Erinnerungskultur im iranischen Foltergefängnis: Blick zurück soll Gegenwart legitimieren
Schon kurz nach der Revolution von 1979, die als „islamische“ in die Geschichte einging, wurde der neue Palast der kaiserlichen Familie als Museum wiedereröffnet. Die Iranerinnern und Iraner sollten sehen, in welchem Luxus Reza Pahlevi, seine Frau Farah und ihre Kinder im hoch gelegenen Norden der Hauptstadt residierten – und bis heute ist dieser Niavaran Palast eine der Topattraktionen der Stadt.
Der Zungenschlag des öffentlich bestellten Führungspersonals hat sich aber offenbar zu den Vorjahren zumindest teilweise etwas geändert: Wo vor wenigen Jahren auf der Besichtigungstour ein älterer Reiseführer die „Verschwendungssucht“ des Schahs zu geißeln versuchte und dabei sowohl bei den ausländischen Touristen als auch bei den Iranern zunehmend auf Kopfschütteln stieß, macht in diesem Jahr eine junge Kollegin die Runde über das schöne Areal.
Tour ist nichts für schwache Nerven
Politische Kommentare – so viel Vorsicht muss sein – verkneift sich die Fremdenführerin. Aber eben auch die Propaganda, die alles, was vor der Revolution war, uniform grausam und trostlos zeichnet. Vor einem Foto der Herrscherfamilie erzählt sie auf Nachfrage, was aus den Kindern geworden sei – und endet lächelnd mit dem Satz, dass die jungen Damen auf dem Foto heute „die Prinzessinnen Irans“ wären, wenn die Geschichte nicht anders entschieden hätte.
Solch laxen Umgang mit der Staatsdoktrin duldet das wohl erschütterndste Museumserlebnis des Iran nicht. Schon gar nicht in Person seines Fremdenführungspersonals. Im Ebrat Museum im historischen Zentrum der Hauptstadt fällt an diesem Tag die englischsprachige Führung aus, dafür übernimmt ein Zeitzeuge die Tour. Und die ist nichts für schwache Nerven.
Ehemalige Insassen übernehmen Führungen
Der Guide passiert eine der großen Wände mit Hunderten Schwarz-Weiß-Fotos, zeigt schweigend auf das Bild eines ernst dreinblickenden jungen Mannes, blickt jedem in der Gruppe ins Gesicht und klopft sich dabei auf die Brust, als wolle er „Das bin ich“ damit sagen.
Und tatsächlich war es so gemeint, viele Führungen im ehemaligen Foltergefängnis der Savak des iranischen Geheimdienstes des Schah werden von ehemaligen Insassen bestritten.
Hunderte Bilder von Getöteten und Gefolterten begleiten den Rundweg durch den mehrstöckigen Gefängnisbau, der in Anspielung auf die traditionelle persische Architektur rund um einen nach oben offenen Innenhof angelegt ist. Aufgemalte Fußabdrücke in Blutrot geben den Weg vor, den die Inhaftierten damals zu gehen hatten und der oft genug nicht mehr in die Freiheit und ins Leben zurückführte.
Die Verhaftung, Folterung und Tötung von Oppositionellen ist im Rückblick für viele Historiker eine, wenn nicht die entscheidende Achillesferse, die den Schah 1979 zur Flucht aus dem Iran zwang. Denn genau dieser blinde Fleck der nach außen so modern auftretenden Monarchie hatte breite Teile auch der eher westlich orientierten Bevölkerung gegen den Regenten aufgebracht – zusammen mit den religiösen Massen ergab sich daraus die Revolution.
Legitimierung der Gegenwart als Ziel
Dass dieser Punkt niemals vergessen werden möge: Dem ist das Ebrat Museum gewidmet, und dieser Erinnerung hat sich auch der Fremdenführer verschrieben, dessen Erzählungen in den dunklen und teils schallgeschützten Räumen einem schier die Luft nehmen. Schon aus Höflichkeit bleiben seine Ausführungen von der Touristengruppe unkommentiert, auch wenn manch einer immer wieder mit dem Kopf schüttelt, während er die Geschichten übersetzt. Denn Sinn und Zweck des Museums ist ja nicht nur das Bewahren der Vergangenheit als Mahnung an die Zukunft – sondern vor allem die Legitimierung der Gegenwart.
Und da wird die Situation zunehmend unangenehm, als immer mehr Teilnehmende an der Führung den alten Mann in Diskussionen verwickeln. Nach einer längeren Übersetzungspause erfährt man den Grund: „Er meint, bei aller Trauer hält ihn am Leben, dass der Iran heute eine Demokratie ist und die Menschen keine Angst mehr vor Folter haben müssen.“ An diesem Punkt ist aus der Diskussion ein ziemlich hitziger Disput geworden, der sich auch mit den kostenlosen Getränken am Ausgang nicht mehr beruhigen lässt.
Nicht allzu weit entfernt findet sich in Teheran ein Gedenkstein, den die Islamische Republik zur Erinnerung an die Toten und Verletzten des Krieges gegen den Irak errichtet hat. Er prangert in iranischer und englischer Sprache die Giftgaslieferungen Deutschlands an den Irak in den 1980er-Jahren an.
Eben dieser Teil der Geschichte wird auch in diesen Tagen wieder häufiger zitiert – ebenso wie viele Verfehlungen anderer Staaten in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten, die sich heute „erdreisten“, gegen die Verhaftung und Tötung von Protestierenden der aktuellen revolutionären Bewegung hinzuweisen. Die Zeit wird zeigen, wie lang sich das iranische Volk noch mit dem Aufrechthalten der Erinnerung an frühere Gräuel und fast schon rituelle Erinnerungszeremonien an die Staatsgründung wird auf Linie halten lassen.