Paris

Neuwahl

Schicksalswahl: Frankreich stimmt über Parlament ab

Von dpa
Parlamentswahl in Frankreich
Ein Wähler wirft seinen Stimmzettel während der zweiten Runde der französischen Parlamentswahlen im französischen Pazifik-Territorium Neukaledonien, in eine Wahlurne in einer Turnhalle, die als Wahllokal dient. Am 7. Juli finden in Frankreich Parlamentswahlen statt, die für die politische Zukunft des Landes entscheidend sein werden und bei denen die Rechtsextremen zum ersten Mal die stärkste Partei im Parlament werden könnten. (zu dpa: «Schicksalswahl: Frankreich stimmt über Parlament ab») Foto: Theo Rouby/DPA

Der entscheidende zweite Wahlgang in Frankreich hat begonnen. Kommt es zu einem politischen Beben und einer Regierung der Rechtsnationalen? Am Ende könnte es kaum Gewinner, aber viele Verlierer geben.

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Paris (dpa). Die mit Spannung erwartete Parlamentsneuwahl in Frankreich ist in die entscheidende Runde gestartet. Die Wahllokale öffneten am Morgen um 8.00 Uhr. Die Französinnen und Franzosen stimmen über die Mehrheitsverhältnisse in der Nationalversammlung ab. Vor allem aber dreht sich alles um die Frage: Hat Präsident Emmanuel Macron mit der überraschenden Neuwahl den Rechten den Weg zur Macht geebnet?

Letzte Umfragen sehen keine absolute Mehrheit für das in Führung liegende Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen. Demnach kämen die Rechtsnationalen und ihre Verbündeten auf 205 bis 240 Sitze. Sie würden damit erstmals stärkste Kraft in der Nationalversammlung, die absolute Mehrheit von 289 Sitzen aber deutlich verfehlen.

Französische Nationalversammlung
Gerald Darmanin, Innenminister von Frankreich, spricht zu Beginn einer Debatte in der französischen Nationalversammlung über den Gesetzesentwurf zu einem Immigrationsgesetz in verschärfter Fassung, während die Abgeordneten der Renaissance stehen und applaudieren. (zu dpa: «Schicksalswahl: Frankreich stimmt über Parlament ab»)
Foto: Ludovic Marin/DPA

Auf Rang zwei liegt demnach das für die vorgezogene Parlamentswahl gebildete neue Linksbündnis aus Grünen, Sozialisten, Kommunisten und Linkspartei. Das Mitte-Lager von Präsident Emmanuel Macron muss laut den Umfrageinstituten mit einer demütigenden Niederlage rechnen, es kommt in den Umfragen auf Rang drei.

Macron unter Druck

Vor der zweiten Runde der Parlamentswahl in Frankreich
Ein Mann geht in Paris an Wahlkampfschildern für die bevorstehenden Parlamentswahlen vorbei. (zu dpa: «Schicksalswahl: Frankreich stimmt über Parlament ab»)
Foto: Thomas Padilla/DPA

Somit zeichnet sich bislang keine regierungsfähige Mehrheit ab. Erwartet wird unabhängig vom Wahlausgang, dass die bestehende Regierung von Premierminister Gabriel Attal noch einige Tage geschäftsführend im Amt ist, bis über die Bildung einer künftigen Regierung Klarheit herrscht. Das könnte allerdings dauern – die Situation ist so verfahren wie lange nicht.

Parlamentswahl in Frankreich
Der Vorsitzende der rechtsextremen Nationalen Sammlungsbewegung (RN) Jordan Bardella (r) verlässt mit der Parteivorsitzenden Marine Le Pen nach einer Pressekonferenz das Gebäude. (zu dpa: «Schicksalswahl: Frankreich stimmt über Parlament ab»)
Foto: Christophe Ena/DPA

Sollte das RN eine absolute Mehrheit erringen, stünde Macron unter dem politischen Zwang, erstmals einen Premierminister aus den Reihen der Rechtsnationalen – etwa RN-Chef Jordan Bardella – zu ernennen. Das wäre ein Einschnitt in der Geschichte des Landes und hätte auch für die europäische Politik große Auswirkungen.

Parlamentswahl in Frankreich
Menschen versammeln sich auf dem Platz der Republik, um gegen Rechts zu protestieren. (zu dpa: «Schicksalswahl: Frankreich stimmt über Parlament ab»)
Foto: Louise Delmotte/DPA

Damit gäbe es in Frankreich erstmals seit 1997 wieder eine sogenannte Kohabitation. Das bedeutet, dass Präsident und Premierminister unterschiedliche politische Richtungen vertreten.

Konservative könnten Königsmacher sein

Bringt Frankreichwahl Le Pens Rechtsnationale an die Macht?
Gabriel Attal (r), damaliger Bildungs- und Jugendminister von Frankreich und jetziger Premierminister, beobachtet Emmanuel Macron, Präsident von Frankreich, bei einem Gespräch mit der Presse im Gambetta-Gymnasium. (zu dpa: «Schicksalswahl: Frankreich stimmt über Parlament ab»)
Foto: Ludovic Marin/DPA

Bei einer starken relativen Mehrheit für das RN wird damit gerechnet, dass dieses versucht, weitere Abgeordnete der bürgerlich-konservativen Républicains (LR) auf seine Seite zu ziehen, um Entscheidungsmacht im Parlament zu erlangen.

Die ehemalige Volkspartei hatte sich im Anlauf zur Wahl gespalten. Ihr Vorsitzender Éric Ciotti hatte unabgestimmt mit seiner Partei eine Kooperation mit dem RN vereinbart, nur eine kleinere Zahl von Abgeordneten folgte ihm aber. Die Frage ist nun, wie die übrigen Abgeordneten sich verhalten, die in der ersten Wahlrunde rund zehn Prozent der Wählerstimmen auf sich vereinten.

Drohender Stillstand

Offen ist im Moment, wie es in Frankreich weitergeht, wenn der Schulterschluss gegen das RN tatsächlich funktioniert. Da die Abgeordnetenplätze nach dem Mehrheitswahlrecht vergeben werden, haben sich in über 200 Wahlkreisen die in der ersten Runde jeweils drittplatzierten Kandidaten der übrigen Parteien zurückgezogen, damit die Chance steigt, dass der verbliebene Kandidat einer bürgerlichen Partei den Bewerber der Rechtsnationalen schlägt. Ein solcher Schutzwall gegen die extreme Rechte wird in Frankreich nicht zum ersten Mal praktiziert. Ob er zu einer tragfähigen Regierung führen wird, ist offen.

Denn die übrigen Lager – einschließlich der wiedererstarkten Sozialisten – haben bereits klargemacht, dass sie nicht in einer Art nationalen Koalition miteinander regieren wollen. Dann könnte die aktuelle Regierung als Übergangsregierung im Amt bleiben oder eine Expertenregierung eingesetzt werden.

Das Macron-Bündnis könnte nach dem Machtpoker des Präsidenten mit der vorgezogenen Parlamentswahl vor einem Scherbenhaufen stehen und im Parlament nur noch in stark reduzierter Zahl vertreten sein. Neue Vorhaben könnte eine Regierung ohne Mehrheit nicht auf den Weg bringen. Frankreich droht damit politischer Stillstand.

Macron hatte nach dem Sieg von Le Pens Rassemblement National bei der Europawahl Anfang Juni die Nationalversammlung aufgelöst und eine Neuwahl angekündigt. Die Nationalversammlung ist eine von zwei französischen Parlamentskammern. Sie ist an der Gesetzgebung beteiligt und kann per Misstrauensvotum die Regierung stürzen.

In der ersten Wahlrunde lagen nun aber wie schon bei der Europawahl die Rechtsnationalen vorne, gefolgt vom neuen Linksbündnis sowie Macrons Mitte-Lager auf Rang drei. 76 der 577 Abgeordnetenplätze wurden bereits vergeben, die meisten für das RN (39) oder das Linksbündnis (32) – in den übrigen Wahlkreisen fällt die Entscheidung nun erst in der Stichwahl.

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