Interview: Wie Lobbyisten in Berlin Politik machen
Volker Kitz dagegen hält Lobbyismus für einen Teil der Demokratie. Das Interview mit dem früheren Lobbyisten und Autor des Buchs „Du machst, was ich will“:
Sind Sie als Lobbyist eine Art Marionettenspieler?
Nein, denn bei jedem Gesetzgebungsverfahren werden doch die Karten neu gemischt. Mal gewinnt der eine, mal gewinnt der andere. Deshalb hat ein Lobbyist nie den Eindruck, er könnte alles steuern.
Was glauben Sie, woran es liegt, dass Lobbyisten in Deutschland so einen schlechten Ruf haben?
Lobbyismus wird in Deutschland oft nur mit unliebsamen Entscheidungen in Verbindung gebracht. Immer wenn etwas passiert, was die Massen erregt, dann war es das Machwerk von Lobbyisten.
Und das ist es nicht?
Das ist doch ein Denkfehler. Alle gesellschaftlichen Gruppen betreiben Lobbyarbeit. Auch die Gewerkschaften, der Mieterbund, die Kirchen, Greenpeace und Amnesty International. Auch der Wegfall der Praxisgebühr war ein Ergebnis von Lobbyarbeit, genau wie die Energiewende. Das wird in diesen Fällen aber nicht so dargestellt. Und deshalb hat Lobbyismus in Deutschland einen zweifelhaften Ruf.
Warum nennt man es dann nicht einfach Interessenvertretung?
Der Begriff „politische Interessenvertretung“ ist gleichbedeutend. „Lobbyisten“ wurden irgendwann so genannt, weil sie in der Lobby des Parlaments auf die Abgeordneten warteten.
Wie kann man sich denn den Arbeitsalltag eines Lobbyisten vorstellen, wenn sie heute nicht mehr in der Lobby warten?
Die Beteiligung von Lobbyisten an Entscheidungen ist in den Geschäftsordnungen von Bundesministerien und Bundestag vorgesehen. Wenn ein Gesetzentwurf entsteht, müssen die betroffenen Gruppen beteiligt werden. Sie dürfen Stellungnahmen dazu abgeben. Das läuft nicht über irgendwelche dunklen Kanäle, sondern ganz offiziell.
Und was macht der Lobbyist damit?
Er prüft, was der Entwurf für seinen Auftraggeber bedeutet, und gibt dann eine Stellungnahme dazu ab. Meist wird diese auch im Internet veröffentlicht. Das ist viel transparenter, als viele glauben. Das nehmen bloß die meisten Leute nicht wahr.
Wer sich den besten Lobbyisten leisten kann, hat am meisten Einfluss?
Es ist natürlich immer so im Leben, dass mehr Geld auch mehr Möglichkeiten bedeutet. Das gilt für Politiker ja auch. Wer mehr Geld für einen Wahlkampf hat, hat möglicherweise einen Vorteil. Allerdings kommt es bei der Lobbyarbeit nicht nur aufs Geld an, sondern auch darauf, wie geschickt man vorgeht. Zudem ist es ja nicht so, dass Wirtschaftslobbyisten immer viel Geld haben und andere Lobbyisten nie. Es gibt kleinere Wirtschaftsverbände, die haben dramatisch viel weniger Geld als manche nicht-kommerzielle Lobbyorganisation wie Greenpeace oder der Mieterbund.
Wie überzeugen Sie denn einen Politiker von Ihren Argumenten?
Argumente sind am Ende nicht ausschlaggebend. Wenn sich ein Politiker mit einem Lobbyisten trifft, kann er dessen Ansichten nachvollziehbar finden, eine halbe Stunde später aber einen anderen Lobbyisten treffen und die Gegenposition genauso überzeugend finden. Lobbyismus ist vielmehr die Kunst der menschlichen Beziehungspflege.
Es geht gar nicht um Inhalte?
Es gilt die Regel: Wer Sie mag, der hilft Ihnen. Es geht also darum, eine Beziehung zu Menschen aufzubauen und diese Menschen menschlich zu behandeln. Dann haben sie auch ein offenes Ohr, wenn man etwas von ihnen will.
Was hat das mit Politik zu tun, ob sich zwei Menschen gut verstehen? Es geht doch um das Gemeinwohl.
An das Gemeinwohl glauben wir gern, aber was sollte das sein? Die Entscheidung, die allen Menschen in einem Land gleichermaßen hilft und nützt, gibt es nicht. Ein Politiker kann immer nur einer Gruppe etwas geben und es der anderen nehmen. Anders geht es nicht. Deshalb ist jede Politik immer Klientelpolitik.
Trotzdem gelten manche Lobbyisten als die besseren Menschen …
Man muss nur sagen, man ist gemeinnützig, und schon fressen einem die Leute aus der Hand und glauben alles, was man tut und sagt. Das ist ein Wahrnehmungsproblem. Politiker sind da viel pragmatischer. Grundsätzlich sind für mich alle Lobbyisten insofern gleich, als sie das Interesse einer gesellschaftlichen Gruppe artikulieren und in den politischen Entscheidungsprozess einspeisen. So funktioniert doch Demokratie. Ein Politiker, der sich dafür nicht interessiert, wäre kein demokratischer Politiker.
Gibt es eine Gruppe ohne Lobby?
Da würde mir keine einfallen. Es gibt mehr als 2000 Verbände allein auf Bundesebene. Von den Schachspielern bis zu den Hundezüchtern werden alle Interessen abgedeckt.
Haben es Lobbyisten bei manchen Parteien einfacher als bei anderen durchzudringen?
Alle Parteien treffen sich mit Lobbyisten. Jeder wird allerdings gern in seiner eigenen Meinung bestätigt. Deshalb treffen sich die Parteien gern mit den Lobbyisten ihrer Klientel. Das sind bei den einen zum Beispiel die Arbeitgeberverbände, bei den anderen die Gewerkschaften. Bei mir war es sogar so, dass sich Politiker beschwert haben, wenn sie nicht angesprochen wurden. Ein Politiker, bei dem sich kein Lobbyist meldet, kommt sich unbedeutend vor. Und das vielleicht nicht ganz zu unrecht.
Wer hat in Deutschland die mächtigste Lobby?
Keine Gruppe hat die bedingungslose Macht, die man ihr gern zuschreibt. Wenn man in einem bestimmten Bereich etwas verändern will, kommt man an der betroffenen Lobby nicht vorbei. Die Lobbyorganisationen, von denen man in der Vergangenheit gesagt hat, sie seien besonders mächtig, mussten aber ganz schön einstecken. Der Tabakbereich etwa gehört inzwischen zu den am stärksten regulierten. Da hat sich die Nichtraucherlobby durchgesetzt. Auch die Atomlobby wurde immer als besonders mächtig wahrgenommen. Ihr Geschäftsmodell ist quasi per Gesetz abgeschafft.
Organisationen wie Lobbycontrol kritisieren, dass Politiker sich zu stark von Lobbyisten beeinflussen lassen. Stimmt das?
Es gibt Abgeordnete, die stehen ganz offiziell auch als Lobbyisten auf der Gehaltsliste von Verbänden und Unternehmen. Das ist, als ob in einem Gerichtsverfahren Anwalt und Richter dieselbe Person wären. Außerdem ist es in Deutschland erlaubt, sich das allgemeine Wohlwollen eines Abgeordneten zu erkaufen. Man darf ihm Geld und Geschenke geben. Dass man diese beiden Punkte kritisiert, finde ich richtig.
Das Gespräch führte Rena Lehmann
Das Buch von Volker Kitz „Du machst, was ich will“ erschien im Ariston Verlag, 250 Seiten, 19,99 Euro.