Kommentar: Reisetauglich und faszinierend, aber Vorsicht am Frühstückstisch

Ein bisschen Kult ist dabei: „Wie, Du machst kein Unboxing-Video?“, fragt mich der junge Kollege, als ich das neue iPad in der Redaktion aus seiner Zellophanhülle nehme. Unboxing, das heißt Auspacken, und im Web haben sie bei Youtube eine Rubrik für Auspackvideos auffindbar gemacht.

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Ein bisschen Kult ist dabei: „Wie, Du machst kein Unboxing-Video?“, fragt mich der junge Kollege, als ich das neue iPad in der Redaktion aus seiner Zellophanhülle nehme. Unboxing, das heißt Auspacken, und im Web haben sie bei Youtube eine Rubrik für Auspackvideos auffindbar gemacht.

Darin dokumentieren zumeist Männer die neue Technik: wie sie Dinge wie das neue iPad einfach auspacken und in Betrieb nehmen. So etwas wird zehntausendfach geklickt. Das ist die neue Medienwelt.

Nein, ich habe kein Auspackvideo gemacht. Und nein, ich lese nun nicht alles darauf: Man muss da mal die Kirche im Dorf lassen. Das neue iPad ist scharf und bestimmt einen Tick besser, schneller, schöner als das ältere iPad 2. Aber ändert sich der Alltag?

Bei mir zu Hause am Frühstückstisch jedenfalls nicht. In meiner Familie mit zwei Kindern kennt ein Apfelsaft drei Aggregatzustände: ausgetrunken, vergessen oder umgekippt. Die Zeitung, die Sie in der Hand halten, kommt damit klar, ein iPad nicht so sehr. Am Frühstückstisch meiner Familie wird trotz volldigitalisiertem Terminplan, den wir beiden Erwachsenen gegenseitig zwischen iPhones, Outlook in der Firma und iPad unterwegs aktuell halten, weiterhin die Zeitung zerfleddert, herumgereicht, zerrissen, bekleckert, manchmal nicht verstanden und dann von den Erwachsenen erklärt. Und vor allem: gelesen. Machen Sie das mal mit dem iPad. Das iPad verstaue ich für die kinderlosen Viertelstunden außerhalb des Ellenbogenbereichs kindlicher Ungestümtheit.

Informationen auf einem Lesegerät wie dem iPad haben eben am Frühstückstisch eine Sperrigkeit. Wenn Hannover 96 gegen Lüttch 4:0 gewonnen hat, so ist das für den lütten neunjährigen in der Familie ein Thema, aber dann gebe ich ihm nicht das iPad mit dem E-Paper, sondern den Sportteil auf Papier. Und wenn er später selbstständig nach dem Papierstapel greift, um den Tabellenstand nach dem Spiel gegen Köln zu lesen, dann ist nicht das iPad gefragt, sondern die Sportseite vom Kollegen Jochen Dick.

Lassen wir also die Kirche im Dorf. Ein Flachcomputer wie das iPad ergänzt den Medienalltag, er ersetzt aber noch nicht die vielen, über Jahrzehnte liebgewonnenen Lesemechanismen. Diese Mechanismen werden eine ganze Weile noch unseren Lesealltag prägen. Unterwegs und in Konferenzen, auf Kongressen und auf dem Sofa, da taugt das iPad zu etwas. msc