Wahlausgang: Das große Scheitern der Theresa May
Ohne Not hatte sie im April eine Neuwahl angekündigt, ermutigt durch schlechte Umfragewerte der oppositionellen Labour-Partei. Die Rechnung ging nicht auf, wie die Auszählung der Stimmen ergab: Die Wähler verpassten der Konservativen eine schallende Ohrfeige. Zurücktreten wolle sie aber wohl nicht, hieß es nach der Wahl.
Als May antrat, wurde sie als Margaret Thatcher mit Herz gefeiert. Doch es gelang ihr nicht, die Bevölkerung zu einen. Sie forderte einen harten Brexit mit Austritt aus dem Europäischen Binnenmarkt und der Zollunion. Dass fast die Hälfte der Briten beim Brexit-Referendum im vergangenen Jahr für einen Verbleib in der EU gestimmt hatte, ignorierte sie.
Labour-Chef Jeremy Corbyn fand hingegen immer mehr Anhänger. Keine Studiengebühren, bessere Gesundheitsversorgung, höhere Steuern für Reiche: Der Altlinke kämpft wie eine Art Robin Hood dafür, die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern. Sein Konzept spricht vor allem junge Briten an. Manche sagen, er hätte die Labour-Partei mit seinen Anhängern regelrecht gekapert. Dass er in seinem Wahlprogramm 10.000 Polizisten mehr verspricht, kam bei den Wählern mit Blick auf die Terroranschläge der vergangenen Wochen gut an.
Dagegen war May als frühere Innenministerin für den starken Personalabbau bei der Polizei mitverantwortlich. Auf heftige Kritik stießen auch ihre widersprüchlichen Aussagen zum Brexit und zur Neuwahl, die sie ursprünglich nie haben wollte. Ein Protestsong der Band Captain Ska schaffte es sogar in die britischen Charts. Darin singt ein Chor: „She's a liar, liar. No, you can't trust her“ („Sie ist eine Lügnerin, Lügnerin. Du kannst ihr nicht trauen“).
Im Fernsehen zogen die politischen Gegner kräftig über die Konservative her, ohne dass sie sich wehren konnte – sie hatte zuvor die Teilnahme an gemeinsamen TV-Duellen abgelehnt. Bei Einzelauftritten wurde sie nicht selten vom Publikum ausgelacht.
Geplante Einschnitte bei pflegebedürftigen Senioren bekamen von der Opposition das Etikett „Demenzsteuer“ verpasst. Kommentatoren in Medien warfen ihr dann auch noch mangelhafte wirtschaftliche Kenntnisse vor.
Hinzu kommt, dass May als Person keine Sympathieträgerin ist; sie polarisiert stark. Auf viele wirkt sie herzlos und eiskalt. „Das ist ja nicht unbedingt die Frau, mit der man ein Dinner haben möchte“, lästerte ein Politikwissenschaftler vor Journalisten in London. Ihre mantrahaft wiederholten Phrasen brachten ihr den Spitznamen „Maybot“ ein – eine Mischung aus May und Roboter. Corbyn wusste Mays Schwächen auszunutzen. Anders als seine Widersacherin scheute er sich nicht vor TV-Debatten. Jahrzehntelange Erfahrung als Redner auf zahllosen Demos zahlten sich im Wahlkampf aus. Es gelang ihm, den Vorsprung der Konservativen bis auf wenige Prozentpunkte schrumpfen zu lassen.
Was Mays Schlappe für die Austrittsverhandlungen mit der EU bedeutet, ist ungewiss. Niemand weiß, ob unter diesen schwierigen Umständen bis zum März 2019 tatsächlich ein geordneter EU-Austritt des Vereinigten Königreichs gelingt. Aber wird May bis dahin überhaupt eine Regierung zustande bekommen, die am Verhandlungstisch ihre Positionen mit Nachdruck vertreten kann? Gibt es gar nochmals Neuwahlen und damit eine weitere monatelange Hängepartie? Brüssel jedenfalls blickt derzeit mit Unruhe auf das Vereinigte Königreich.