Washington

„Mir tun meine Enkel leid“: Wahl im Zeichen des Wirtschaftsfrusts

Die Wirtschaftskrise verhalf Barack Obama dereinst ins Weiße Haus. Jetzt hängt ihm die schleppende Konjunktur selbst wie ein Mühlstein am Hals. Immer mehr Amerikaner geben ihm die Schuld. An den Urnen dürften sie am 2. November ihrem Frust Luft machen.

Lesezeit: 3 Minuten
Anzeige

Washington – Die Wirtschaftskrise verhalf Barack Obama dereinst ins Weiße Haus. Jetzt hängt ihm die schleppende Konjunktur selbst wie ein Mühlstein am Hals. Immer mehr Amerikaner geben ihm die Schuld. An den Urnen dürften sie am 2. November ihrem Frust Luft machen.

Im November 2008 hatte David Weber noch voller Enthusiasmus für Barack Obama gestimmt. Wirklich bereut hat er dies nicht. Er würde Obama wohl wieder wählen, meint der 53 Jahre alte Drucker aus Scranton im Bundesstaat Pennsylvania. Doch seine Begeisterung ist deutlich abgekühlt. In Sachen Jobs, räumt Weber ein, sei ja noch nicht viel herausgekommen. Sein eigener sei gerade irgendwohin ins Ausland verschwunden.

Bei über zehn Prozent liegt die Arbeitslosenquote in der Demokraten-Hochburg Scranton im Nordosten Pennsylvanias, landesweit waren es im September 9,6 – dramatisch für US-Verhältnisse. Zwei Autostunden weiter südlich, in Philadelphias Vorort King of Prussia, sorgt sich Walt Saylor angesichts eines gigantischen US-Schuldenbergs um die Zukunft seiner Nachkommen: „Mir tun meine Kinder und Enkel einfach leid“, meint der pensionierte Stahlarbeiter.

Lange Schlagen vor den Arbeitsämtern, Mini-Wachstum, Mega-Defizit, Milliarden für die Rettung der Wall Street, wo wieder astronomische Boni gezahlt werden – unbegrenzt ist in Amerika derzeit nur der Frust, weil es mit der Konjunktur nicht recht aufwärts gehen will.

Die größte Volkswirtschaft leidet schwerer an den Nachwehen der heftigen Finanz- und Wirtschaftskrise als gedacht, während sich Deutschland über ein Konjunkturmärchen freuen darf. Den Amerikanern ist angesichts ihres privaten Schuldenbergs die Kauflust vergangen, von der die US-Wirtschaft größtenteils abhängt. Kredite fließen nur spärlich, der wichtige Immobilienmarkt dümpelt vor sich hin. Der Internationale Währungsfonds stutzte erst kürzlich seine Wachstumsprognose auf magere 2,6 Prozent in diesem und noch trübere 2,3 im nächsten Jahr. Die US-Notenbank sieht auch noch 2012 eine Arbeitslosenquote von mehr als sieben Prozent. Derweil nimmt die Langzeitarbeitslosigkeit ein erschreckendes Ausmaß an.

Und immer mehr Amerikaner geben Obama die Schuld. Nach einer Umfrage des US-Senders CBS von Mitte Oktober billigten gerade einmal 38 Prozent der Amerikaner den Wirtschaftskurs ihres Präsidenten – so wenige wie nie zuvor seit seinem Einzug ins Weiße Haus. Dabei trat Obama sein Amt in den dunkelsten Monaten der Krise an.

Die Republikaner, nach dem Nackenschlag der Präsidentenwahl noch völlig orientierungslos, wittern Morgenluft. Diffuse Ängste vor leeren Staatskassen und einer angeblich steuerungswütigen Obama-Regierung treibt den Rechtspopulisten der Tea-Party-Bewegung die Anhänger scharenweise zu. „Wenn man wissen will, was die Leute so sauer macht, dann gibt es kein anderes Thema als die Haushaltslage des Landes und ihre Folgen für den künftigen Wohlstand“, meint der republikanische Senator Judd Gregg, der immerhin kurzzeitig als Handelsminister für Obamas Kabinett im Gespräch war.

Der Wirtschafts-Kommentator der „Washington Post“, Steven Pearlstein, schüttelt angesichts all des Unmuts seiner Landsleute über die Regierung den Kopf. „Das schmutzige kleine Geheimnis ist, dass die meisten Amerikaner gar nicht wissen, was sie von den in Washington erregt debattierten Dingen halten sollen“, meint er. „Und was sie glauben zu wissen, ist oft falsch.“ Er nennt das Beispiel Bankenrettung: Statt sich als Milliardengrab zu erweisen, kommt die Regierung vielleicht sogar mit Gewinn aus der Sache raus. Beispiel Konjunkturpaket: Die rund 800 Milliarden Dollar (575 Mrd Euro) dafür verpufften nicht einfach, sondern retteten oder schafften mehr als drei Millionen Jobs. Beispiel Defizit: Mit dem müden Wachstum oder der hohen Arbeitslosigkeit von heute hat es nichts zu tun.

„Angesichts des Ausmaßes der Krise (...) war es fast unvermeidlich, dass eine längere Periode mit wenig Wachstum und vielen Arbeitslosen folgt“, befindet Pearlstein. „Die politische Realität ist: Die Wähler sind unwillig, diese ökonomische Realität zu akzeptieren“. Dass die Konservativen daraus Honig saugen, habe sich die Obama-Partei selbst eingebrockt, meint der Kommentator: „Die Wähler davon zu überzeugen, dass alles noch viel schlimmer hätte kommen können, war 2010 keine brauchbare Strategie.“

Bleibt für den ersten schwarzen US-Präsidenten nur zu hoffen, dass die Wähler die Dinge sehen wie Sheryl Fields, Sozialarbeiterin aus King of Prussia in Pennsylvania: „Wenn mir jemand ein solches Blatt in die Hand gegeben hätte“, meint die 52-Jährige zu den gigantischen Herausforderungen des Mannes im Weißen Haus, „dann wäre ich weggelaufen“.

Von Frank Brandmaier und Anne Walters