Gaza wird zum Alptraum
Von Saud Abu Ramadan, Sara Lemel und Alexandra Rojkov
Tags zuvor waren so viele Menschen wie nie zuvor der israelischen Militäroffensive im Gazastreifen zum Opfer gefallen. Viele sprechen bereits vom „Blutsonntag“.
„Alles ist so schnell passiert“, erzählt Mohammed Harasin, einer der Einwohner des Viertels im östlichen Teil von Gaza. „Wir saßen zu Hause, als plötzlich Granaten auf unsere Häuser fielen.“ Wie zum Beweis zeigt der 50-Jährige Verletzungen von Granatsplittern an seinen beiden Beinen. Als der Artilleriebeschuss in Sadschaija begann, versuchten viele Einwohner, noch schnell zu fliehen, und wurden dabei getötet. „Überall war Blut, auf dem Boden, an den Wänden“, erzählt Harasin, während er im Schifa-Krankenhaus im Rollstuhl sitzt. Er sei von „Feuer und Rauch“ umgeben gewesen. „Kinder schrien in der Dunkelheit.“ Israel habe in dem Viertel ein Massaker angerichtet. „Diese Armee kennt keine Gnade.“
Israelis warnten die Bewohner, Hamas riet von der Flucht ab
Die israelische Armee hatte die Einwohner des Viertels vor dem Angriff allerdings gewarnt und zum Verlassen ihrer Häuser aufgerufen. Vor allem Menschen am Rand des Wohngebiets leisteten den Aufrufen Folge, die über Flugblätter, SMS-Nachrichten und Telefonansagen übermittelt wurden. Das Innenministerium der im Gazastreifen herrschenden Hamas rief die Einwohner jedoch dazu auf, nicht die Flucht zu ergreifen.
Nach UN-Angaben haben inzwischen mindestens 85 000 Menschen in 67 Einrichtungen des Palästinenserhilfswerks Schutz vor den Bombardements gesucht. Es handelt sich nach Schätzungen um die Hälfte derjenigen, die ihre Häuser verlassen haben. Wer dort nicht untergekommen ist, hält sich bei Freunden oder Verwandten auf.
Der 35-jährige Chaled Sarsak lebt wie Harasin auf der Al-Mansura-Straße. Er sei mit seiner Frau und seinen vier Kindern nach Westen gerannt, als die Attacke auf das Viertel begann. „Es war wie ein Albtraum. In der Dunkelheit erhellten die Bomben die Straßen.“ Am Wegrand habe er viele Leichen gesehen. Im Schifa-Krankenhaus kamen viele der Flüchtenden barfuß an, weil sie keine Zeit hatten, ihre Schuhe anzuziehen.
Die israelische Offensive hat die ohnehin prekäre humanitäre Lage in dem Küstenstreifen mit 1,8 Millionen Einwohnern weiter verschlimmert. „Wir haben kein Essen, kein Wasser, keine Medikamente“, sagte ein Gaza-Einwohner namens Mohammed dem israelischen Rundfunk. Es gebe kaum Strom, die Lage sei unerträglich. „Genug, genug!“, rief er. Kritik an der Hamas und ihren Raketenangriffen auf Israel will er jedoch nicht äußern. Der ganze Hass der Menschen richtet sich gegen Israel. Als die Hamas die angebliche Entführung eines israelischen Soldaten verkündete, gab es Freudenfeiern.
Israelische Soldaten stehen von allen Seiten unter Beschuss
Israel gibt dagegen der Hamas die Schuld am Elend der Bevölkerung. Sie habe die Toten mit den Raketenangriffen auf Israel provoziert und missbrauche die eigenen Leute als menschliche Schutzschilde. Das Viertel Sadschaija sei wie eine Festung der Hamas, erklärt Armeesprecher Arye Shalicar. „Die israelischen Soldaten sind aus allen Richtungen unter Beschuss geraten“, sagt er. Sie hätten in dem Viertel mehrere Tunneleingänge gefunden, die unterirdisch auf israelisches Gebiet führten.
„Hunderte Kämpfer haben in Sadschaija auf uns gewartet“, sagt auch ein israelischer Militär in Tel Aviv. „Terroristen – aber gute Kämpfer. Sehr gut ausgerüstet, von leichten bis schweren Waffen, einschließlich Granaten“, sagt er. „Sie sind diszipliniert und gut organisiert.“ Einige seien im Iran für den Kampf ausgebildet worden. Die Palästinenser hätten zudem viele Sprengfallen für die israelischen Soldaten vorbereitet.
Angesichts der vielen Toten unter Zivilisten und israelischen Soldaten sprach er von einem „traurigen Tag“. Er hoffe, dass die Menschen in anderen Vierteln den Aufforderungen zur Flucht folgen. Auf die Frage, wohin die Menschen in dem blockierten Küstenstreifen denn fliehen könnten, seufzt der Militär laut. „Ich wünschte, es gebe mehr Schulen, in denen sie sich verstecken könnten. Auf dem Schlachtfeld zu bleiben, ist auf jeden Fall viel schlimmer.“