Vielhaberei – Fahrbericht: Ducati Multistrada V4 S
SP-X/Gubbio. Sie ist die einzige Ducati, die es in den ersten neun Monaten dieses Jahres in Deutschland unter die 50 meistverkauften Motorräder gebracht hat: Die Multistrada V4 ist für die Bologneser Firma in deutschem Besitz (Audi) ein Renner. Drei Jahre, nachdem der 1.185 Kubikzentimeter große Vierzylindermotor (125 kW/170 PS bei 10.750 U/min., 129 Nm bei 9.000 U/min.) den früheren, geringfügig leistungsschwächeren V2 mit variabler Ventilsteuerung abgelöst hat, erscheint jetzt der zweite Aufguss, ein solides Update. Die neue Homologationsnorm Euro5+ macht diverse Eingriffe in die Technik nötig, und das nutzte Ducati für die weitere Aufrüstung seines besten Pferdes im Stall.
Ihr V4 ist einzigartig in dieser Klasse; unter der EU5+-Kur hat seine Potenz nicht gelitten. Er hängt bestens am Gas, entfaltet seine ganze Klasse verständlicherweise aber erst im oberen Drehzahldrittel. Untenrum ist er nicht überpotent, dafür aber geschmeidig. Auf sehr hohem Niveau agiert auch das semiaktive („Skyhook“) Fahrwerk der Multistrada, egal ob bei hohem Tempo oder auf kurviger Strecke. Und zwar unabhängig davon, ob die Multi voll beladen ist oder auch nicht. Sie tariert sich automatisch aus.
Noch besser als früher arbeitet die aufwändige Brembo-Radialbremsanlage; zugunsten höherer Reserven wird neuerdings hinten eine größere 280er Bremsscheibe montiert. Neu ist, dass der Tritt aufs Bremspedal auch die Frontbremse aktiviert; auf nasser Straße hat das System absolut überzeugt. Auch der Quickshifter zum kupplungslosen Gangwechsel arbeitet hochpräzise. Eine elektronisch gesteuerte Kupplung mit wahlweiser Schaltautomatik, wie es sie bei BMW, KTM und Yamaha ab diesem Winter gibt, hat Ducati nicht im Angebot.
Für regnerische Bedingungen hat Ducati der Multistrada V4 S nun erstmals einen Wet-Mode spendiert; dieser stellt alle elektronischen Fahrhilfen auf maximale Sensibilität und begrenzt zugleich die abrufbare Leistung auf 114 PS. Am verregneten Testtag ein nützliches Angebot. Doch auch im unlimitierten Touring-Modus ließ sich die Multi auf stets nassen Straßen einwandfrei fahren. Zusätzlich probieren konnten wir den ebenfalls auf 114 PS limitierten Enduro-Mode; auch offroad erfolgt die Gasannahme sehr weich, so dass das vollgetankte und mit Seitenkoffern ausgerüstete Motorrad trotz seines Gewichtes von gut 250 Kilogramm auf teils zerfurchten Kiesstraßen einwandfrei fahrbar war.
Dazu trug freilich nicht nur der Enduro-Fahrmodus bei; nicht unwesentlich beteiligt waren zudem die auf diesem Testfahrzeug montierten grobstolligen Reifen des Typs Pirelli Scorpion Rally STR. Grip und Traktion dieser Pneus stellten auch bei Nässe voll zufrieden. Das galt gleichermaßen für das Fahren mit den STR-Reifen auf den häufig welligen und zerfurchten italienischen Land- und Bergstraßen. Das Multistrada-Fahrwerk, bei der S-Version der Multistrada V4 semiaktiv regelnd, leistet dabei ganze Arbeit. Erfreulicherweise weist es neuerdings serienmäßig eine Absenkautomatik auf, die unter 10 km/h wirksam wird; das Finden eines sicheren Stands wird für kleiner gewachsene Fahrer auf diese Weise wesentlich erleichtert. Offroad fiel auf, dass die Multistrada schon bei eigentlich harmlosen Umfallern im Gelände leicht sichtbare Schäden davonträgt; Abhilfe bietet das 1.300 Euro kostende Enduro Paket, das unter anderem einen stählernen Motorschutzbügel enthält; er schützt zugleich die Fahrzeugflanke ein wenig. Eine Alu-Motorschutzplatte ist für weitere 290 Euro erhältlich.
Zur Ausstattung gehören einfache, aber nützliche Dinge wie die sehr schnell reagierende Blinker-Rückstellautomatik oder die bei Dunkelheit hinterleuchteten Taster und Schalter am Lenker. Sehr gut gelungen ist das neue 6,5 Zoll-TFT-Farbdisplay; die Bedienung fällt dank des logischen Menü-Aufbaus relativ leicht. Auch sind die Bedienungstasten vorteilhaft platziert. Die Ablesequalität ist gut, die Informationsvielfalt sehr beachtlich. Neu ist, dass die hintere Zylinderbank nicht nur im Leerlauf pausiert; auch bei lastarmer Fahrt im Niedrigdrehzahlbereich verbrennt sie kein Benzin mehr. 6,6 Liter pro 100 Kilometer sind als Normverbrauch der neuen Multistrada V4 S angegeben.
Viel Aufwand hat Ducati in die Komfortverbesserung investiert; für die mitfahrende Dame des Herzens steht mehr Platz als zuvor zur Verfügung, weil die Seitenkoffer wie auch das Topcase weiter nach hinten gerückt sind. So gibt es mehr Raum für die Beine. Vier verschiedene Sitzbänke mit unterschiedlichen Sitzhöhen sollten nun wirklich für Menschen aller Größen eine komfortable Sitzposition sicherstellen. Nicht ganz ideal gelöst ist für normalgroße und große Fahrer allein das Offroadfahren im Stehen; dafür dürfte der Lenker gerne etwas höher montiert bzw. weiter verstellbar sein. Apropos Kritik: Dass bei einem Motorrad mit Keyless-Startsystem für mindestens 24.290 Euro die schlüssellose Tankdeckel-Bedienung nicht enthalten ist, erscheint knickerig. Hier dürfte Ducati dann doch ein wenig großzügiger sein. Die Multistrada gehört zu den wenigen Motorrädern, für die auch radarbasierte Assistenzsysteme angeboten werden. Aufpreis: 1000 Euro.
Im Markt der großen, starken und teuren Reiseenduros kann die Ducati Multistrada nicht zuletzt wegen ihres extrem starken V4-Motors, aber auch aufgrund ihrer eleganten Erscheinung sehr gut punkten.
Technische Daten Ducati Multistrada V4 S
Motor: Flüssigkeitsgekühlter Vierzylinder-V-Motor, 1158 ccm Hubraum, 125 kW/170 PS bei 10.750/min., 129 Nm bei 9000 min; Einspritzung, 6 Gänge, Kette
Fahrwerk: Aluminium-Monocoque-Rahmen; vorne semiaktiv arbeitende USD-Gabel, 50 mm Ø, Federweg 17 cm; hinten Zweiarm-Aluminiumgussschwinge, semiaktives Federbein, Federweg 17 cm; Aluminiumgussräder; Reifen Pirelli Scorpion Trail II, 120/70 ZR19 (vorne) und 190/55 ZR 17 (hinten). 33 cm Doppelscheibenbremse vorne, 28 cm Einscheibenbremse hinten
Assistenzsysteme: volllintegrales, abschaltbares ABS mit Schräglagenfunktionen, dynamische, schräglagenoptimierte Traktionskontrolle, fünf Fahrmodi, LED-Scheinwerfer, Temporegelung, adaptive Fahrzeughöhenregelung, shlüsselloses Startsystem (außer Tankstutzen), automat. Blinkerrückstellung, Antihopping-Kupplung, Skyhook-System, (a.W. radarbasierte Regelsysteme für Geschwindigkeit und Abstand /Frontkollisionswarnung/Spurwechselwarnung)
Maße und Gewichte: Radstand 1,566 m, Sitzhöhe 84/86 cm, Gewicht fahrfertig ca. 247 kg; Tankinhalt 22 l
Fahrleistungen: 0-100 km/h ca. 3,1 s, Höchstgeschwindigkeit über 200 km/h. Normverbrauch lt. EU5+ 6,6 l/100 km
Farben: Rot, Schwarz, Weiß
Preis: ab 24.290 Euro zzgl. Nebenkosten