Adenau/Schuld

Zerstörung in Schuld – Merkel erlebt „gespenstische Situation“

Von dpa/lrs
Bundeskanzlerin Angela Merkel (3.v.l hinten) und Malu Dreyer (5.v.l hinten,SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, sprechen mit Helfern und Betroffenen bei ihrem Besuch in den vom Hochwasser verwüsteten Schuld bei Bad Neuenahr-Ahrweiler.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (3.v.l hinten) und Malu Dreyer (5.v.l hinten,SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, sprechen mit Helfern und Betroffenen bei ihrem Besuch in den vom Hochwasser verwüsteten Schuld bei Bad Neuenahr-Ahrweiler. Foto: picture alliance/dpa/POOL AFP | Christof Stache

Der Kampf gegen die Folgen der Hochwasserkatastrophe an der Ahr dauert an. Die Bundeskanzlerin besucht das Katastrophengebiet – und versucht zu trösten.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Der Bundeskanzlerin steht die Erschütterung ins Gesicht geschrieben. „Ich kann es nicht fassen“, sagt Angela Merkel (CDU), als sie am Sonntagmittag bei Sommerhitze in dem von der Hochwasserkatastrophe völlig zerstörten Dorf Schuld ankommt, um sich „ein reales Bild von der surrealen, gespenstischen Situation zu machen“.

Ausdrücklich ohne Rettungsarbeiten zu stören, die in einigen anderen von den Wassermassen zerstörten Orten der Ahr auch am vierten Tag nach dem Unwetter noch nicht abgeschlossen sind, nimmt sie sich eine gute Stunde Zeit für den Rundgang durch den idyllisch gelegenen Ort Schuld mit seinen knapp 700 Einwohnern. „Das ist ja wie nach einem Erdbeben“, sagt sie im Gespräch mit dem völlig erschütterten Bürgermeister Helmut Lussi, tröstet ihn, als er in Tränen ausbricht.

„Ich glaube nicht, dass das Finanzielle das Problem ist. Das werden wir hinkriegen“, sagt Merkel. „Die geht doch hier jetzt nicht weg“, sagt die Kanzlerin zu Lussis Befürchtung, dass die Bundeswehr bald wieder abziehen werde. Merkel erkundigt sich nach Einzelheiten des Unwetterereignisses und zur Lage im Dorf: „Wie lange dauert der Starkregen?“ und „So viele Menschen haben ihr Wohnung verloren. Was machen Sie mit denen?“

Merkel spricht auch mit dem Besitzer eines zerstörten Hauses, der zusammen mit seiner Schwester in den Trümmern arbeitet. Sie sagt den beiden Hilfe zu und geht weiter durch das von der Hochwasserkatastrophe schwer getroffene Dorf. In Begleitung von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) und weiteren Mitgliedern der Landesregierung hält sie immer wieder an, um mit Rotkreuzhelfern und Feuerwehrleuten zu sprechen, ihnen für ihren Einsatz zu danken. Am Ende erkundigt sie sich in der Einsatzzentrale nach Einzelheiten, auch, ob die Helfer Pausen machen. „Einige, wenige Stunden“, sagt einer. Und der Sprecher der Feuerwehr der Verbandsgemeinde Adenau, Andreas Solheid, sagt: „Es dauert vier, fünf Stunden, bis man einschläft.“

Viele Bewohner finden es gut, dass Merkel gekommen ist, sprechen von einem guten Zeichen. Nur einige wenige reagieren genervt. „Das ist ein Pflichtbesuch, und dann fertig ab“, sagt eine Frau. „Was die Merkel verspricht, hat sie noch immer gehalten“, meint Anwohnerin Martha Flintz. „Ich finde es gut, auch dass viel Presse hier ist, so versteht die Welt besser, was passiert ist“, sagt ein Mann aus dem niederländischen Delft, der seit fast fünf Jahren mit seiner Frau in Schuld wohnt.

In Adenau stößt der seltene Besuch vorm Rathaus auf gemischte Gefühle. Fast alle haben Freunde oder Verwandte in den besonders schwer betroffenen Dörfern. „Die Meinungen sind geteilt“, sagt eine 82-jährige Adenauerin. „Ich finde es gut, dass die Kanzlerin hierher kommt.“

Während die Bundeskanzlerin ins Katastrophengebiet aufbricht, versammelt sich die katholische Gemeinde zur Messe. Pfarrer Michael Schaefer spricht davon, dass sich gläubige Menschen mit der Frage quälten, wie Gott das habe zulassen können. Ein langjähriger Freund habe ihm in einer SMS geschrieben: „Was hat der böse Gott sich dabei gedacht?“ Aber diese Frage helfe nicht weiter. Denn „das hat damit zu tun, dass wir Menschen insgesamt seit Jahrzehnten, seit Jahrhunderten vielleicht, die Natur mit Füßen treten, Schindluder mit ihr treiben – und so kommt es zurück.“

Der Mainzer Sozialmediziner Gerhard Trabert war am Samstag auch mit seinem „Arztmobil“ an der Ahr unterwegs, zwischen den Ortschaften Schuld und Altenahr. „Das hat mich an meinen Einsatz im Jahr 2005 nach dem Tsunami in Sri Lanka erinnert“, sagt er am Sonntag. Er habe kleinere Wunden versorgt und Asthmaspray oder Blutdruckmittel an Menschen verteilt, denen die Flut auch die Hausapotheke weggespült hat. Jetzt gehe es um Tetanus-Impfungen, denn fast jeder habe sich irgendwo verletzt, berichtet Solheid von der Feuerwehr, der auch Arzt ist. „Die Haupttätigkeit aber war das Zuhören“, sagt Trabert.

Wie geht es nun weiter? Die Bundeskanzlerin verspricht: „Ich komm' im August nochmal wieder.“ Und die Ministerpräsidentin verweist auf die Stabsstelle Wiederaufbau. Trabert antwortet: „Neben dem Wiederaufbau wird die Hauptherausforderung sein, traumatisierte Überlebende zu begleiten.“