Leon ist für die Menschen an der Ahr ein Zeichen dafür, dass selbst in Zeiten großen Leids immer noch etwas Positives geschieht. Los geht das Abenteuer seiner Geburt am 14. Juli. Die Wehen setzen früh ein, Fabian Mönch bringt seine Freundin nach Bad Neuenahr ins Marienhaus-Klinikum. „Zum Glück waren wir rechtzeitig da“, berichtet Paulina Szustek. Rechtzeitig, bevor das Wasser kam. „Andere Paare, die später kamen, wurden bereits weggeschickt.“ So hat die Familie aus Altenahr die volle Aufmerksamkeit der Geburtshilfe. Und doch will sich Leon nicht so schnell auf den Weg machen. 36 Stunden liegt Paulina Szustek in den Wehen und erlebt die Flutnacht in der Klinik, die ebenfalls vom Hochwasser betroffen ist.
Die Wasserversorgung ist unterbrochen, auch Abwasser kann nicht mehr abfließen. Strom gibt es aus dem Notstromaggregat, kann aber nur sparsam genutzt werden. Die Menschen im Krankenhaus blicken voller Sorgen aus dem Fenster, sehen, wie das steigende Wasser Autos wegspült. „Man merkte schon, dass die alle nervös waren“, erzählt Fabian Mönch. „Aber sie wollten es sich nicht anmerken lassen“, ergänzt seine Lebensgefährtin.
Immerhin lag sie währenddessen in den Wehen. Mitbekommen hat Paulina Szustek trotzdem einiges. Sie erinnert sich an eine Frau, die sich Sorgen um ihr altes Auto gemacht hat. „Sie hat immer wieder gesagt: Es ist ein altes Auto, aber es ist noch so gut“, erzählt sie lachend. Das 30 Jahre alte Auto stand auf dem Mitarbeiterparkplatz – auch nach der Flut, aber voller Wasser.Eine Geburt unter Extrembedingungen
Besonders schlimm ist für die Mutter, dass ihr älterer Sohn Daniel, der die fünfte Klasse der Ahrtalschule besucht, bei der Mutter ihres Lebensgefährten ist und sie irgendwann keinen Kontakt mehr zu ihm haben. Zuvor erreichen sie immer wieder Videos und Fotos aus Altenahr, Bilder von schwimmenden Mülltonnen und Autos – bis das Mobilfunknetz zusammenbricht.
Ich habe mir große Sorgen gemacht.
Paulina Szustek
Während die Eltern von den bangen Stunden erzählen, tapst der kleine Leon fröhlich durch das gemütliche Wohnzimmer, räumt aus der kleinen Kommode Dinge aus, liefert sich mit seinem großen Bruder ein kurzes Rennen – er ist eben ein putzmunterer Einjähriger. „Mein kleiner Lumpi“, sagt Paulina Szustek liebevoll.
Ein Lumpi, der sie ganz schön lange beschäftigt hat auf dem Weg ins Leben. Denn auch am Donnerstag, dem Tag nach der Flutnacht, lässt Leon seine Eltern warten. Erst gegen Mittag geht es in den Kreißsaal, trotz der langen, anstrengenden Zeit mit Wehen hofft Paulina Szustek auf eine natürliche Geburt. Doch die Ärzte entscheiden am Abend, dass ein Kaiserschnitt nötig ist, um die Risiken zu minimieren. Die technischen Möglichkeiten des Krankenhauses sind durch das Hochwasser deutlich eingeschränkt.
So geht es also in den OP-Saal. Fabian Mönch erinnert sich an diese besondere Situation.
Da kein Wasser aus der Leitung kam, haben sich alle mit Mineralwasser aus Flaschen die Hände gewaschen.
Fabian Mönch
Nach einigen Minuten sei ihm viel zu heiß gewesen. Nur die Aufregung? Mitnichten. Auf die Frage „Ist es hier immer so warm?“ bekommt Fabian Mönch die Antwort, dass auch die Klimaanlage ausgefallen sei. Eine Geburt unter widrigen Umständen. Doch alles geht gut, Leon erblickt am 15. Juli um 23.57 Uhr das Licht der Welt.
Paulina Szustek und Leon werden knapp zwölf Stunden nach dem Kaiserschnitt nach Bonn verlegt und müssen dort auch erst mal bleiben, denn zu Hause gibt es zwar Strom, aber kein fließendes Wasser. Für eine Mutter im Wochenbett mit einem Säugling undenkbar. Zum Glück ist in Altenahr beim großen Bruder Daniel alles in Ordnung, davon kann sich Fabian Mönch am nächsten Morgen überzeugen, als er sich bis zu dem schwer getroffenen Ort durchgekämpft hat.
Der Wiederaufbau für die Kinder
Paulina Szustek schaut auf ihren großen Sohn und sagt nachdenklich: „Besonders für die älteren Kinder ist es gerade schwierig. Früher war er viel unterwegs, jetzt ist er viel zu Hause.“ Die Radwege existieren nicht mehr, Spiel- und Bolzplätze sind verwüstet. Besonders für Daniel hofft sie, dass der Wiederaufbau schnell vorangeht und es „hinterher viel schöner wird als vorher“.
Leon interessiert sich noch nicht fürs Fahrradfahren, er rührt lieber mit einem Holzlöffel in einer Metallschüssel und freut sich über den Lärm. Die ersten Wörter spricht er auch schon, berichtet seine Mama. „Papa und Mama sagt er, aber eher selten“, erzählt sie lachend, oder „geht“ für „ich gehe“. Und er kann sehr lautstark deutlich machen, wenn ihm etwas nicht gefällt. Er ist eben ein ganz normaler Einjähriger, auch wenn die Geschichte seiner Geburt eine sehr besondere ist.