil die Band für ihn damals nicht mehr funktioniert habe. 1982 lösten sich The Who zeitweise auf.

Hauptberuflich wäre eine Solokarriere jedoch nie infrage gekommen, betont Townshend. «Wenn es The Who nicht gegeben hätte, wäre ich Schriftsteller, Maler, Installationskünstler oder Bildhauer geworden. Vielleicht hätte ich auch als Geschäftsmann gearbeitet», glaubt der 79-Jährige. Als Sänger habe er sich immer wohler gefühlt, wenn Daltrey neben ihm stand. Soloauftritte hätten ihn erschöpft. Für eine eigene ausgedehnte Tour – er absolvierte nur eine einzige – fehle ihm die physische Ausdauer.

Townshend lässt Zukunft offen

Ob er noch einmal mit The Who auf Tournee gehen wird, lässt Pete Townshend offen. Derzeit genießt der vielseitige Musiker die Arbeit in seinem Studio ohne Verpflichtungen. «Ich habe keine Fristen, ich habe keinen Vertrag, ich brauche kein Feedback», sagt er bestens gelaunt. «Ich liebe einfach nur den kreativen Prozess. Ich spiele, es macht Spaß, es macht Freude, und ich habe das Glück, dass ich Geld verdiene. Ich habe aufgehört, kommerziell Musik zu machen, als ich Anfang 30 war.»

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