Koblenz

Gastbeitrag von Nadine Kammerlander: Ein Blick auf die Wirtschaftsstrukturen hier und da

Nadine Kammerlander
Nadine Kammerlander Foto: Julia Berlin

Die Gastautoren im Wirtschaftsteil der Rhein-Zeitung: Wie sehen Expertinnen und Experten aus der Wirtschaft, aus Kammern und Verbänden, den Gewerkschaften und der Wissenschaft die immer komplexeren und gleichzeitig schneller wirkenden Themen unserer Zeit? Gastautorin Nadine Kammerlander ist Professorin an der WHU in Vallendar. Sie beschreibt in ihrem Beitrag, wie der Mittelstand in den USA funktioniert.

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Vier Unternehmensbesuche, drei Seminare und etwa ein Dutzend Einzelgespräche in Grand Rapids im amerikanischen Michigan – das ist die Bilanz meiner letzten zwei Wochen. Die Grand Valley State University hatte mich in ihrem renommierten Gastforscherprogramm für einen zweiwöchigen Besuch eingeladen – und dieser Einladung bin ich natürlich gerne gefolgt.

Was mich dort erwartete, war ein wirtschaftliches Ökosystem, das unserem in Rheinland-Pfalz gar nicht so unähnlich ist: Die eigentümergeführte kleine Brauerei Vivant, die auf Nachhaltigkeit setzt und sogar als B-Corp zertifiziert ist. Das 140 Jahre alte Familienunternehmen GR Labels, das seine Nische im Druck von qualitativ hochwertigen, beständigen Aufklebern zum Beispiel für Automobilteile und bedruckten Verpackungen gefunden hat und mit eigener Entwicklung und vielfältigen Patenten beeindruckt.

Der Sessel-, Sitz- und Tribünenhersteller Irwin, der trotz vergangener Krisen und der Notwendigkeit, vor einigen Jahren die Standorte in Europa und Asien zu schließen, noch immer fest in Familienhand ist und entlang eines beachtlichen Wertekanons geführt wird. Oder aber der mittelständische Automobilzulieferer Adactools, der durch seine Innovationskraft und Kreativität im 3-D-Druck beeindruckt.

Welchen Status hat „Made in Germany“ noch?

Nach den doch sehr negativen Schlagzeilen über die deutsche Wirtschaft in den letzten Monaten war ich übrigens sehr gespannt, mit welchen Ansichten und Meinungen man mir begegnen würde? Ob sich seit meinem letzten Besuch vor einigen Jahren in Bezug auf „Made in Germany“ etwas geändert habe? Doch Fehlanzeige. Man erzählte mir begeistert von den deutschen Geschäftspartnern und wie sehr man diese in der Zusammenarbeit schätze. Und wie lecker doch der Moselwein schmecke, und dass er leider viel zu schwer zu finden sei.

Auch ansonsten gab es wenig Grund zum Pessimismus. Klar, die Pandemie hatte viele Familienunternehmen in der Region schwer getroffen. Aber seitdem gehe es bergauf. Die Zukunft der Automobilindustrie in der westlichen Welt? Stabil, so die Einschätzung der Unternehmer. Billig-Konkurrenz aus China? Nun, nicht wenn man regionale Kunden beliefert und Produkte hat, bei denen die Transportkosten um den halben Erdball die Stückkosten übertreffen würden, so ein anderer Unternehmer.

Nachhaltigkeit? Ein wichtiges Thema – hier wurden die Gesichter schon ernster –, aber eben eine tolle Chance für die Investitionen der nächsten Jahre. Meine Berichte zu den nachhaltigen Start-ups unserer WHU Alumni wurden gleich notiert, vielleicht wäre das ja auch eine Geschäftsmodellidee für den Unternehmer von nebenan ...

Familienunternehmen blicken nach Deutschland

Der Mittelstand aus Michigan zeigt sich also wenig beeindruckt von den unsicheren Zukunftsaussichten. Stattdessen konzentriert man sich auf die Dinge, die man selbst beeinflussen kann: Zum einen das „Ordnen“ der eigenen Unternehmensführung. Die Rolle der Familie, der Weiterbestand der Werte und die Wichtigkeit von „servant leadership“ wurden hier genannt – bei all diesen Aspekten scheinen sich die internationalen Familienunternehmen einiges vom deutschen Mittelstand abschauen zu können.

Interessanterweise war bei den Familienunternehmern aus Grand Rapids eine ähnliche Abneigung gegenüber Unternehmensverkäufen, insbesondere an Finanzinvestoren, zu beobachten, wie ich sie von „unseren“ Familienunternehmen kenne. Zum anderen aber auch der Blick nach vorne und das Erkennen, dass sich alle Industrien weiterentwickeln werden.

Jeder der Unternehmer, mit denen ich gesprochen habe, denkt aktiv über Innovationen und auch den Eintritt in neue Märkte nach. Das geht so weit, dass mehrere Familienunternehmen sich kürzlich umbenannt haben – beispielsweise von „Irwing Seating Company“ schlicht zu „Irwin“. Und dieser Blick nach vorne schließt Investitionen in neue Technologien und Experimente damit mit ein. So ist man in der Zukunft gewappnet.

Perspektivwechsel kann helfen

Auch wenn mein Besuch kurz war, so hat er mir gezeigt: Unsere Unternehmen, unsere Infrastruktur sind sicherlich nicht schlechter aufgestellt – nur die Perspektive auf die Zukunft ist eine andere. Ich denke, hier können wir von einem Blick über den großen Teich durchaus lernen.

Nadine Kammerlander ist seit 2015 Professorin an der WHU – Otto Beisheim School of Management in Vallendar. Mehrere Jahre arbeitete sie bei McKinsey & Company und beriet internationale Unternehmen der Automobil- und Halbleiterbranche in Produktentwicklungsprojekten, vor allem in den USA und Mexiko. In Lehre und Forschung beschäftigt sie sich mit den Themen Innovation, Mitarbeiter und Governance in Familienunternehmen und Family Offices. Sie ist Mitglied der Forschergruppe zur Überarbeitung der Nachhaltigkeitsstrategie Rheinland-Pfalz.